Wie eine Milbe seit 20 Millionen Jahren ohne Sex auskommt – und damit einen Pfeiler der Evolution umstößt

Seit 20 Millionen Jahren trotzt die Hornmilbe einer Regel der Evolution: Ohne Sex nutzt sie genetische Tricks, um sich anzupassen.

Eine Milbe pflanzt sich schon seit 20 Millionen Jahren vollkommen asexuell fort – nun wissen Forscher, warum sie noch nicht ausgestorben ist. © Dr. Mark Maraun/Dr. Katja Wehner

Eine Milbe pflanzt sich schon seit 20 Millionen Jahren vollkommen asexuell fort – nun wissen Forscher, warum sie noch nicht ausgestorben ist. © Dr. Mark Maraun/Dr. Katja Wehner

Ein internationales Forschungsteam der Universität zu Köln hat untersucht, wie eine Hornmilbe seit Millionen Jahren ohne Sex überlebt – und damit eine Regel der Evolution zu brechen scheint. Mithilfe moderner Genomsequenzierung wurde ein Mechanismus entdeckt, der genetische Vielfalt erzeugt und das Überleben der Milbe sichert.

Die Studie zeigt, dass sich die beiden Chromosomenkopien von Platynothrus peltifer, einer asexuellen Milbenart, unabhängig voneinander entwickeln – ein Phänomen, das als „Meselson-Effekt“ bekannt ist. Diese genetische Dynamik ermöglicht es den Milben, auf Umweltveränderungen zu reagieren, obwohl sie sich ausschließlich parthenogenetisch, also ohne männliche Beteiligung, fortpflanzen.

Die Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht wurden, stellen eine gängige Evolutionstheorie infrage. Laut dieser sind Sex und genetische Vielfalt untrennbar miteinander verbunden, um das Aussterben zu verhindern. Doch die Hornmilbe beweist das Gegenteil: Sie existiert seit mehr als 20 Millionen Jahren, obwohl sie ihre Nachkommen aus unbefruchteten Eiern hervorbringt.

Genetische Vielfalt ohne Sex

Die Milbe nutzt mehrere Strategien, um genetische Vielfalt zu erzeugen. Zum einen entwickeln sich die beiden Kopien ihres Chromosomensatzes unabhängig voneinander, was neue genetische Varianten entstehen lässt. Gleichzeitig bleiben essenzielle Informationen erhalten. Besonders spannend ist, dass sich die Genexpression – also die Aktivität der Gene – zwischen den Chromosomenkopien unterscheidet. Diese Unterschiede bieten der Milbe einen Vorteil, da sie schnell auf veränderte Umweltbedingungen reagieren kann.

Ein weiteres bemerkenswertes Element ist der horizontale Gentransfer (HGT). Dabei nehmen Milben genetisches Material von artfremden Organismen auf, was ihnen neue Fähigkeiten verleiht. „Horizontaler Gentransfer […] funktioniert wie das Hinzufügen neuer Werkzeuge zu einem bestehenden Werkzeugkasten“, erklärt Dr. Hüsna Öztoprak, die Erstautorin der Studie. Einige dieser Gene helfen den Milben, Zellwände zu verdauen, wodurch sich ihr Nahrungsspektrum erweitert.

Springende Gene sorgen für Dynamik

Neben dem HGT spielen sogenannte springende Gene, auch transponierbare Elemente (TE) genannt, eine zentrale Rolle. Diese Gene bewegen sich innerhalb des Genoms und beeinflussen dessen Dynamik. Die Aktivität dieser TEs variiert zwischen den beiden Chromosomenkopien: Während sie auf einer Kopie aktiv sind und genetische Veränderungen ermöglichen, bleiben sie auf der anderen inaktiv. Diese Balance zwischen Stabilität und Flexibilität trägt zur langfristigen Anpassungsfähigkeit der Milben bei.

Die Forscher der Universität zu Köln konnten erstmals zeigen, wie asexuelle Organismen wie die Hornmilbe genetische Stagnation vermeiden – ein Hauptproblem der Fortpflanzung durch Parthenogenese, bei der für gewöhnlich zum Muttertier identische Kopien gezeugt werden.

Forschung wirft neue Fragen auf

Wie so häufig in der Forschung werfen Antworten auch neue Fragen auf: Wie genau beeinflussen die unterschiedlichen Mechanismen zum Beispiel die langfristige Evolution? Um diese Frage zu beantworten, sind laut Dr. Jens Bast, Emmy Noether-Gruppenleiter der Universität zu Köln, weitere Untersuchungen nötig.

In künftigen Forschungsprojekten möchten wir herausfinden, ob es noch weitere Mechanismen gibt, die für eine Evolution ohne Sex von Bedeutung sind.

Dr. Jens Bast

Die Untersuchung der Hornmilbe liefert neue Einblicke in die Überlebensstrategien von Organismen, die auf sexuelle Fortpflanzung verzichten. Die im Rahmen der Studie gewonnenen Erkenntnisse könnten auch auf andere asexuelle Spezies übertragbar sein.

Kurz zusammengefasst:

  • Die Universität zu Köln hat herausgefunden, wie die asexuelle Hornmilbe Platynothrus peltifer durch unabhängige Chromosomenentwicklung genetische Vielfalt schafft und so seit über 20 Millionen Jahren ohne Sex überlebt.
  • Mithilfe moderner Genomsequenzierung wurden Mechanismen wie der „Meselson-Effekt“ und der horizontale Gentransfer entdeckt, die der Milbe Anpassungsfähigkeit und neue Fähigkeiten verleihen.
  • Diese Erkenntnisse geben Einblicke in die Überlebensstrategien asexueller Organismen und zeigen, dass sexuelle Fortpflanzung nicht der einzige Weg ist, auf dem Evolution möglich ist.

Bild: © Dr. Mark Maraun/Dr. Katja Wehner

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