Medical Gaslighting: Wenn Ärzte Patienten nicht ernst nehmen

„Das ist normal in Ihrem Alter“ – doch das ist es nicht. Viele Patienten erhalten keine Diagnose, weil Ärzte ihre Beschwerden ignorieren.

Frauen sind besonders häufig von Medical Gaslighting betroffen. © Pexels

Frauen sind besonders häufig von Medical Gaslighting betroffen. © Pexels

Immer wieder berichten Menschen davon, dass ihre Beschwerden in Arztpraxen nicht ernst genommen werden. Schmerzen, Erschöpfung oder andere Symptome werden ohne gründliche Untersuchung als harmlos abgetan oder auf psychische Ursachen geschoben. Dieses Phänomen wird als Medical Gaslighting bezeichnet. In vielen Fällen verzögert sich dadurch die richtige Diagnose, was für Betroffene schwerwiegende Folgen haben kann. Besonders Frauen, ältere Menschen und Personen mit psychischen Erkrankungen sind häufiger betroffen.

Was bedeutet Medical Gaslighting?

Der Begriff Gaslighting stammt aus der Psychologie und beschreibt eine Manipulationstaktik, bei der Menschen gezielt an ihrer Wahrnehmung zweifeln sollen. Im medizinischen Bereich ist die Bedeutung jedoch eine andere: Hier geht es nicht um bewusste Täuschung, sondern darum, dass Ärzte Symptome vorschnell als unbedeutend einstufen oder fehlinterpretieren.

Laut der Apotheken Umschau betrifft dies vor allem unklare Beschwerden wie chronische Schmerzen, anhaltende Müdigkeit oder unerklärliche Erschöpfungszustände. Patienten erhalten dann oft pauschale Erklärungen wie „Das ist nur Stress“ oder „Das ist normal in Ihrem Alter“, ohne dass eine genauere medizinische Abklärung erfolgt. Dadurch kann es passieren, dass Krankheiten zu spät oder gar nicht erkannt werden.

Warum kommt es zu Medical Gaslighting?

Ein häufiger Grund ist Zeitmangel in der ärztlichen Praxis. Psychotherapeutin Anke Glaßmeyer erklärt laut Apotheken Umschau, dass für Patientengespräche oft nur wenige Minuten zur Verfügung stehen. Ärzte müssen in kurzer Zeit viele Entscheidungen treffen. Wenn Beschwerden nicht sofort einer klaren Diagnose zugeordnet werden können, wird die Problematik manchmal vorschnell heruntergespielt.

Ein weiterer Faktor sind verinnerlichte Vorurteile. Besonders Frauen berichten immer wieder, dass ihre Schmerzen nicht ernst genommen werden oder als psychosomatisch eingestuft werden. Frauen erhalten seltener eine Schmerztherapie als Männer mit vergleichbaren Beschwerden. Auch Menschen aus ethnischen Minderheiten oder mit psychischen Erkrankungen berichten häufiger, dass ihre Symptome ignoriert werden.

Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis

Katrin, heute 39 Jahre alt, litt bereits mit Ende 20 unter schweren Schlafstörungen. Sie konnte oft nur wenige Stunden pro Nacht schlafen, hatte Panikattacken und fühlte sich überfordert. Als sie eine Psychiaterin aufsuchte, wurde ihr mitgeteilt, dass in ihrem Alter solche Beschwerden untypisch seien. Der Rat lautete: mehr Sport treiben.

Drei Jahre später wagte Katrin einen neuen Versuch. Diesmal wurde ihre Problematik ernst genommen. Die Diagnose: wiederkehrende Depressionen in Kombination mit Angststörungen. Dank Psychotherapie und Medikamenten konnte sie ihre Beschwerden unter Kontrolle bringen. Fälle wie ihrer zeigen, wie problematisch Medical Gaslighting sein kann.

Wer ist besonders betroffen?

Besonders häufig betroffen sind Menschen mit unspezifischen Beschwerden, die nicht sofort einer bestimmten Krankheit zugeordnet werden können. Dazu gehören chronische Schmerzen, Migräne, Verdauungsprobleme oder ständige Müdigkeit. Auch Hormonstörungen oder Autoimmunerkrankungen werden oft erst spät erkannt, weil Betroffene zunächst mit allgemeinen Aussagen vertröstet werden.

Laut Apotheken Umschau gibt es zudem Personengruppen, die besonders häufig von Medical Gaslighting betroffen sind. Dazu gehören neben Frauen auch ältere Menschen, Patienten mit psychischen Erkrankungen sowie Menschen aus der LGBTIQ+-Community. Konkrete Zahlen für Deutschland fehlen, doch Untersuchungen zeigen, dass Diskriminierung im Gesundheitswesen existiert.

Welche Folgen kann Medical Gaslighting haben?

Wenn Ärzte Symptome nicht ernst nehmen, kann das weitreichende Konsequenzen haben. Krankheiten bleiben länger unerkannt, und die richtige Therapie beginnt oft zu spät. Glaßmeyer betont, dass viele Erkrankungen früher erkannt werden könnten, wenn Beschwerden sorgfältiger untersucht würden.

Neben den gesundheitlichen Folgen entstehen auch psychische Belastungen. Betroffene entwickeln oft Selbstzweifel und beginnen, an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Manche meiden Arztbesuche in Zukunft aus Angst, erneut nicht ernst genommen zu werden. Dadurch können auch wichtige Vorsorgeuntersuchungen ausbleiben, was die gesundheitlichen Risiken zusätzlich erhöht.

Wie kann man sich schützen?

Wer das Gefühl hat, in einer Arztpraxis nicht ernst genommen zu werden, kann versuchen, das Problem direkt anzusprechen. Sätze wie „Ich habe den Eindruck, dass meine Beschwerden nicht ausreichend berücksichtigt werden“ können helfen, eine erneute Einschätzung zu erhalten.

Experten raten dazu, sich eine zweite Meinung einzuholen oder eine Begleitperson zum Arzttermin mitzunehmen. Eine zusätzliche Stimme kann helfen, Anliegen klarer zu vermitteln. Auch das Führen eines Symptom-Tagebuchs kann hilfreich sein. Dort lassen sich Beschwerden genau dokumentieren, um dem medizinischen Personal eine bessere Grundlage für eine Diagnose zu geben.

Anlaufstellen für Betroffene

Unterstützung erhalten Patienten bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Dort gibt es kostenlose Beratung zu medizinischen Fragen und Patientenrechten. Wer sich über einen Arzt beschweren möchte, kann sich zudem an die Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer wenden.

Kurz zusammengefasst:

  • Medical Gaslighting bezeichnet die vorschnelle Abwertung oder Fehldeutung von Symptomen durch Ärzte, was oft zu verzögerten Diagnosen und gesundheitlichen Risiken führt.
  • Häufige Ursachen sind Zeitmangel in der ärztlichen Praxis, mangelnde Kommunikation sowie tief verwurzelte Vorurteile, die besonders Frauen, ältere Menschen und psychisch Erkrankte betreffen.
  • Betroffene können sich schützen, indem sie eine zweite Meinung einholen, Symptome dokumentieren und sich bei Beratungsstellen wie der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) Unterstützung holen.

Bild: © Pexels

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