Mäuse als Mini-Sanitäter: Sie retten bewusstlose Artgenossen mit „Erster Hilfe“
Mäuse erkennen Notfälle und leisten „Erste Hilfe“ für Artgenossen.
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Junge Mäuse helfen bewusstlosen Artgenossen, indem sie deren Zunge herausziehen. © Wenjian Sun et al. 2025
Mäuse sind nicht gerade für ihr soziales Verhalten bekannt. Doch neue Forschungen zeigen Erstaunliches: Junge Mäuse leisten „Erste Hilfe“ für bewusstlose Artgenossen. Sie belecken, stupsen und beißen ihre reglosen Käfiggenossen sanft – und ziehen ihnen sogar die Zunge aus dem Maul, um die Atemwege freizumachen. Diese überraschende Fähigkeit wurde in einer Studie der University of Southern California (USC) dokumentiert. Die Forscher vermuten, dass das Verhalten tief in den Instinkten der Tiere verankert ist.
Mäuse erkennen, wenn ein Artgenosse Hilfe braucht
Die Forscher um Li Zhang beobachteten das Verhalten von Labormäusen in einer speziellen Versuchsanordnung. Eine wache Maus wurde mit einem Käfiggenossen zusammengesetzt, der zuvor unter Narkose gesetzt worden war und sich nicht bewegen konnte. Das Ergebnis: Die wachen Mäuse widmeten ihrem reglosen Mitbewohner fast die Hälfte der 13-minütigen Beobachtungszeit. Dabei folgte ihr Verhalten einem Muster: Zunächst schnüffelten sie an ihm, dann begannen sie, ihn zu belecken und schließlich wurden sie noch aktiver.
Sie öffnen tatsächlich das Maul des anderen und ziehen die Zunge heraus.
Li Zhang
Diese Reaktion deutet darauf hin, dass Mäuse instinktiv versuchen, einen bewusstlosen Artgenossen zu retten.
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Warum Mäuse an der Zunge ziehen
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Tiere in mehr als der Hälfte der Fälle gezielt an der Zunge der bewusstlosen Maus zogen. Dieses Verhalten hat einen klaren biologischen Zweck: Wenn eine Maus bewusstlos ist, kann ihre Zunge in den Rachen rutschen und die Atemwege blockieren. Das würde dazu führen, dass das Tier keine Luft mehr bekommt. Indem die wachen Mäuse die Zunge herausziehen, sorgen sie dafür, dass ihr Artgenosse weiter atmen kann.
In einem weiteren Test wurde überprüft, ob die Mäuse auch auf andere Hindernisse in den Atemwegen reagieren. Die Forscher legten einen kleinen, ungiftigen Plastikball ins Maul der bewusstlosen Maus – und in 80 Prozent der Fälle entfernten die Artgenossen ihn erfolgreich. „Hätten wir länger beobachtet, wäre die Erfolgsquote vermutlich noch höher gewesen“, erklärte Huizhong Tao, ein Mitglied des Forschungsteams, laut NewScientist.
Pflege hilft beim schnelleren Aufwachen
Die Versuche zeigten, dass bewusstlose Mäuse, die von Artgenossen umsorgt wurden, schneller wieder zu Bewusstsein kamen. Sie bewegten sich früher als diejenigen, die keine Hilfe erhielten. Sobald die reglose Maus erste Anzeichen von Bewegung zeigte, verringerten die Helfer ihr Engagement und hörten schließlich auf.
Spannend war auch, dass Mäuse sich intensiver um bewusstlose Artgenossen kümmerten, wenn sie diese bereits kannten. Das deutet darauf hin, dass soziale Bindungen eine Rolle bei diesem Verhalten spielen könnten.
Oxytocin als Schlüssel zum Fürsorgeverhalten
Die Forscher vermuten, dass dieses Rettungsverhalten durch das Hormon Oxytocin gesteuert wird. Oxytocin wird oft als „Bindungshormon“ bezeichnet, weil es unter anderem für Mutter-Kind-Bindungen und andere soziale Interaktionen wichtig ist. Im Gehirn der Mäuse wurde eine erhöhte Aktivität von Oxytocin-produzierenden Nervenzellen festgestellt – besonders in Regionen, die mit Empathie und sozialem Verhalten verbunden sind.
Helfen auch wilde Mäuse ihren Artgenossen?
Ob dieses Verhalten auch in der freien Natur vorkommt, ist unklar. Wildlebende Mäuse sind scheu und meiden offene Flächen, weil sie als Beutetiere vielen Gefahren ausgesetzt sind. Cristina Márquez vom Center for Neuroscience and Cell Biology in Portugal erklärte laut NewScientist: „Dass wir es nicht sehen, heißt nicht, dass es nicht passiert.“ Es könnte sein, dass Mäuse auch außerhalb des Labors bewusstlosen Artgenossen helfen – nur bleibt derartiges Verhalten für Forscher oft verborgen.
Kurz zusammengefasst:
- Junge Mäuse helfen bewusstlosen Artgenossen, indem sie sie belecken, sanft beißen und ihre Zunge herausziehen, um die Atemwege freizumachen.
- Experimente der University of Southern California zeigen, dass dieses Verhalten instinktiv ist und durch das Hormon Oxytocin gesteuert wird.
- Mäuse, die gepflegt wurden, wachten schneller auf, was darauf hindeutet, dass soziale Bindungen in der Tierwelt eine größere Rolle spielen als bisher angenommen.
Bild: © Wenjian Sun et al. 2025