Frühe Tests zeigen: So lässt sich ADHS bei Kindern schon vor der Schule erkennen

Die Gehirn-Strukturen in der Kindheit können früh Hinweise auf ein ADHS-Risiko geben und Chancen für gezielte Unterstützung eröffnen.

Die Vernetzung des Gehirns in der Kindheit zeigt das ADHS-Risiko 

Bei Jungen zeigt sich ADHS oft durch deutliche Hyperaktivität, Impulsivität und sichtbare Unruhe. Mädchen wirken häufiger verträumt, leicht ablenkbar und haben eher stille Aufmerksamkeitsprobleme. © Pexels

Ob ein Kind später konzentriert arbeiten, Ablenkungen ausblenden und zwischen Aufgaben umschalten kann, hängt oft schon in den ersten Lebensjahren von seiner Gehirnstruktur ab. Forscher sehen hier eine große Chance, ADHS-Risiken früh zu erkennen und gegenzusteuern. Eine neue Studie der Simon Fraser University liefert nun konkrete Anhaltspunkte dafür, welche Verbindungen im kindlichen Gehirn entscheidend sind.

Frühe Jahre entscheiden über Aufmerksamkeitsstärke

Zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr verändert sich das Gehirn besonders stark. In dieser Zeit beginnen Kinder, komplexere Aufgaben zu bewältigen – in der Schule, beim Spielen oder im Umgang mit anderen. Studienautor Randy McIntosh vergleicht das Gehirn in diesem Alter mit einer Stadt:

Die Straßen sind die Struktur, der Verkehr ist die Aktivität. Sind die Straßen schlecht gebaut, staut sich der Verkehr – und Kinder haben mehr Mühe, sich zu konzentrieren oder flexibel zu reagieren.

Studie begleitet Kinder ein Jahr lang

Für die Untersuchung begleiteten die Forscher 39 Kinder – 20 Mädchen und 19 Jungen – über zwölf Monate. Jedes Kind erhielt zwei MRT-Untersuchungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten:

  • dMRI (Diffusions-MRT): Nutzt die Bewegung von Wasser im Gewebe, um die Nervenbahnen sichtbar zu machen – wie eine Straßenkarte der „Kabel“ im Gehirn.
  • fMRI (funktionelle MRT): Misst Veränderungen im Sauerstoffgehalt des Blutes. So erkennt man, welche Hirnregionen gerade aktiv sind und zusammenarbeiten – der „Verkehrsfluss“ auf dieser Karte.

Zusätzlich absolvierten die Kinder Tests zu Daueraufmerksamkeit, selektiver Aufmerksamkeit und exekutiver Aufmerksamkeit. Alle Werte verbesserten sich im Verlauf des Jahres deutlich.

Die Auswertung ergab: Je älter die Kinder wurden, desto besser waren ihre Gehirnbereiche miteinander vernetzt. Statt in vielen kleinen, getrennten „Inseln“ zu arbeiten, tauschten die Regionen mehr Informationen untereinander aus – und genau diese engere Zusammenarbeit ging mit besseren Ergebnissen in den Aufmerksamkeitstests einher.

Straßenbau im Kopf wichtiger als momentaner Verkehr

Besonders wichtig für gute selektive Aufmerksamkeit war der rechte obere Parietallappen. Bei jüngeren Kindern halfen vor allem dichte Verbindungen in visuellen Arealen, bei älteren dagegen stärkere Netzwerke in höheren Steuerungszentren wie dem präfrontalen Cortex.

„In diesem Alter kommt es darauf an, dass die Straßen gut gebaut sind. Sonst kann der Verkehr nicht fließen – und das beeinträchtigt die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, Aufgaben zu wechseln oder Ablenkungen zu ignorieren“, so McIntosh. Die Struktur der Nervenbahnen erwies sich als verlässlicherer Hinweis auf Aufmerksamkeit und Entwicklungsstand als die aktuelle Aktivität.

Frühzeitige Unterstützung senkt das Risiko für ADHS in der Kindheit

„Diese Altersphase ist entscheidend, weil Kinder dann mit neuen Lernanforderungen konfrontiert werden“, sagt auch Hauptautorin Leanne Rokos. Frühzeitige Maßnahmen wie Verhaltenstherapie, schulische Förderpläne, Training sozialer Fähigkeiten oder Elternschulungen könnten in dieser Zeit besonders wirksam sein.

Wichtige Ergebnisse der Studie in Zahlen:

  • Bei der ersten Untersuchung waren die Kinder im Schnitt knapp sechs Jahre alt.
  • Pro Lebensjahr nahm die Trennung der Gehirnbereiche in abgeschlossene Gruppen messbar ab – um 0,41 Punkte.
  • Innerhalb eines Jahres verbesserten sich die Kinder in allen Aufmerksamkeitstests deutlich.
  • Jedes Gehirnnetzwerk hatte im Schnitt 6.745 stabile Verbindungen.
  • Kinder mit besonders guter selektiver Aufmerksamkeit zeigten eine stärkere Vernetzung im rechten oberen Parietallappen.

Virtuelle Simulationen testen mögliche Therapien

Langfristig wollen die Forscher personalisierte Computermodelle erstellen, die die Entwicklung des kindlichen Gehirns nachbilden. Mit der Plattform „The Virtual Brain“ lassen sich verschiedene Szenarien und mögliche Therapien simulieren – ähnlich wie in einem Flugsimulator, nur für das Gehirn.

Noch ist eine MRT-Analyse zu aufwendig für den Alltag. Ziel ist es, die nötige Datenmenge so zu reduzieren, dass auch einfachere Verfahren eine zuverlässige Einschätzung ermöglichen. „So könnten wir diese Werkzeuge in mehr Gemeinden bringen – auch in ländliche oder abgelegene Regionen – und Kinder so früh wie möglich unterstützen“, sagt McIntosh.

Kurz zusammengefasst: 

  • Zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr bildet sich die Gehirnstruktur entscheidend aus – stabile Vernetzungen fördern Konzentration und Flexibilität.
  • Kinder mit klar organisierten Gehirnnetzwerken zeigen bessere Leistungen bei Aufmerksamkeitstests und können Ablenkungen leichter ausblenden.
  • Frühzeitige Förderung in dieser Entwicklungsphase kann das ADHS-Risiko senken und schulische sowie soziale Fähigkeiten langfristig stärken.

Übrigens: Kinder, die in den ersten beiden Lebensjahren Antibiotika erhalten, haben später ein deutlich höheres Risiko für Übergewicht. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert