Wenn Nervenzellen aus dem Takt geraten – Risiko für Autismus und Epilepsie steigt

Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts nennt Störungen der Zellreifung im Gehirn als mögliche Ursache für Autismus und Epilepsie.

Junge Nervenzellen reifen schneller als früh gebildete Zellen: Auf diese Weise können sie ihren zeitlichen Rückstand ausgleichen und sich rechtzeitig in neuronale Netzwerke integrieren. © MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl

Junge Nervenzellen reifen schneller als früh gebildete Zellen: Auf diese Weise können sie ihren zeitlichen Rückstand ausgleichen und sich rechtzeitig in neuronale Netzwerke integrieren. © MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl

Das menschliche Gehirn besteht aus Milliarden von Nervenzellen und es bildet stetig neue. Gegenüber solchen, die früher geboren wurden, haben diese jedoch einen entscheidenden Nachteil: Sie müssen das Wachstum bestehender Nervenzellen aufholen. Das Gehirn hat dafür eine Lösung parat, doch diese ist nicht fehlerfrei – und sie könnte eine mögliche Ursache für Autismus und Epilepsie darstellen.

Zwei Zelltypen sorgen für Gleichgewicht

Nicht alle Nervenzellen entwickeln sich im gleichen Tempo: Diejenigen, die später entstehen, reifen umso rascher heran. Das hat ein Forschungsteam am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz bei Versuchen mit Mäusen beobachtet.

Die Studie liefert neue Erkenntnisse darüber, wie das Gehirn selbst bei zeitlich versetzter Zellbildung ein stabiles Gleichgewicht bewahren kann:

  • Hemmende Nervenzellen, auch inhibitorische Neuronen genannt, übernehmen im Gehirn eine ausgleichende Funktion.
  • Sie dämpfen die Aktivität und stehen den erregenden Nervenzellen gegenüber, die Signale verstärken und weiterleiten.

Spät gebildete Nervenzellen holen auf

Nervenzellen, die erst später im Entwicklungsprozess entstehen, reifen schneller als früh gebildete Zellen. Auf diese Weise können sie ihren zeitlichen Rückstand ausgleichen und sich rechtzeitig in neuronale Netzwerke integrieren. 

Christian Mayer, der die Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz leitet, erklärt: „Das ist wichtig, weil ansonsten die früher entstandenen Nervenzellen durch ihre längere Entwicklungszeit eventuell mehr synaptische Verbindungen aufbauen können als die später geborenen Nervenzellen.“

Ohne einen Ausgleich würde das Netzwerk aus dem Gleichgewicht geraten und einzelne Zellen wären zu stark oder zu schwach mit anderen verknüpft.

Christian Mayer

Verbindungen zu Entwicklungsstörungen

Das Forschungsteam untersuchte auch, welche biologischen Mechanismen hinter der beschleunigten Entwicklung stehen. Dabei zeigte sich: Bestimmte Gene regulieren, wie schnell sich die Vorläuferzellen zu funktionsfähigen Nervenzellen entwickeln. Im Zentrum steht die sogenannte Chromatin-Landschaft – sie beeinflusst, welche Erbinformationen aktiv genutzt werden.

Die Forscher vermuten, dass Fehler in diesem Regulationsprozess eine Rolle bei der Entstehung neurologischer Erkrankungen spielen könnten. Bereits in der Embryonalphase können Störungen der Zellreifung den Weg zu Krankheiten wie Autismus oder Epilepsie bereiten. Die Ergebnisse bieten neue Anhaltspunkte, um diese Entwicklungsstörungen besser zu verstehen und gezielter zu untersuchen.

Das menschliche Gehirn ist ein Marathonläufer

Im Vergleich zu anderen Säugetieren verläuft die Entwicklung des menschlichen Gehirns besonders langsam. Diese lange Reifungsphase ermöglicht es ihm allerdings, komplexe Netzwerke aufzubauen und Lernprozesse über Jahre hinweg zu gestalten. 

Das Gehirn des Menschen ist im Gegensatz zu anderen Säugetieren kein Sprinter, sondern ein Marathonläufer: Es kommt zwar langsamer voran, dafür aber auch sehr viel weiter. Diese verlängerte Entwicklungszeit könnte eine Voraussetzung für die besonderen kognitiven Fähigkeiten des Menschen sein.

Kurz zusammengefasst:

  • Spät geborene hemmende Nervenzellen reifen schneller und gleichen so ihren zeitlichen Rückstand aus.
  • Dieser Ausgleich sorgt dafür, dass das neuronale Netzwerk im Gehirn stabil bleibt.
  • Gesteuert wird dieser Prozess durch genetische Mechanismen, die bei Störungen mit Entwicklungskrankheiten wie Autismus oder Epilepsie in Verbindung stehen könnten.

Übrigens: Hirnforscher gingen lange Zeit davon aus, dass sich im Gehirn erwachsener Menschen keine neuen Nervenzellen mehr bilden. Eine neue Studie widerlegt diese Annahme jedoch – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl

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