Digitale Welt, stumpfe Sinne: Die unerwarteten Opfer der Technologie

Welche Auswirkungen haben digitale Technologien auf unsere Wahrnehmung? Und wie wirkt sich die Vernachlässigung des Geruchs- und Geschmackssinns auf unsere emotionale und soziale Gesundheit aus?

Sinne und Technologie

Wie beeinflusst die digitale Technologie unsere Sinne? © Vecteezy

Heutzutage verbringt der durchschnittliche Mensch fast sieben Stunden täglich vor Bildschirmen. Dadurch wird zunehmend deutlich, wie sehr unsere Sinne durch den ständigen Einsatz von Technologie beeinträchtigt werden. Laut dem Guardian führt die Dominanz von visuellen und auditiven Medien dazu, dass wir andere wichtige Sinne, wie Geruch und Geschmack, vernachlässigen. Diese Entwicklung könnte gravierende Folgen für unser emotionales und soziales Wohlbefinden haben.

Die Rolle der Sinne im emotionalen Leben

Experten wie Meike Scheller, Assistenzprofessorin für Psychologie an der Durham University, bestätigen, dass insbesondere der Geruchssinn, der eng mit unseren Emotionen verbunden ist. In der digitalen Kommunikation spielt dieser jedoch kaum eine Rolle. Scheller erklärt, dass der Sinn des Riechens ein wichtiger sozialer Kommunikationshinweis sei, der in der heutigen Technologie nicht implementiert ist. Laut Professor Charles Spence von der Oxford University ist über die Hälfte des Neokortex unseres Gehirns damit beschäftigt, visuelle Informationen zu verarbeiten. Das zeigt, wie sehr unsere Wahrnehmung auf das Sehen ausgerichtet ist.

Vernachlässigung multisensorischer Erfahrungen

Die Überbetonung von Sehen und Hören führt dazu, dass die Technologie unsere Fähigkeit zur multisensorischen Wahrnehmung, also der aller Sinne, untergräbt. Laut Marianna Obrist, Professorin für multisensorische Schnittstellen am University College London, besteht das tägliche Leben aus der Erfahrung aller unserer Sinne, was in digitalen Medien kaum nachgebildet wird. Selbst einfache Aktionen, wie das Händeschütteln, führen unbewusst dazu, dass wir die Handflächen riechen, um Hinweise auf Gesundheit, Alter und sogar die Persönlichkeit des Gegenübers zu erhalten – Nuancen, die in digitalen Interaktionen verloren gehen.

Die Konsequenzen für zukünftige Generationen

Besonders besorgniserregend ist, dass Kinder, die zunehmend durch Technologie sozialisiert werden, weniger Möglichkeiten haben, ihre Sinne zu trainieren und zu interpretieren. Laut Scheller haben diese Kinder weniger Übung darin, Gerüche oder Berührungen zu kategorisieren, was langfristig die Funktionsweise aller ihrer Sinne beeinträchtigen kann. Dieses Defizit an sensorischer Bildung könnte schwerwiegende Auswirkungen auf ihre soziale und emotionale Entwicklung haben.

Innovationen und ihre Grenzen

Obwohl Projekte wie das von der EU geförderte SenseX versuchen, Geruchs- und Geschmackssinn in technologische Produkte zu integrieren, sind die aktuellen Anwendungen noch begrenzt. Der Guardian nennt Beispiele von Versuchen, Gerüche während Schlüsselmomenten von Filmen zu verströmen oder Ultraschallwellen zu nutzen, um den Tastsinn zu simulieren, doch sind diese Technologien noch nicht weit verbreitet.

Auch das in China ansässige Tech-Unternehmen Dexta befasst sich mit der Thematik. Die Firma hat einen Handschuh entwickelt, der den Tastsinn in die virtuelle Welt einbindet. Der Dexmo-Handschuh gibt zum Bespiel einem Gamer taktiles Feedback, wenn er einen Gegenstand wie einen Stein in einem Computerspiel berührt. So fühlt er die Oberfläche eines Steines. Wird der Stein bewegt, spürt man dessen physische Form.

Der Handschuh Dexmo macht das Fühlen in der virtuellen Welt real, indem er den Tastsinn integriert. © 2024 Dexta Robotics. All rights reserved.
Der Handschuh Dexmo macht das Fühlen in der virtuellen Welt real, indem er den Tastsinn integriert. © 2024 Dexta Robotics. All rights reserved.

Was können wir dagegen tun?

Die einseitige Fokussierung auf visuelle und auditive Medien beeinträchtigt unsere Fähigkeit, die Welt in ihrer vollen multisensorischen Vielfalt zu erleben. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Technologie entwickeln wird, um ein umfassenderes sensorisches Erlebnis zu ermöglichen. Bis dahin, so empfiehlt Scheller, sollten wir vielleicht mehr Zeit außerhalb digitaler Welten verbringen und direktere soziale Interaktionen suchen.

Kurz zusammengefasst:

  • Digitale Technologien zielen überwiegend auf den Seh- und Hörsinn ab und vernachlässigen dadurch wichtige Sinne wie Geruch und Geschmack. Diese sind jedoch entscheidend für unsere emotionale und soziale Interaktion.
  • Die eingeschränkte Nutzung unserer Sinne kann langfristige Auswirkungen auf unser emotionales Wohlbefinden haben. Besonders der Geruchssinn ist tief mit unseren Gefühlen verknüpft.
  • Um eine ausgewogene sensorische Entwicklung zu fördern, sollten technologische Innovationen mehr multisensorische Erlebnisse integrieren. Außerdem sollten wir bewusst Zeit in direkten, nicht-digitalen sozialen Interaktionen verbringen.

Bild: © Vecteezy

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