Forscher entdecken Schalter im Gehirn, der Schmerz ein- und ausschaltet
Ein Team der Tulane University fand heraus, dass Nervenzellen ein Enzym freisetzen, das Schmerzsignale im Gehirn wie ein Schalter aktiviert.
Forscher haben entdeckt, dass ein Enzym im Gehirn bestimmt, wie stark Schmerzen empfunden werden – ein möglicher Wendepunkt für viele Betroffene. © Pexels
Millionen Menschen in Deutschland leben mit Schmerzen – ob nach Operationen, bei chronischen Erkrankungen oder nach Verletzungen. Viele Medikamente helfen nur begrenzt oder verursachen Nebenwirkungen. Ein Forschungsteam aus den USA hat nun einen Mechanismus entdeckt, der den Schmerz direkt dort beeinflusst, wo er entsteht: im Gehirn. Die Erkenntnis eröffnet neue Wege für Therapien, die Schmerzsignale im Gehirn gezielt stoppen könnten, ohne das Nervensystem zu stören.
Die Studie stammt von der Tulane University in Zusammenarbeit mit acht weiteren Forschungseinrichtungen, darunter Princeton University und University of Texas. Im Mittelpunkt steht ein winziges Enzym, das Nervenzellen außerhalb ihrer Membran freisetzen. Es wirkt wie ein molekularer Schalter, der entscheidet, ob Schmerzsignale weitergegeben werden oder nicht.
Neues Enzym steuert Schmerzsignale im Gehirn
Das Enzym trägt den Namen Vertebrate Lonesome Kinase (VLK). Es beeinflusst Proteine, die sich auf der Oberfläche benachbarter Nervenzellen befinden – also außerhalb der Zelle. Diese Art der Signalübertragung war bisher unbekannt.
„Wir haben entdeckt, dass ein von Nervenzellen freigesetztes Enzym Proteine auf der Außenseite anderer Zellen verändern kann, um Schmerzsignale zu aktivieren – ohne Bewegung oder Wahrnehmung zu beeinträchtigen“, erklärt Studienleiter Matthew Dalva, Direktor des Tulane Brain Institute. VLK kann Schmerz aktivieren, ohne das gesamte Nervensystem zu stören.
Das Team fand zudem heraus, dass VLK eine wichtige Rolle bei Lern- und Gedächtnisprozessen spielt. Beide Systeme – Schmerz und Lernen – nutzen offenbar ähnliche molekulare Wege. Das erklärt, warum starke Schmerzen manchmal Erinnerungen besonders tief einprägen.
VLK steuert Schmerzreaktionen ohne das Nervensystem zu stören
Um die Wirkung von VLK zu überprüfen, entfernten die Wissenschaftler das Enzym in speziellen Nervenzellen von Mäusen. Nach Operationen reagierten die Tiere kaum auf Schmerzen, konnten sich aber weiterhin normal bewegen und tasten. Als VLK künstlich erhöht wurde, nahmen die Schmerzreaktionen deutlich zu.
Mitautor Ted Price von der University of Texas sagt: „Diese Studie geht an den Kern dessen, wie synaptische Plastizität funktioniert – also wie sich Verbindungen zwischen Nervenzellen verändern.“
Für die Medizin ist das bedeutsam. Viele gängige Schmerzmittel blockieren Rezeptoren im Nervensystem – etwa die sogenannten NMDA-Rezeptoren. Diese lindern zwar Schmerzen, führen aber oft zu Nebenwirkungen wie Schwindel, Gedächtnisstörungen oder Muskelschwäche. Der neue Ansatz zielt dagegen auf Prozesse an der Zelloberfläche. Medikamente müssten nicht mehr in die Zellen eindringen, sondern könnten von außen wirken.
Neuer Mechanismus macht gezielte Schmerztherapie möglich
Die Forscher hoffen, auf Basis dieser Erkenntnisse neue Wirkstoffe zu entwickeln. Solche Präparate könnten Schmerzprozesse unterbrechen, ohne wichtige neuronale Funktionen zu blockieren. Das wäre ein entscheidender Fortschritt in der Schmerzmedizin – vor allem für Menschen mit chronischen Beschwerden.
„Es eröffnet eine völlig neue Denkweise, wie sich Zellverhalten beeinflussen lässt und möglicherweise einen einfacheren Weg, Medikamente zu entwickeln, die von außen wirken, statt in die Zelle einzudringen“, so Dalva.
Neue Perspektive für die Schmerzforschung
Schmerztherapie könnte so in Zukunft deutlich präziser werden. Statt auf breit wirkende Mittel wie Opiate angewiesen zu sein, könnten Medikamente gezielt bestimmte Enzyme hemmen oder aktivieren.
Die Forscher planen nun weitere Untersuchungen, um zu prüfen, ob dieser Mechanismus nur wenige Proteine betrifft oder ein grundlegendes Prinzip der Zellkommunikation beschreibt. Sollte sich Letzteres bestätigen, könnte die Entdeckung weitreichende Bedeutung für andere Erkrankungen des Nervensystems haben.
Kurz zusammengefasst:
- Wissenschaftler der Tulane University haben entdeckt, dass das Enzym VLK Schmerz aktivieren oder stoppen kann, indem es Proteine außerhalb von Nervenzellen verändert.
- Schmerzsignale im Gehirn entstehen nicht nur innerhalb der Zellen, sondern auch im Zwischenraum – ein bislang unbekannter Mechanismus, der neue Therapieansätze ermöglicht.
- Medikamente könnten künftig gezielt an diesem Enzym ansetzen und Schmerzen lindern, ohne das Nervensystem zu beeinträchtigen oder starke Nebenwirkungen zu verursachen.
Übrigens: Nicht immer steckt eine Verletzung oder Entzündung hinter ständigen Schmerzen. Experten vermuten, dass Nährstoffmangel im Körper die Beschwerden verstärken kann – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Pexels
