Wenn innere Hemmungen fallen – Fluchen macht uns stärker
Fluchen kann offenbar Kräfte freisetzen: Wer sich beim Training Schimpfwörter erlaubt, hält länger durch und bringt mehr Stärke auf – so eine Studie.
Ein kräftiger Fluch kann mehr als Dampf ablassen: Studien zeigen, dass Schimpfen die körperliche Leistung kurzfristig steigert – über einen psychologischen Effekt im Kopf. © Pexels
Wenn man sich den Kopf an einer offenen Schranktür stößt oder unter dem Türrahmen verschätzt, rutscht fast automatisch ein Fluch heraus. Kurz, ungefiltert, instinktiv. Lange galt das als schlechte Angewohnheit oder bloßer Reflex. Neue psychologische Forschung ordnet dieses Verhalten nun überraschend anders ein. Ein gezieltes Schimpfwort kann dem Körper helfen, kurzfristig mehr Kraft zu mobilisieren – messbar und wiederholbar. Dabei geht es nicht um Wut oder Aggression, sondern um einen Effekt im Kopf.
Die Wirkung des Fluchens entsteht offenbar dadurch, dass innere Hemmungen kurzzeitig nachlassen. Psychologen der Keele University haben diesen Effekt in mehreren Experimenten untersucht. Die Ergebnisse, veröffentlicht im American Psychologist, zeigen, warum ein Tabuwort in genau solchen Momenten mehr bewirken kann als bloßes Dampfablassen.
Die Wirkung von Fluchen zeigt sich im Krafttest
In den Studien absolvierten Erwachsene eine einfache, aber fordernde Kraftaufgabe. Beim sogenannten Chair-Push-up stützen sie sich mit den Armen auf einem Stuhl ab und halten ihr Körpergewicht so lange wie möglich. Aus Sicherheitsgründen endete der Versuch nach 60 Sekunden. Der entscheidende Unterschied lag nicht in der Übung, sondern in der Sprache. Während der Belastung wiederholten die Teilnehmer entweder ein selbst gewähltes Schimpfwort oder ein neutrales Wort. Die Reihenfolge wechselte. So ließ sich klar prüfen, ob allein das Wort einen Effekt hatte.
Das Ergebnis war eindeutig. Mit einem Schimpfwort hielten die Teilnehmer länger durch. Zwei neue Experimente und eine frühere Studie bestätigten den Effekt. Insgesamt flossen die Daten von 300 Personen in die Auswertung ein.
Mehr Leistung ohne körperlichen Stressreiz
Der Leistungszuwachs fiel deutlich aus. In früheren Untersuchungen stieg die Griffkraft um rund acht Prozent. Bei vergleichbaren Belastungen verlängerte sich die Haltezeit um etwa zehn Prozent. Weder Puls noch andere körperliche Stressmarker erklärten den Effekt.
Die Wissenschaftler verwarfen daher die Vermutung eines Adrenalinschubs. Stattdessen rückte die Psyche in den Mittelpunkt. Fluchen verletzt soziale Regeln. Genau dieser kleine Regelbruch scheint innere Zurückhaltung zu lockern. Richard Stephens, einer der beteiligten Psychologen, erklärt:
Fluchen kann die körperliche Leistung verbessern, weil Menschen sich fokussierter, selbstsicherer und weniger abgelenkt fühlen.
Innere Zurückhaltung lässt nach
Die Studien erfassten mehrere psychologische Zustände parallel zur Leistung. Besonders drei Faktoren spielten eine zentrale Rolle:
- Stärkerer Fokus: Gedanken schweifen weniger ab, die Aufmerksamkeit bleibt bei der Aufgabe.
- Mehr Selbstvertrauen: Zweifel treten in den Hintergrund, die Bewegung wirkt entschlossener.
- Weniger Grübeln: Innere Kommentare und Selbstbeobachtung verlieren an Bedeutung.
Diese Kombination beschreiben Psychologen als Zustand geringerer innerer Kontrolle. Statt Vorsicht dominiert Handlungsbereitschaft. Ein Zitat aus der Studie bringt das auf den Punkt: „In vielen Situationen halten sich Menschen bewusst oder unbewusst zurück und nutzen ihr Potenzial nicht vollständig.“
Interessant ist dabei ein Detail. Humor nahm beim Fluchen zwar zu, erklärte den Leistungszuwachs aber nicht. Entscheidend war nicht das Lachen, sondern das Loslassen.
Unabhängig vom Persönlichkeitstyp wirksam
Getestet wurden kurze, intensive Belastungen. Komplexe Situationen wie Prüfungen oder Verhandlungen blieben außen vor. Auch Alltagsgespräche spielten keine Rolle. Im Fokus stand das gezielte Wiederholen eines Wortes während einer Anstrengung.
Ein Placeboeffekt lässt sich zudem nicht vollständig ausschließen. Die Teilnehmer wussten, welches Wort sie verwendeten. Trotzdem blieb der Befund stabil. In der zusammengefassten Analyse erklärten psychologische Faktoren rund 14 Prozent des Leistungsunterschieds. In der Verhaltensforschung gilt das als beachtlich.
Auffällig war ein weiterer Punkt. Persönliche Eigenschaften wie Nervosität oder Ängstlichkeit veränderten den Effekt kaum. Das spricht dafür, dass die Wirkung von Fluchen nicht an bestimmte Persönlichkeitstypen gebunden ist.
Ein einfaches Werkzeug für mehr Entschlossenheit
Die Autoren sehen mögliche Anwendungen überall dort, wo Menschen zögern oder sich selbst bremsen. Dazu zählen sportliche Belastungen, Reha-Übungen oder Situationen mit körperlicher Unsicherheit. Das Mittel ist simpel und jederzeit verfügbar. Zugleich warnen die Forscher vor falschen Erwartungen. Fluchen ersetzt kein Training. Es liefert keinen dauerhaften Vorteil. Es wirkt kurz und situationsabhängig. Gerade deshalb lässt sich der Effekt gut einordnen.
Laut Studie kann Fluchen „eine einfache, kostengünstige und leicht verfügbare Methode sein, um sich nicht länger zurückzuhalten.“
Kurz zusammengefasst:
- Gezieltes Fluchen kann körperliche Leistung kurzfristig steigern, etwa bei Kraftaufgaben, weil es innere Hemmungen löst – nicht wegen Wut oder körperlicher Erregung.
- Fluchen entfaltet seine Wirkung vor allem mental: Aufmerksamkeit wächst, innere Zweifel treten zurück, die Bewegung wird entschlossener.
- Der Effekt gilt vor allem für kurze, intensive Belastungen, wirkt unabhängig vom Persönlichkeitstyp und ersetzt kein Training.
Übrigens: Neue Forschung zeigt, dass Angst nicht nur ein Gefühl ist, sondern aus einer gestörten Balance bestimmter Nervenzellen im Gehirn entsteht – und sich gezielt abschwächen lässt. Wie Forscher dieses Gleichgewicht in der Amygdala wiederherstellen konnten und warum das Hoffnung für neue Therapien macht, mehr dazu in unserem Artikel.
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