Das stille Sterben im Boden – Wenn Mikroben verschwinden, bricht das Ernährungssystem zusammen

Vom Acker bis zum Teller: Mikroben halten unser Lebensmittelsystem am Laufen. Doch Pestizide, Klima und Industrie bringen es aus dem Takt.

Wie Mikrobiome unser Lebensmittelsystem retten könnten

Mikroben im Boden sorgen dafür, dass Pflanzen Nährstoffe aufnehmen, Trockenheit überstehen und gesund wachsen – oft unsichtbar, aber unverzichtbar. © Pexels

Ohne sie gäbe es keinen fruchtbaren Boden, keine gesunden Tiere – und keine haltbaren Lebensmittel: Mikrobiome im Lebensmittelsystem sind die verborgene Kraft hinter allem, was wir essen. Dieses System umfasst die gesamte Kette von der landwirtschaftlichen Produktion über Tierhaltung, Verarbeitung, Transport und Lagerung bis hin zum Verzehr. Und überall wirken Mikroorganismen im Hintergrund: winzige Lebewesen wie Bakterien, Pilze oder Viren. Sie zersetzen organisches Material, schützen Pflanzen vor Krankheiten, regulieren Nährstoffe im Boden – und stabilisieren das empfindliche Gleichgewicht in Flüssen, Meeren und sogar in unserem Darm.

Doch genau dieses Netzwerk ist aus dem Gleichgewicht geraten. Die Zahl der nützlichen Mikroben nimmt weltweit ab – langsam, aber spürbar. Böden laugen aus, Ernten brechen häufiger ein, Lebensmittel verderben schneller. Die Ursache liegt in einem Zusammenspiel menschlicher Eingriffe: intensive Landwirtschaft, Umweltgifte, übermäßiger Antibiotikaeinsatz, die Klimakrise – und eine Ernährung, die auf stark verarbeiteten Produkten basiert. Das zeigt eine internationale Analyse in der Fachzeitschrift Frontiers in Science.

Supermarkt statt Sauerkraut: Warum Mikroben verschwinden

In Böden, Flüssen, in der Luft, in Lebensmitteln und im menschlichen Körper – überall wirken Mikrobiome. Doch moderne Produktionsweisen setzen ihnen zunehmend zu. Die Folgen zeigen sich im Kleinen wie im Großen: Pflanzen wachsen schlechter, Tiere werden anfälliger für Krankheiten, Fische sterben in überdüngten Gewässern, und Menschen verlieren die Vielfalt im eigenen Darm.

Besonders schädlich wirken dabei:

  • Pestizide und Dünger, die Böden belasten und Mikroben im Wasser verdrängen
  • Antibiotika in der Tierhaltung, die das Gleichgewicht in Darm und Umwelt stören
  • Hochverarbeitete Lebensmittel, denen natürliche Mikroorganismen fehlen
  • Einseitige Monokulturen, die die Vielfalt der Bodenlebewesen verringern
  • Unkontrollierter Einsatz von Gülle, der Resistenzen fördert und Mikroben verdrängt

„Der Rückgang mikrobieller Gesundheit zeigt sich in schlechterer Lebensmittelqualität und häufiger auftretenden Krankheiten bei Mensch, Tier und Pflanze“, sagt Dr. Paula Fernández-Gómez vom irischen Teagasc Food Research Centre.

Boden verliert Leben – und Kraft

Ein gesundes Bodenmikrobiom sorgt dafür, dass Pflanzen Nährstoffe aufnehmen können, dass Regenwasser versickert und dass sich Humus bildet. Doch durch Überdüngung, Übernutzung und zu häufiges Pflügen wird dieses sensible Gefüge zerstört. Die Folge: Der Boden verliert Struktur, speichert weniger Wasser – und wird anfällig für Erosion.

Zudem gelangen mit der Gülle oft antibiotikaresistente Keime in die Felder. Diese können sich im Boden ausbreiten – und über Futterpflanzen zurück in Tiere und schließlich auf unsere Teller gelangen.

Auch das Grundwasser leidet. Denn Nitrate und Phosphate aus Düngemitteln können Mikroben im Wasser schädigen. In Seen und Flüssen entstehen dadurch Algenblüten, die Fischen den Sauerstoff rauben – ganze Ökosysteme kippen um.

Hoffnung durch neue Karte der Mikrobiome

Es gibt jedoch Grund zur vorsichtigen Hoffnung. Eine in Frontiers in Science veröffentlichte Übersichtskarte zeigt erstmals, wie Mikrobiome im Lebensmittelsystem weltweit miteinander verbunden sind – und wie sie sich gezielt wieder stärken lassen.

Die Forscher sammelten Daten aus über 250 Studien und rekonstruierten die mikrobielle Landkarte unseres Ernährungssystems. Vom Boden über die Viehzucht und Aquakultur bis zur Lebensmittelverarbeitung und Verdauung: Überall wirken Mikroorganismen zusammen. Und überall gibt es Ansätze, um sie zu unterstützen.

„Gesunde mikrobielle Netzwerke tragen unsere Existenz“, betont Dr. Tanja Kostic vom Austrian Institute of Technology. „Sie treiben Stoffkreisläufe an, schützen Pflanzen und Tiere und erhalten die Gesundheit von Mensch und Umwelt.“

Die Abbildung zeigt, wie Mikrobiome im gesamten Lebensmittelsystem miteinander verbunden sind – von Böden über Pflanzen und Tiere bis zum Menschen. Die Pfeile verdeutlichen, wie sich Mikroben wechselseitig zwischen diesen Bereichen ausbreiten und unsere Gesundheit beeinflussen können. © Frontiers in Science
Die Abbildung zeigt, wie Mikrobiome im gesamten Lebensmittelsystem miteinander verbunden sind – von Böden über Pflanzen und Tiere bis zum Menschen. Die Pfeile verdeutlichen, wie sich Mikroben wechselseitig zwischen diesen Bereichen ausbreiten und unsere Gesundheit beeinflussen können. © Frontiers in Science

Wie Mikroben unsere Nahrung retten können

Durch gezielte Maßnahmen lassen sich Mikroben im Lebensmittelsystem fördern – mit konkreten Vorteilen für Umwelt, Ernährung und Gesundheit. Einige Beispiele:

  • Pflanzen widerstandsfähiger machen: Bakterien helfen, Trockenstress zu überstehen oder Krankheitserreger abzuwehren
  • Futter effizienter nutzen: Probiotika verbessern bei Kühen oder Fischen die Verdauung und senken den Medikamenteneinsatz
  • Haltbarkeit verlängern: Milchsäurebakterien schützen Obst und Milchprodukte vor dem Verderb
  • Weniger Verluste bei Lagerung und Transport: Mikroben helfen, Lebensmittelabfälle zu reduzieren

Besonders spannend: Auch Meeresorganismen wie Korallen oder Muscheln lassen sich mit Hilfe bestimmter Mikroben stärken – etwa nach Umweltkatastrophen oder bei hoher Belastung durch Mikroplastik.

Die Grafik zeigt, wie Wissenschaftler mithilfe moderner Gen- und Molekularanalysen – sogenannter Omics-Methoden – Mikrobiome besser verstehen. Damit lassen sich mikrobielle Netzwerke von der Petrischale bis zur echten Umwelt erfassen, etwa in Böden, Tieren oder Lebensmitteln. Ziel ist es, gezielt in diese Netzwerke einzugreifen, um Pflanzen, Tiere und Menschen gesünder zu machen. © Frontiers in Science
Die Grafik zeigt, wie Wissenschaftler mithilfe moderner Gen- und Molekularanalysen – sogenannter Omics-Methoden – Mikrobiome besser verstehen. Damit lassen sich mikrobielle Netzwerke von der Petrischale bis zur echten Umwelt erfassen, etwa in Böden, Tieren oder Lebensmitteln. Ziel ist es, gezielt in diese Netzwerke einzugreifen, um Pflanzen, Tiere und Menschen gesünder zu machen. © Frontiers in Science

Alle müssen mitdenken: Bauern, Verbraucher, Politik

Die Wissenschaft allein kann das Mikrobiom nicht retten. Damit die Erkenntnisse Wirkung entfalten, braucht es ein Umdenken auf vielen Ebenen. Die Autoren der Studie schlagen deshalb vor:

  • Landwirte können auf Mikroben-freundliche Methoden wie Zwischenfrüchte, Kleeanbau oder Biostimulanzien setzen
  • Unternehmen sollten mikrobielle Lösungen in Produktion und Verarbeitung integrieren
  • Verbraucher können frische, wenig verarbeitete und lokale Produkte bevorzugen
  • Behörden brauchen klare Regeln für den Einsatz von Mikroben in Landwirtschaft und Lebensmitteln
  • Wissenschaft und Bildung sollten das Wissen über Mikrobiome weitergeben und Vertrauen schaffen

„Nur wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, können wir die Mikrobiome unseres Ernährungssystems erhalten und stärken“, sagt Prof. Paul Cotter, Seniorautor der Studie.

Die Abbildung zeigt, wie Mikrobiome im Lebensmittelsystem miteinander verknüpft sind – von Anbau, Tierhaltung und Gewässern bis hin zu Verarbeitung, Handel, Lagerung und dem Umgang mit Lebensmitteln zu Hause. Mikroben begleiten unsere Nahrung entlang der gesamten Lieferkette – und beeinflussen dabei Qualität, Haltbarkeit und Gesundheit. © Frontiers in Science
Die Abbildung zeigt, wie Mikrobiome im Lebensmittelsystem miteinander verknüpft sind – von Anbau, Tierhaltung und Gewässern bis hin zu Verarbeitung, Handel, Lagerung und dem Umgang mit Lebensmitteln zu Hause. Mikroben begleiten unsere Nahrung entlang der gesamten Lieferkette – und beeinflussen dabei Qualität, Haltbarkeit und Gesundheit. © Frontiers in Science

Warum nicht alles so einfach ist

Trotz aller Fortschritte bleibt vieles komplex. Die Zusammensetzung eines Mikrobioms lässt sich inzwischen gut analysieren – aber wie einzelne Mikroben genau wirken, ist oft noch unklar. Dafür braucht es mehr Experimente, auch im Feld. Denn was im Labor funktioniert, klappt in der Praxis oft nicht sofort.

Hinzu kommt: Viele Regeln für Mikrobiome fehlen noch. Es gibt kaum gesetzliche Standards, wie mikrobielle Produkte geprüft oder zugelassen werden sollen. Auch deshalb bleibt der Weg von der Forschung zur breiten Anwendung oft lang.

Doch die Grundidee steht: Wer die kleinen Helfer im Boden, in Pflanzen, Tieren, Lebensmitteln und im eigenen Körper schützt, sorgt für ein stabiles, nachhaltiges und gesundes Ernährungssystem – und gewinnt mehr, als man mit bloßem Auge sehen kann.

Kurz zusammengefasst:

  • Mikrobiome im Lebensmittelsystem sind lebenswichtige Netzwerke aus Mikroorganismen, die Böden fruchtbar machen, Pflanzen schützen und Lebensmittel haltbar halten.
  • Umweltgifte, industrielle Landwirtschaft, Antibiotika und verarbeitete Nahrung stören dieses Gleichgewicht – mit Folgen für Gesundheit, Ernte und Klima.
  • Neue Forschung zeigt, wie Landwirtschaft, Politik und Verbraucher gemeinsam Mikrobiome erhalten und so Ernährungssysteme widerstandsfähiger machen können.

Übrigens: Wenn Mikroben im Boden verschwinden, verlieren Pflanzen nicht nur ihre Nährstoffe – auch unsere mentale Gesundheit gerät aus dem Gleichgewicht. Denn ohne Mikroben fehlen in der Nahrung wichtige Spurenelemente, die unser Gehirn für Stimmung und Konzentration braucht. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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