Die Ostsee vergiftet sich selbst – Altmunition aus dem Zweiten Weltkrieg setzt gefährliche Chemikalien frei
Alte Kriegsmunition rostet am Meeresboden und setzt hochgiftige Stoffe frei. Die Langzeitfolgen könnten für Mensch und Natur gravierend sein.

Aus rostender Altmunition treten giftige Chemikalien in die Meeresumwelt aus. © Jana Ulrich, GEOMAR
Tief unter der Wasseroberfläche der Ostsee lauert ein unsichtbares Problem: Tonnenweise versenkte Altmunition aus dem Zweiten Weltkrieg gibt schleichend giftige Chemikalien ins Meer ab. Eine aktuelle Studie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel zeigt, dass bereits rund 3000 Kilogramm dieser Stoffe ins Wasser gelangt sind. Besonders betroffen sind die Kieler und die Lübecker Bucht. Die Forschungsergebnisse zeigen auf alarmierende Weise das Problem einer Altlast, die über Jahrzehnte verdrängt wurde, aber immer größere Risiken für die Umwelt birgt.
Rostende Waffen: Wie gefährlich ist die Altmunition?
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Munition nicht einfach entsorgt, sondern oft ins Meer gekippt – eine Praxis, die damals als unkomplizierte Lösung galt. Heute liegen rund 300.000 Tonnen dieser Altlasten in der deutschen Ostsee. Die Sprengkörper bestehen aus Metallhüllen, die mit der Zeit rosten und ihre gefährlichen Inhaltsstoffe ins Wasser abgeben.
Die Studie des GEOMAR zeigt, dass sich diese Chemikalien nicht nur direkt um die Versenkungsgebiete herum ausbreiten, sondern auch durch Strömungen weitergetragen werden. Zudem könnte der Klimawandel die Freisetzung beschleunigen: Höhere Wassertemperaturen und häufigere Stürme lassen die Munition schneller zerfallen.
Giftstoffe in fast jeder Wasserprobe
Zwischen 2017 und 2018 entnahmen Forscher des GEOMAR Wasserproben aus verschiedenen Bereichen der südwestlichen Ostsee, insbesondere in der Kieler und Lübecker Bucht. Die Ergebnisse sind erschreckend: In fast jeder Probe fanden sich Spuren von Munitionschemikalien.

„Die Altmunition enthält gefährliche Substanzen wie TNT, RDX und DNB“, erklärt Dr. Aaron Beck, Geochemiker am GEOMAR. „Diese Stoffe sind giftig und zum Teil krebserregend.“ Auch wenn die gemessenen Werte meist noch unterhalb kritischer Grenzwerte für Menschen und Meereslebewesen lagen, zeigten einige Proben eine bedenkliche Nähe zu toxischen Schwellen.
Wo ist die Belastung am höchsten?
Die Forscher stellten fest, dass die Kontamination nicht überall gleich ist. In der Kieler Bucht wurden besonders hohe Mengen an TNT nachgewiesen, während in der Lübecker Bucht eher andere Sprengstoffverbindungen wie RDX und DNB auftraten.
Ein weiteres Problem: Die giftigen Chemikalien sind wasserlöslich und haften kaum an Schwebstoffen oder dem Meeresboden. Das bedeutet, dass sie sich über große Gebiete ausbreiten und nicht einfach durch das Absaugen von Sedimenten entfernt werden können.
Ohne Bergung keine Lösung
Die Forscher berechneten, dass ohne Gegenmaßnahmen noch jahrhundertelang giftige Substanzen ins Meer gelangen werden. Die Munition könnte sich über 800 Jahre hinweg weiter zersetzen und kontinuierlich Schadstoffe freisetzen.
Doch anders als viele andere Umweltgifte lässt sich Altmunition physisch entfernen. „Die Munition liegt konzentriert an bestimmten Stellen, das macht eine Bergung technisch machbar“, sagt Aaron Beck. Die Forscher fordern, dass versenkte Altlasten weltweit als wachsendes Umweltproblem anerkannt und systematisch geborgen werden.
Deutschland startet Pilotprojekt zur Munitionsräumung
Im Herbst 2024 hat die Bundesregierung ein 100-Millionen-Euro-Programm gestartet, um erste Sprengkörper aus der Lübecker Bucht zu bergen. In Zukunft soll eine autonome Bergungsplattform entwickelt werden, die Munition effizienter heben und unschädlich machen kann.
Die Altmunition in der Ostsee ist ein Problem aus der Vergangenheit, das immer noch die Zukunft beeinflusst. Die Forscher des GEOMAR zeigen mit ihrer Studie, dass schnelles Handeln nötig ist – bevor die Belastung weiter zunimmt.
Kurz zusammengefasst:
- In der Ostsee liegen rund 300.000 Tonnen Altmunition aus dem Zweiten Weltkrieg, deren Metallhüllen durch Korrosion zerfallen und dabei giftige Chemikalien wie TNT, RDX und DNB ins Meer abgeben.
- Eine Studie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hat in fast allen Wasserproben aus der Kieler und Lübecker Bucht Munitionsrückstände nachgewiesen, wobei einige Werte nahe an toxische Grenzwerte heranreichen.
- Ohne gezielte Bergung könnten diese Schadstoffe über Jahrhunderte freigesetzt werden, weshalb Deutschland mit einem 100-Millionen-Euro-Programm erste Maßnahmen zur Munitionsräumung eingeleitet hat.
Bild: © Jana Ulrich, GEOMAR