Wenn harte Arbeit und mehrere Jobs zum Gift für den Körper werden – Warum Millionen US-Amerikaner früher sterben
Weniger gebildete US-Amerikaner sterben bis zu zwei Jahre früher – Ursache ist chronischer Stress durch Armut, Unsicherheit und Überlastung.

Zwischen Schichtbeginn und Stillstand: Wer im Rust Belt mehrfach schuftet, lebt oft kürzer – der Körper zahlt für den täglichen Überlebenskampf. © Wikimedia
US-Amerikaner mit geringerer Bildung haben eine deutlich niedrigere Lebenserwartung – eine neue Studie zeigt, wie wirtschaftlicher Druck krank macht und das Leben verkürzt. Weniger gebildete Personen sterben nicht nur früher – sie leiden auch häufiger an schweren Krankheiten. Der Grund ist kein plötzlicher Schicksalsschlag – sondern viele Jahre wirtschaftlicher Abstieg, Unsicherheit und fehlende Chancen auf ein besseres Leben.
Zwischen 1990 und 2017 verloren viele dieser Menschen Lebenszeit – im Schnitt ein bis zwei Jahre zwischen dem 25. und 84. Lebensjahr. Und das ganz ohne Drogen oder Suizid. Der Hauptgrund liegt woanders: im Dauerstress durch Arbeitslosigkeit, Armut und fehlende Gesundheitsversorgung.
Lebenserwartung der US-Amerikaner sinkt durch Arbeitslosigkeit und Armut
Was die Wissenschaftler fanden, ist erschütternd. In wirtschaftlich schwachen Regionen steigt die Sterblichkeit deutlich – und zwar nicht wegen spektakulärer Ursachen, sondern wegen alltäglicher Krankheiten: Herzinfarkt, Krebs, Stoffwechselstörungen.
Dabei trifft es nicht nur eine kleine Gruppe. Die Zahlen zeigen: Millionen von Menschen leben unter Bedingungen, die ihren Körper über Jahre hinweg zermürben. Besonders betroffen sind jene ohne Hochschulabschluss, die in strukturschwachen Gegenden leben.
Dauerstress führt zu innerem Verschleiß – wortwörtlich
„Infolge langanhaltender wirtschaftlicher Not und sozialer Ausgrenzung betreiben weniger gebildete Arbeitnehmer eine anstrengende, adaptive Bewältigung“, erklären die Forscher. Das bedeutet: Menschen mit wenig Einkommen versuchen oft, durch mehrere Jobs oder harte Arbeit den Mangel auszugleichen – und bezahlen mit ihrer Gesundheit.
Diese sogenannte „High-effort coping“-Strategie wirkt auf Dauer wie Gift für den Körper: Organe altern schneller, Entzündungen nehmen zu, das Immunsystem erschlafft. Die Forscher sprechen von „weathering“, einem inneren Verschleiß durch ständigen Druck.
Betroffen sind Millionen – das zeigen diese Fakten:
- Menschen in wirtschaftlich stagnierenden Regionen leben im Schnitt 1–2 Jahre kürzer (zwischen 25 und 84 Jahren)
- Hauptursachen für den frühen Tod: Krebs, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen
- Betroffene Gruppe: Erwachsene ohne Hochschulabschluss
- Zeitraum: Daten von 1990 bis 2017, Probleme reichen aber bis in die 1970er zurück
- Kein Zusammenhang mit Suizid oder Drogen – sondern mit Dauerstress und schlechter Versorgung
- Ursachen: Arbeitsplatzverlust, unsichere Jobs, schlechter Zugang zu Gesundheitsversorgung und gesunder Ernährung
Geringe Bildung – hohes Risiko für Krankheit und früheren Tod
Was die Studie auch klar macht: Die Ursachen liegen nicht beim Einzelnen. Es geht nicht darum, ob jemand raucht oder joggt. Vielmehr sind es die Umstände, die krank machen – das ständige Kämpfen ums Überleben, das Gefühl, immer ein bisschen zu kurz zu kommen, die fehlende Aussicht auf Stabilität.
„Die Fähigkeit von weniger gebildeten Arbeitnehmern, über die Runden zu kommen, Nahrungsmittelunsicherheit zu vermeiden oder notwendige Gesundheitsversorgung zu erhalten, wurde seit 1980 kontinuierlich herausgefordert“, sagt Studienleiterin Arline Geronimus.
Wer keine Chance auf Sicherheit hat, wird krank – leise, langsam, aber unausweichlich.
Opioide nicht schuld an sinkender Lebenserwartung
Ein weit verbreiteter Irrtum: Dass die niedrigere Lebenserwartung mit der Opioidkrise zu tun hat. Die Studie stellt klar: „Diese Ergebnisse schmälern nicht die Bedeutung und das Ausmaß der Opioid-Epidemie in den USA“, erklärt Geronimus. Doch andere Faktoren seien wichtiger – wie strukturelle Armut und wirtschaftliche Unsicherheit.
Was die Forscher fordern, ist keine Diät und kein Fitnessprogramm. Sie verlangen politische Antworten: faire Löhne, verlässliche Gesundheitsversorgung, Chancen auf ein Leben ohne ständigen Mangel.
„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass strukturelle wirtschaftliche Veränderungen in den letzten fünfzig Jahren tiefgreifende, langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit hatten – insbesondere für weniger gebildete Arbeitnehmer“, schreiben sie.
Denn am Ende geht es nicht nur um Lebensjahre. Es geht um Lebensqualität – und die Frage, wie viel ein Menschenleben wert ist, wenn der Bildungshintergrund über Gesundheit und Überleben entscheidet.
Auch Reiche in den USA sterben früher – Geld schützt nicht vor einem schwachen System
Was viele für unmöglich halten, bestätigt eine weitere große Untersuchung: Selbst die reichsten Amerikaner sterben früher als arme Europäer. In einer Langzeitstudie der Brown University, die über zehn Jahre mehr als 73.000 Menschen zwischen 50 und 85 Jahren begleitete, zeigte sich: Die Lebenserwartung in den USA liegt deutlich unter der in Europa – und zwar unabhängig vom Vermögen. In Westeuropa war die Sterblichkeit bis zu 40 Prozent niedriger, selbst in ärmeren Ländern Osteuropas lag sie stellenweise 20 Prozent unter dem US-Niveau.
Die Gründe liegen weniger im Geld, sondern in strukturellen Schwächen: ein teures, aber lückenhaftes Gesundheitssystem, soziale Unsicherheit, hoher Alltagsstress. „Selbst die reichsten Amerikaner sind nicht vor den systemischen Problemen geschützt, die zu einer geringeren Lebenserwartung führen“, sagt Studienleiterin Irene Papanicolas. Ihr Fazit: Es reicht nicht, nur Geld ins System zu pumpen. Entscheidend ist, Armut, Umweltbelastung, Ernährung und Bildung gezielt zu verbessern – sonst bleiben viele auf der Strecke.
Kurz zusammengefasst:
- Die Lebenserwartung der US-Amerikaner mit geringem Bildungsabschluss liegt im Schnitt ein bis zwei Jahre niedriger – vor allem wegen stressbedingter Krankheiten wie Krebs und Herzleiden.
- Ursache ist eine sogenannte „High-effort coping“-Strategie: Viele versuchen, Armut durch harte Arbeit und mehrere Jobs auszugleichen – und überlasten dadurch dauerhaft ihren Körper.
- Selbst reiche Amerikaner sterben früher als arme Europäer – denn strukturelle Probleme wie ein unsicheres Gesundheitssystem und sozialer Druck betreffen alle Schichten.
Bild: © RustBeltTransit via Wikimedia unter CC BY-SA 2.0