Leistungsstress in bayerischen Schulen: Wie Noten Kinderseelen zerstören

Das bayerische Schulsystem übt durch frühe Selektion und strenge Noten enormen Druck auf Kinder aus, was zu psychischen Belastungen und Leistungsdruck führt.

In Bayern sind bereits Grundschüler dem Leistungsdruck ausgesetzt, was immer mehr Kinder psychisch belastet. © Pexels

In Bayern sind bereits Grundschüler dem Leistungsdruck ausgesetzt, was immer mehr Kinder psychisch belastet. © Pexels

Die vierte Klasse in Bayern bringt Eltern und Schüler oft an ihre Grenzen. Spiegel-Kolumnistin Anna Clauß beschreibt eindrücklich, wie das strenge Notensystem im bayerischen Schulsystem bereits in jungen Jahren enormen Druck auf Kinder ausübt und damit ihre psychische Gesundheit gefährdet. Muss Schule wirklich so sein wie in Bayern, dass sie bereits in den ersten Jahren nur mit Druck und Noten funktioniert oder gibt es auch andere Wege?

Tränen im Flur: Wenn Schulnoten Kinder unter Druck setzen

Der Sohn von Anna Clauß geht in die vierte Klasse einer bayerischen Grundschule. Er kommt regelmäßig weinend nach Hause, weil er schlechte Noten bekommt. Eine Vier in Deutsch führte kürzlich dazu, dass er in Tränen ausbrach und seine Mutter bat: „Sei bitte nicht böse.“ Für Clauß war nicht die Note das Schlimmste, sondern die Angst ihres Sohnes, sie zu enttäuschen. Sie kritisiert das bayerische Schulsystem, das sie für diese Ängste verantwortlich macht. So zerstört es „Kinderseelen, statt sie fliegen zu lassen.“

Clauß, die auch von Bekannten vor dem „harten“ vierten Schuljahr gewarnt wurde, beschreibt, wie das System darauf ausgerichtet ist, Schüler frühzeitig nach Leistung zu selektieren. Schon im Grundschulalter entscheiden Noten in den Fächern Deutsch, Mathe und Heimatkunde darüber, ob ein Kind auf das Gymnasium, die Realschule oder die Hauptschule gehen kann. Ihr Sohn, der kreativ ist und in Fächern wie Kunst, Musik oder Religion brilliert, hat in den relevanten Fächern Deutsch und Mathe jedoch Dreien und Vieren. Die Folge: Sein Weg Richtung Hauptschule scheint vorgezeichnet.

Kritik am bayerischen Notensystem und seiner Selektion

Clauß geht weiter und stellt die grundsätzliche Frage, was Schulnoten über das wahre Können eines Kindes aussagen. Sie bezieht sich dabei auf eine Studie der Universität Tübingen, die zu dem Schluss kommt, dass Noten wenig über die tatsächlichen Fähigkeiten eines Schülers aussagen. Sie plädiert dafür, Noten in der Grundschule abzuschaffen und stattdessen Test mit „bestanden“ oder „nicht bestanden“ zu bewerten. Außerdem schlägt sie vor: „Warum kann man nicht einfach bewerten, wie viel Mühe ein Kind sich gegeben hat oder ob es sich im Vergleich zu früher verbessert hat?“, fragt sie.

Clauß beschreibt den enormen Druck, den das Notensystem auf Kinder und Eltern ausübt. Auch sie und ihr Sohn verbringen die Sommerferien damit, spielerisch das Einmaleins und Rechtschreibregeln zu wiederholen. Das eigentliche Ziel, ihrem Sohn den Stress zu nehmen, wird dadurch jedoch verfehlt. Stattdessen entsteht ein Teufelskreis aus Lernen, Noten und Tränen.

Was Schulnoten wirklich aussagen (oder nicht)

Die Autorin beleuchtet auch die gesellschaftlichen Auswirkungen des bayerischen Notensystems. Kinder vergleichen sich miteinander, mobben sich, und das Selbstwertgefühl leidet. Ihr Sohn nennt die Hauptschule „die Schule der Doofen“, was er von Mitschülern aufgeschnappt hat. Clauß und ihr Mann sehen ihren Sohn jedoch nicht auf dem Gymnasium, sondern wünschen ihm jedoch eine Schulumgebung, die ihm nicht das Gefühl gibt, „doof“ zu sein.

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Eine der zentralen Fragen bleibt: Stellt das bayerische Schulsystem wirklich das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt? Autorin Caroline von St. Ange sagt: Nein! Dieses System setzt ihrer Meinung nach falsche Prioritäten und zielt darauf ab, dass Wissen schnell und genau reproduziert wird. Dafür gibt es dann gute Noten.

Ich verstehe nicht, wie man glauben kann, Kinder auf diese Art fit fürs Leben zu machen.

Caroline von St. Ange

In ihrem Buch „Alles ist schwer, bevor es leicht ist: Wie Lernen gelingt.“ kritisiert von St. Ange das deutsche Bildungssystem dafür, dass es hauptsächlich das „schnelle Aneignen von Wissen“ bewertet. Wichtige Fähigkeiten wie Teamarbeit oder Kreativität kämen viel zu kurz. Von St. Ange schlägt alternative Bewertungsmethoden wie Gruppenarbeiten oder individuelle Lernfortschrittsprüfungen vor.

Der Teufelskreis aus Lernen und Noten

Ein weiteres Beispiel für die Prioritätensetzung im bayerischen Schulsystem ist die sogenannte „Pisa-Offensive Bayern“. Im Zuge dieser Initiative wurde eine zusätzliche Deutschstunde eingeführt, um die Leistung in den PISA-Studien zu verbessern – auf Kosten des Musikunterrichts. Diese Maßnahmen und die Weigerung von Ministerpräsident Markus Söder, unangesagte Prüfungen abzuschaffen, zeigt laut Clauß, wie stark der Fokus auf „Leistungsdichte“ in Bayern liegt.

Trotz wachsender Kritik, auch durch Studien, lehnt die bayerische Regierung Modellschulen ohne Noten ab. Das Kultusministerium begründet dies mit dem „bewährten gegliederten Schulsystem“. Clauß sieht dies kritisch und fragt, wie lange man noch Kinder „heulend im Hausflur“ stehen lassen will, nur um in bundesweiten Bildungstests gute Ergebnisse zu erzielen.

Was du dir merken solltest:

  • Schule in Bayern bedeutet frühe Selektion der Schüler bereits in der Grundschule und zwar streng nach Noten. Das übt frühzeitig Druck auf Kinder aus. 
  • Kinder vergleichen sich oft untereinander, was zu Mobbing und geringem Selbstwertgefühl führen kann. 
  • Kritiker fordern alternative Bewertungsmethoden, da Noten wenig über die tatsächlichen Fähigkeiten eines Schülers aussagen.

Übrigens: Auch Bildungsexperte Markus Warnke kritisiert das deutsche Schulsystem und damit einhergehend den Bildungsnotstand hierzulande. Warum unsere Schulen seiner Meinung nach versagen, erfährst du in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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