Gleich sechs Eigenschaften machen neuen CO₂-Beton zum Gamechanger im Klimaschutz
Forscher aus den USA entwickeln einen CO₂-Beton, der Kohlendioxid bindet, ohne Zement auskommt – und in wenigen Stunden aushärtet.
Die Produktion von Beton verursacht fast acht Prozent der globalen CO₂-Emissionen – das neue Material könnte das künftig ändern. © Pexels
Die Bauindustrie ist einer der größten Klimatreiber weltweit. Acht Prozent aller CO₂-Emissionen stammen aus der Zementproduktion – mehr als der gesamte Flugverkehr verursacht. Dabei wächst der Bedarf an Beton weltweit, weil überall neue Städte, Straßen und Häuser entstehen.
Forschern des Worcester Polytechnic Institute (WPI) in den USA ist nun ein Durchbruch gelungen: Sie haben einen Baustoff entwickelt, der Kohlendioxid nicht ausstößt, sondern dauerhaft bindet – und so zu einem Teil der Lösung werden könnte.
Ein Baustoff, der CO₂ einfängt, statt es freizusetzen
Das Forschungsteam um den Bauingenieur Nima Rahbar entwickelte ein strukturbildendes Material namens Enzymatic Structural Material (ESM). Es basiert auf einem Kohlenstoffgerüst aus sogenanntem Hydrochar, das mit Calciumverbindungen und Wasser vermischt wird. Dabei entstehen an der Oberfläche winzige Kristalle aus Calciumcarbonat – also aus demselben Stoff, aus dem auch Muschelschalen oder Kalkstein bestehen.
Kohlendioxid aus der Umgebungsluft oder aus der Herstellung selbst wird chemisch gebunden und im Material fixiert. In wenigen Stunden verbindet sich die kristalline Struktur zu einem festen, wasserbeständigen Baustoff. So entsteht ein Material, das nicht nur ohne Zement auskommt, sondern während der Produktion CO₂ dauerhaft speichert – im Gegensatz zu herkömmlichem Beton, der große Mengen davon freisetzt.
Ein Kubikmeter des neu entwickelten Baustoffs kann laut WPI über sechs Kilogramm CO₂ speichern. Zum Vergleich: Die gleiche Menge herkömmlichen Betons verursacht etwa 330 Kilogramm CO₂.
Schneller, energiesparender, reparierbar
Während normaler Beton Tage oder Wochen braucht, um auszuhärten, ist das enzymatische Material in wenigen Stunden einsatzbereit. Zudem kommt es ohne die hohen Temperaturen aus, die bei der klassischen Zementherstellung nötig sind. Das macht den Baustoff besonders attraktiv für Länder mit hohem Energieverbrauch oder begrenzten Ressourcen.
Auch die Langlebigkeit spricht für das Material: Es lässt sich reparieren und wiederverwenden, wodurch weniger Abfall entsteht. Damit könnte es in Zukunft gelingen, die riesigen Betonmengen, die jedes Jahr auf Deponien landen, deutlich zu reduzieren.

Was den neuen CO₂-Beton einzigartig macht:
- Er kommt ohne Zement aus
Statt Kalkstein bei hohen Temperaturen zu brennen, nutzt das Material andere Ausgangsstoffe – die Hauptquelle der Emissionen entfällt. - Er wird selbst zum CO₂-Speicher
Kohlendioxid wird chemisch gebunden und in feste Mineralien umgewandelt. Der Baustoff speichert das Klimagas dauerhaft, statt es auszustoßen. - Er entsteht durch eine natürliche Reaktion
Das Verfahren orientiert sich an biologischen Prozessen der Mineralbildung und funktioniert bei Raumtemperatur – ohne Energieverlust, ohne Zusatzstoffe. - Er härtet schnell und bleibt reparierbar
Innerhalb weniger Stunden erreicht der Baustoff seine Festigkeit. Beschädigte Elemente können ausgebessert und erneut verwendet werden. - Er arbeitet CO₂-negativ – also klimapositiv im Ergebnis
Im Gegensatz zu herkömmlichen „grünen“ Betonen, die Emissionen nur mindern, entzieht dieser der Atmosphäre aktiv Kohlendioxid. - Er ist industriell umsetzbar
Das Verfahren lässt sich skalieren und in bestehende Bauprozesse integrieren – ein realistischer Schritt in Richtung CO₂-negative Bauwirtschaft.
Neue Möglichkeiten für nachhaltiges Bauen
Das WPI-Team sieht großes Potenzial in der neuen Substanz. Sie lässt sich formen, gießen und anpassen – ähnlich wie herkömmlicher Beton. Damit könnte sie in Zukunft für Dachplatten, Wandmodule oder tragende Bauteile verwendet werden. Auch beim Bau von Notunterkünften oder bei der schnellen Wiederherstellung zerstörter Gebäude nach Naturkatastrophen wäre das Material hilfreich.

CO₂-Beton als Beitrag zu globalen Klimazielen
Nach Einschätzung des Worcester Polytechnic Institute passt die Entwicklung perfekt zu den internationalen Klimazielen. Viele Länder wollen ihre Bauwirtschaft bis 2050 klimaneutral machen. Doch solange Beton das dominierende Baumaterial bleibt, ist dieses Ziel kaum erreichbar.
Das neue Material könnte diesen Wandel beschleunigen. Es benötigt wenig Energie, nutzt biologische Ausgangsstoffe und kann mehrfach wiederverwertet werden. Damit ist es Teil einer größeren Idee: einer zirkulären Bauwirtschaft, bei der Materialien möglichst lange im Kreislauf bleiben.
Rahbar ist überzeugt: „Wenn selbst ein kleiner Teil der globalen Bauindustrie auf CO₂-negative Materialien umstellt, wäre der Effekt enorm.“
Andere Wege, Beton klimafreundlicher zu machen
Forscher weltweit arbeiten seit Jahren daran, die Klimabilanz von Beton zu verbessern. Dabei sind mehrere Ansätze besonders vielversprechend:
- CO₂-Einspeisung in die Mischung: Ein Team der Northwestern University in den USA nutzt eine karbonisierte Wasserlösung, die beim Aushärten bis zu 45 Prozent des Kohlendioxids dauerhaft bindet.
- Biobeton mit Cyanobakterien: Am Fraunhofer-Institut wurde ein „lebender“ Baustoff entwickelt, bei dem Mikroorganismen CO₂ durch Photosynthese in Kalk umwandeln. Das Gas wird dabei nicht freigesetzt, sondern dauerhaft im Material gespeichert.
- Graphen-Beton: Durch den Zusatz von Graphen lässt sich der Zementanteil um bis zu 50 Prozent senken. Das macht den Baustoff stabiler – und spart gleichzeitig erhebliche Mengen CO₂.
- CO₂-armer Fertigbeton: In Hamburg kam ein Spezialbeton zum Einsatz, der laut Hersteller bis zu 70 Prozent weniger Emissionen verursacht als herkömmlicher Beton und schneller verarbeitet werden kann.
- Kühlender Beton: Eine weitere Entwicklung nutzt reflektierende Oberflächen, um Gebäude um bis zu fünf Grad zu kühlen. Das senkt den Energiebedarf und reduziert indirekt den CO₂-Ausstoß.
- Zementersatzstoffe: Auch alternative Mischungen mit Reisschalenasche oder Hüttensand verringern den energieintensiven Klinkeranteil und verbessern so die Klimabilanz.
Warum der neue CO₂-Beton das Zeug zum Durchbruch hat
Was das WPI-Team von vielen früheren Experimenten unterscheidet, ist die Praxistauglichkeit. Die Herstellung gelingt unter milden Bedingungen und lässt sich skalieren. Das heißt: Der Baustoff kann in größeren Mengen produziert werden, ohne enorme Kosten zu verursachen.
Zudem ist das Prinzip nachvollziehbar – kein Labortrick, sondern eine biologische Reaktion, die Kohlendioxid in feste Stoffe umwandelt. Diese Idee, inspiriert von der Natur, könnte eine echte Wende für das Bauwesen bedeuten.
Rahbar fasst das Ziel seines Teams so zusammen: „Wir wollen Materialien entwickeln, die mit der Umwelt zusammenarbeiten, statt gegen sie.“
Kurz zusammengefasst:
- Forscher des Worcester Polytechnic Institute haben ein neuartiges Baumaterial entwickelt, das CO₂ bindet, anstatt es freizusetzen – ein Kubikmeter speichert über sechs Kilogramm Kohlendioxid.
- Das enzymbasierte Material härtet in wenigen Stunden aus, braucht keine hohen Temperaturen, ist reparierbar und recycelbar – dadurch sinken Energieverbrauch, Kosten und Abfall.
- Der neue CO₂-Beton könnte herkömmlichen Beton langfristig ersetzen und so einen wichtigen Beitrag zu einer klimaneutralen Bauwirtschaft leisten.
Übrigens: Beton könnte künftig mehr als nur tragen – Forscher des MIT entwickeln einen Baustoff, der Strom speichert und Häuser zu Batterien macht. Mehr dazu in unserem Artikel.
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