Killerwale übergeben Beute an Menschen – und warten ab, was passiert
Immer wieder kommt es zu Begegnungen, bei denen wilde Orcas ihre Beute mit Menschen teilt – aber warum tun die Meeressäuger das?

Glücklicherweise sehen Killerwale Menschen nicht als Beute an – Seehunde haben da weniger Glück. © Callan Carpenter
Ein Killerwal nähert sich einem Taucher – in seinem Maul ein toter Fisch. Dann lässt er ihn fallen. Nicht für ein Familienmitglied, das in der Nähe herumschwimmt, sondern für den Menschen vor ihm. Weltweit dokumentierten Forscher bereits 34 Fälle, in denen wilde Orcas bewusst Beute an Menschen übergaben – quasi als Geschenk. In vielen Fällen warteten sie nach der Übergabe still ab – ganz so, als wollten sie beobachten, wie die Menschen darauf reagieren. Was steckt hinter diesem Verhalten der Tiere?
Orcas beschenken Menschen auf der ganzen Welt
Eine neue Studie beschäftigte sich tiefergehend mit diesem Phänomen. Sie analysierte dokumentierte Begegnungen, die sich zwischen den Jahren 2004 und 2024 ereignet hatten. Die beobachteten Orcas stammten aus sechs Populationen, verteilt über vier Ozeane – darunter Tiere aus Norwegen, Argentinien, Neuseeland und dem östlichen Pazifik.

In den meisten dieser Begegnungen (62 Prozent) befanden sich die Menschen auf Booten, bei rund einem Drittel der Fälle (32 Prozent) schwammen sie mit den Orcas im Wasser. Nur zwei Fälle ereigneten sich am Ufer. Wichtig: Die Menschen suchten den Kontakt nicht selbst – die Tiere näherten sich von allein und legten die Beute direkt in Reichweite ab.
Die Geschenke der Orcas bestanden überwiegend aus Fischen, Säugetieren, wirbellosen Tieren und Vögeln. Ein Reptil und eine Alge waren aber auch dabei. Die Hälfte der Gaben bestand aus ganzen Tieren, die andere Hälfte aus Beuteteilen.
Nach der Übergabe warteten die Tiere durchschnittlich fünf Sekunden, manchmal auch deutlich länger. In fast allen Fällen beobachteten sie, ob die Menschen reagieren. In 88 Prozent der Situationen ignorierten die Menschen die Gabe. Doch die Wale kehrten teilweise wieder zurück – bis zu dreimal in Folge mit derselben Beute.
Von jung bis alt, allein oder in einer Gruppe
In 26 Fällen holten sich die Orcas die Beute wieder zurück. Manchmal fraßen sie sie selbst oder teilten sie mit Artgenossen. In sieben Fällen legten sie sie erneut vor den Menschen ab. Zwei Orcas brachten gleichzeitig je einen toten Vogel zurück – und platzierten beide Tiere nebeneinander vor dem Menschen.
In 62 Prozent der beobachteten Fälle handelte es sich um Einzeltiere. Neun weitere Begegnungen gingen auf Paare zurück, vier auf kleine Gruppen. Dabei wurden Tiere aller Altersklassen dokumentiert: Kälber, Jungtiere, junge Erwachsene und Erwachsene.

Forscher sehen darin nicht nur Spiel, sondern Neugier
Die Autoren der Studie vermuten hinter dem Verhalten mehr als reinen Spieltrieb. Sie interpretieren die Szenen eher als exploratives Verhalten. Vielleicht versuchen die Orcas aktiv herauszufinden, wie Menschen mit Beute umgehen. 38 Prozent der dokumentierten Fälle zeigten begleitendes Spielverhalten. Doch der Großteil der Szenen wirkte ruhig, gezielt und beobachtend.
Orcas, auch Killerwale oder Schwertwale genannt, sind eigentlich gar keine Wale, sondern Delfine – noch dazu die größte heute vorkommende Art. Sie zählen zu den intelligentesten Tieren überhaupt mit einem besonders ausgeprägten Sozialverhalten. Das Teilen von Nahrung ist bei Orcas bereits bekannt, vor allem innerhalb der eigenen Gruppe. Doch die aktuelle Analyse zeigt, dass einige Populationen dieses Verhalten scheinbar auch auf den Menschen übertragen haben – vor allem Gruppen, die in hellen, flachen Gewässern jagen.
„Diese Fälle legen nahe, dass in manchen Orca-Populationen eine Kultur der generalisierten Gegenseitigkeit existiert“, schreiben die Forscher. Das bedeutet, die Tiere handeln kooperativ – und das nicht nur gegenüber ihrer eigenen Spezies.
Kurz zusammengefasst:
- Wissenschaftler dokumentierten 34 Fälle, in denen wilde Orcas Menschen gezielt Beute anboten.
- Die Tiere handelten dabei eigenständig, beobachteten die Reaktion und wiederholten das Verhalten teils mehrfach.
- Die Studie deutet darauf hin, dass einige Orca-Populationen über eine ausgeprägte Fähigkeit zu interspezifischem Sozialverhalten verfügen.
Übrigens: Das ist nicht das erste Mal, dass Orcas mit ihrem Verhalten Forschende überraschen. Im Jahr 2024 fingen einige Individuen damit an, tote Lachse als eine Art „Hut“ zu tragen – und das rund 40 Jahre, nachdem dieser Trend eigentlich bereits verflogen war. Mehr dazu gibt es in diesem Artikel.
Bild: © Callan Carpenter via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0