Eisbären haben begonnen, ihr Erbgut an den Klimawandel anzupassen
In Südostgrönland verändern höhere Temperaturen die Aktivität zentraler Gene bei Eisbären – ein möglicher Hinweis auf schnelle biologische Anpassungen.
Die Untersuchung macht sichtbar, dass bestimmte Genabschnitte bei Eisbären in warmen Regionen aktiver werden und so auf knappe Nahrung und schwankende Temperaturen reagieren. © Unsplash
Eisbären geraten durch den Klimawandel nicht nur wegen schwindender Eisflächen unter Druck. Eine neue Studie zeigt erstmals, dass steigende Temperaturen auch direkt ihr Erbgut verändern können. In Südostgrönland, einer der wärmsten Regionen ihres Lebensraums, reagieren einzelne Populationen auf instabile Temperaturen und knappe Nahrung mit genetischen Anpassungen, die deutlich schneller einsetzen als bisher angenommen.
Die Untersuchung der University of East Anglia basiert auf Blutproben von 17 erwachsenen Tieren aus zwei deutlich unterschiedlichen Klimazonen. Der Nordosten Grönlands bleibt lange frostig, während im Südosten häufiger Tauwetter herrscht. Dort schmilzt das Eis früher, die Jagdzeiten verkürzen sich, und die Tiere greifen öfter zu magerer oder pflanzlicher Nahrung.
Klimawandel verstärkt bei Eisbären die Aktivität entscheidender Genbereiche
Entscheidend sind sogenannte springende Gene – mobile Elemente des Genoms, die steuern, welche Abschnitte aktiv sind. Sie reagieren sensibel auf Umweltstress – besonders auf Hitze.
In wärmeren Regionen sind sie deutlich aktiver. Die leitende Forscherin Dr. Alice Godden beschreibt das so: „Steigende Temperaturen führen zu einem starken Anstieg der Aktivität springender Gene im Erbgut der südöstlichen Grönlandbären.“ Grundlage dieser Aussage sind genetische Messwerte, die mit jahrzehntelangen Klimadaten abgeglichen wurden.
Davon betroffen sind Gene, die Stressreaktionen, Energieverwertung und den Umgang mit Temperaturschwankungen steuern. Südostgrönland gilt damit als Vorgriff auf jene Bedingungen, denen Eisbären in einer künftig wärmeren Arktis ausgesetzt sein könnten.
Hitze stresst das Erbgut
Mehrere Abschnitte im Erbgut reagieren besonders sensibel auf Hitze. Dazu gehören Hitzeschockproteine, die andere Moleküle stabilisieren, wenn der Körper stark belastet ist. Für Tiere im Südosten spielt das eine zentrale Rolle, da sie längere Zeiträume ohne Eis überstehen müssen und größeren Temperaturschwankungen ausgesetzt sind.
Weitere Veränderungen betreffen den Fettstoffwechsel. Die untersuchte Population verfügt seltener über die übliche energiereiche Robbenkost und muss häufiger auf pflanzliche Nahrung ausweichen. Die Studie deutet darauf hin, dass bestimmte Genabschnitte den Stoffwechsel an diese veränderten Bedingungen anpassen. Auffällig ist zudem: Viele der aktiven springenden Gene sind jünger als die Varianten aus der kälteren Region.
Was die genetischen Anpassungen bedeuten können
Springende Gene machen einen großen Teil des Erbguts aus und erzeugen zusätzliche Varianten, weil sie sich schnell verschieben. „Verschiedene Gruppen von Bären verändern unterschiedliche Bereiche ihres Erbguts in unterschiedlicher Geschwindigkeit“, erklärt Godden. Diese Veränderungen erweitern den Spielraum, mit dem sich Tiere an ihre Umgebung anpassen, sind aber keine Garantie für langfristiges Überleben.
Mehrere der betroffenen Genabschnitte sind besonders aktiv, wenn Nahrung knapp wird. Andere stärken Zellmembranen oder regulieren Signalwege, die bei starken Temperaturschwankungen eingesetzt werden. Solche Mechanismen gewinnen an Bedeutung, weil viele Tiere länger an Land bleiben müssen und häufiger mit wechselnden Umweltbedingungen konfrontiert sind.
Klimastress verändert wichtige Kontrollabschnitte im Genom
Auffällig sind zehn Genabschnitte, die sowohl mit dem Klima als auch mit regionalen Unterschieden zusammenhängen. Darunter befinden sich lange RNA-Moleküle, die steuern, welche Gene abgelesen werden. Sie gelten als wichtige Schaltstellen, wenn es darum geht, komplexe biologische Prozesse zu regulieren.
Ein Genabschnitt, der bei vielen Arten zur antiviralen Abwehr beiträgt, war im Südosten weniger aktiv. Warum das so ist, bleibt offen. Die Forscher weisen jedoch darauf hin, dass Bären in Regionen mit wenig Eis häufiger an Land gehen und dort vermehrt auf Krankheitserreger treffen – ein zusätzlicher Belastungsfaktor, der unabhängig von der beobachteten Genaktivität besteht
Bedeutung für den Artenschutz
„DNA ist das Anleitungsbuch in jeder Zelle und steuert, wie ein Organismus wächst und sich entwickelt“, sagt Studienleiterin Godden. Die Studie zeigt, wie eng genetische Abläufe mit lokalen Klimabedingungen verknüpft sind und wie unterschiedlich Populationen reagieren.
In vielen Prognosen gelten mehr als zwei Drittel aller Eisbären bis 2050 als gefährdet. Die Arktis erwärmt sich rasant. Die Tiere verlieren Jagdflächen, werden isolierter und müssen sich häufiger an Land durchschlagen. Die neue Analyse ergänzt diese Prognosen um einen Blick ins Innere der Zellen – und zeigt, wie tief der Klimastress bereits wirkt.
Kurz zusammengefasst:
- Die Studie zeigt, wie stark Eisbären unter dem Klimawandel ihr Erbgut anpassen, weil höhere Temperaturen, weniger Eis und veränderte Nahrung die Aktivität sogenannter springender Gene deutlich verändern.
- Diese Gene steuern wichtige Prozesse wie Stressreaktionen, Energieverwertung und Temperaturtoleranz, und sie treten in wärmeren Regionen häufiger in jungen Varianten auf, was auf schnelle biologische Antworten hinweist.
- Temperaturanstieg, knappe Beute und häufiger Zellstress wirken gemeinsam auf zentrale Genabschnitte, sodass sich Unterschiede zwischen Populationen klar erkennen lassen und wichtige Hinweise für den Schutz der Tiere entstehen.
Übrigens: Neue Modelle zeigen, wie nah der Amazonas-Regenwald dem Kipppunkt wirklich ist und wie stark Klimawandel und Abholzung gemeinsam wirken. Die Folgen reichen von instabilen Niederschlagsmustern bis zum möglichen Verlust fast der Hälfte des Waldes. Mehr dazu in unserem Artikel.
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