Junge Menschen wollen mitreden – und werden ignoriert: Welche Fehler die Politik macht
Junge Deutsche fühlen sich von der Politik übersehen. Ihre Motivation zu handeln bleibt gering – außer auf lokaler Ebene.
Von wegen, die Gen Z ist faul und desinteressiert: Eine neue Befragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die Jugend in Deutschland großes Interesse an gesellschaftlichen und politischen Themen hat. Frieden, mentale Gesundheit, Bildung und Inflation zählen zu den Themen, die junge Menschen besonders bewegen. Zwei Drittel der 16- bis 30-Jährigen möchten sich intensiver mit diesen Sachverhalten beschäftigen. Doch während das Interesse groß ist, bleibt die Bereitschaft zum Engagement gering. Nur knapp jeder Fünfte glaubt, dass persönliches Engagement tatsächlich etwas bewirkt. Fast 40 Prozent gehen davon aus, dass gesellschaftliche Verhältnisse unveränderlich sind. Für Regina von Görtz von der Bertelsmann Stiftung steht fest: „Junge Menschen würden sich politisch mehr engagieren, wenn sie wüssten, dass ihr Einsatz tatsächlich eine Wirkung entfaltet und ihre Argumente Gehör finden.“
Die Ergebnisse basieren auf der Studie „Junges Engagement für sozialen Wandel“. Das Meinungsforschungsinstitut Verian befragte im Auftrag der Bertelsmann Stiftung 2.532 junge Menschen zwischen 16 und 30 Jahren. Die repräsentative Befragung fand zwischen dem 13. und 29. März 2024 statt und wurde nach Alter, Geschlecht, Region, Bildungsgrad und Migrationshintergrund gewichtet.
Hindernisse für Engagement: Fehlende Strukturen und Vertrauen
Neben dem grundsätzlichen Zweifel, ob persönliches Engagement überhaupt etwas verändern kann, sehen viele junge Menschen weitere Hürden. Laut der Befragung wissen 43 Prozent der Jugendlichen nicht, wie und wo sie sich einbringen können. Die Hälfte der Befragten beklagt, dass es abseits von Wahlen zu wenig Möglichkeiten für politische Teilhabe gibt. Parteien und politische Institutionen stoßen bei der jungen Generation auf große Skepsis: Weniger als zehn Prozent glauben, dass Parteien offen für die Ideen junger Menschen sind. Noch weniger sind davon überzeugt, dass Politiker die Sorgen der Jugend ernst nehmen.
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Trotz dieser Kritik sieht die Jugend in der Demokratie die beste Regierungsform. Rund 61 Prozent der Befragten bewerten sie als grundsätzlich positiv, auch wenn fast jeder Zweite unzufrieden mit ihrer aktuellen Umsetzung in Deutschland ist. Besonders in Ostdeutschland ist die Unzufriedenheit höher als im Westen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Vertrauen in die Demokratie und Misstrauen gegenüber politischen Institutionen zeigt laut von Görtz, dass es dringend bessere Beteiligungsmöglichkeiten braucht.
Lokales Engagement: Nähe schafft Motivation
Laut der Befragung wäre die Jugend auf lokaler Ebene eher bereit, aktiv zu werden. Viele junge Menschen glauben, dass sie im direkten Umfeld mehr bewirken können als auf nationaler Ebene. Themen wie Glasfaserausbau oder die Gestaltung von Freizeitflächen scheinen greifbarer und motivieren stärker als abstrakte Debatten auf Bundesebene. Gleichzeitig ist das Wissen über konkrete Beteiligungsmöglichkeiten in der eigenen Gemeinde gering. Von Görtz fordert daher: „Wir brauchen passgenaue und niedrigschwellige Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen in ihrem Umfeld.“
Ein Beispiel für solche Formate könnten Jugendbeiräte sein. Diese Gremien ermöglichen jungen Menschen, ihre Ideen in lokale Entscheidungsprozesse einzubringen. Doch allein Strukturen reichen nicht aus.
Alibi-Beteiligung hilft niemandem. Verantwortliche auf lokaler Ebene müssen jungen Menschen auf Augenhöhe begegnen und ihren Positionen ernsthaft Beachtung schenken.
Regina von Görtz
Kulturwandel in Politik und Gesellschaft gefordert
Neben strukturellen Veränderungen plädiert die Bertelsmann Stiftung für einen umfassenden Kulturwandel. Junge Menschen müssten sich ernst genommen fühlen, um motiviert zu sein. Politiker und Entscheidungsträger sollten als Vorbilder auftreten und zeigen, dass Engagement geschätzt wird. Von Görtz erklärt: „Sie können als Vorbilder junge Erwachsene ermutigen, ihre Interessen selbstbewusst zu vertreten.“ Dieser Ansatz sei essenziell, um Vertrauen in politische Prozesse aufzubauen.
Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die Jugend nicht unpolitisch oder gleichgültig ist. Vielmehr wünschen sich junge Menschen Beteiligung auf Augenhöhe und sichtbare Ergebnisse ihres Engagements. Ein solches Umfeld kann nicht nur das Engagement der Jugend stärken, sondern auch die Demokratie insgesamt fördern.
Was du dir merken solltest:
- Die Jugend in Deutschland zeigt großes Interesse an gesellschaftlichen Themen, empfindet jedoch fehlende Beteiligungsmöglichkeiten und mangelndes Gehör als Hürden für politisches Engagement.
- Viele junge Menschen sehen auf lokaler Ebene mehr Chancen für Veränderungen, wissen aber oft nicht, wie sie sich konkret einbringen können.
- Ernst gemeinte Beteiligungsformate, wie Jugendbeiräte, und ein Kulturwandel in Politik und Gesellschaft könnten das Engagement der Jugend fördern und das Vertrauen in die Demokratie stärken.
Übrigens: Der Psychologe Jonathan Haidt erklärt, wie Handynutzung Kindheit und Psyche beeinflusst. Laut Haidt züchten wir mit Smartphones eine „Generation Angst“ heran. Mehr dazu erfährst du in unserem Artikel.
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