Uralter Kohlenstoff entweicht aus Flüssen – Teufelskreis durch den Klimawandel
Flüsse leiten uralten Kohlenstoff in die Atmosphäre. Ursachen sind unter anderem steigende Temperaturen und menschliche Eingriffe.

700 Flussabschnitte in 26 Ländern: Der Umfang der Messungen zeigt, dass es sich um ein globales Phänomen handelt. © Pexels
Flüsse setzen nicht nur frischen Kohlenstoff frei. Viel gefährlicher ist das, was bisher kaum jemand beachtet hat: Sie lassen riesige Mengen uralten Kohlenstoffs in die Atmosphäre entweichen. Dieser Kohlenstoff lag eigentlich sicher in Böden, Mooren und Gestein eingeschlossen. Doch jetzt gerät er in Bewegung. Wissenschaftler unter Leitung der University of Bristol haben das Ausmaß erstmals genau erfasst.
Dafür analysierten sie die Gase von über 700 Flussabschnitten in 26 Ländern. Mit Hilfe der Radiokohlenstoff-Datierung bestimmten sie präzise das Alter von Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4), die aus den Flüssen aufsteigen. Das Ergebnis stellt bisherige Annahmen auf den Kopf: Etwa 60 Prozent dieser Emissionen stammen aus jahrtausendealten Speicherstätten.
Alter Kohlenstoff entweicht unbemerkt
„Uns hat vor allem überrascht, dass mehr als die Hälfte des freigesetzten Kohlenstoffs uralt ist“, sagt Josh Dean von der University of Bristol. Es sei, als würde dieser Kohlenstoff unbemerkt seitlich aus seinen Speichern durchsickern.

Bisher gingen Fachleute davon aus, dass Flüsse jedes Jahr rund zwei Gigatonnen Kohlenstoff ausstoßen und dass dieser fast vollständig aus jungen Pflanzenresten stammt. Doch tatsächlich stammt etwa eine Gigatonne davon aus Lagerstätten, die über Jahrtausende unberührt blieben. Pflanzen und Böden müssten daher jährlich etwa eine Gigatonne mehr CO2 aufnehmen, um das zusätzliche Gas auszugleichen.
Klimaforscher müssen neu rechnen
Taylor Maavara vom Cary Institute of Ecosystem Studies bringt es auf den Punkt: „Das ist die erste weltweite Untersuchung zum Alter von CO2 aus Flüssen und das ist ziemlich bemerkenswert.“ Nun stellt sich eine brisante Frage: Warum setzen Flüsse plötzlich so viel alten Kohlenstoff frei? Offenbar stören Klimawandel und menschliche Eingriffe das empfindliche Gleichgewicht der Landschaft. Auffällig sei laut Dean, dass der Kohlenstoff seit den 1990er-Jahren immer älter wird: „Möglicherweise bringen wir diese langfristigen Kohlenstofflager selbst aus dem Gleichgewicht, und dadurch entweicht immer mehr alter Kohlenstoff.“
Höhere Temperaturen könnten Permafrostböden auftauen lassen. Dabei lösen sich uralte Kohlenstoffdepots, die lange sicher eingeschlossen waren. Gleichzeitig beschleunigt der Klimawandel die Verwitterung von Gestein. Auch das Trockenlegen von Mooren oder das Austrocknen von Feuchtgebieten könnte die Freisetzung verstärken. Noch ist unklar, in welchem Umfang menschliche Eingriffe dafür verantwortlich sind.
Folgen für Klimapläne weltweit
Wenn wir annehmen, dass alter Kohlenstoff sicher gespeichert bleibt, das aber gar nicht stimmt, dann müssen wir unsere Strategien dringend überdenken.
Josh Dean
Nicht nur Dean betont, wie wichtig diese Erkenntnis für die Klimapolitik ist, auch Scott Tiegs von der Oakland University sieht Handlungsbedarf: „Es stellt sich die Frage, inwieweit wir den Austritt alten Kohlenstoffs überhaupt beeinflussen können.“ Klar ist: Je stärker sich der Klimawandel beschleunigt, desto mehr Kohlenstoff könnte künftig entweichen.

Bisher galten Flüsse vor allem als Transportwege für frischen Kohlenstoff aus verrottender Biomasse. Doch die neuen Daten zeigen, dass sie auch als Austrittsstellen für Kohlenstoff aus alten Lagerstätten fungieren. Diese Quellen lagen bislang außerhalb des Fokus vieler Klimamodelle. Die Forscher haben dafür eine weltweite Datenbank erstellt, die den Radiokohlenstoffgehalt von gelöstem anorganischen Kohlenstoff, CO2 und Methan, in Flüssen umfasst.
Kohlenstoffaustritt erreicht bedrohliche Größenordnung
Die Analyse zeigt: Etwa 59 Prozent der CO2-Emissionen aus Flüssen stammen aus jahrtausendealten Quellen. Über komplexe Wasserwege gelangen sie langsam in die Atmosphäre. Pro Jahr kommen so etwa 1,2 Gigatonnen Kohlenstoff hinzu – eine Größenordnung, die mit dem jährlichen Kohlenstoffaustausch zwischen Landökosystemen und Atmosphäre vergleichbar ist.
Das zwingt Klimaforscher weltweit, ihre Modelle neu zu justieren. Der Austritt von uraltem Kohlenstoff war bisher stark unterschätzt. Jetzt wird klar: Selbst scheinbar stabile Böden und Landschaften können plötzlich zu neuen Emissionsquellen werden.
Kurz zusammengefasst:
- Flüsse setzen nicht nur jungen, sondern auch jahrtausendealten Kohlenstoff frei – rund 60 Prozent der Emissionen stammen aus alten Lagerstätten.
- Klimawandel, steigende Temperaturen und menschliche Eingriffe wie das Trockenlegen von Mooren könnten diesen Prozess verstärken.
- Die neu entdeckte Freisetzung alter Kohlenstoffmengen zwingt Klimaforscher dazu, ihre bisherigen Modelle und Strategien neu zu bewerten.
Übrigens: Während Flüsse uralten Kohlenstoff freisetzen, geraten auch Deutschlands Wälder zunehmend unter Druck und geben teils mehr Kohlenstoff ab, als sie aufnehmen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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