Die unerträgliche Langsamkeit des Seins: Warum wir mit 10 Bit/s leben – und warum das gut so ist

Unser Denken läuft mit einer Geschwindigkeit von nur 10 Bits pro Sekunde – überraschend langsam. Eine Studie zeigt, warum das gut ist.

Beim Schach zeigt sich die Langsamkeit des Denkens: Mit nur 10 Bits pro Sekunde verarbeitet unser Gehirn Informationen – effizient statt schnell. © Pexels

Beim Schach zeigt sich die Langsamkeit des Denkens: Mit nur 10 Bits pro Sekunde verarbeitet unser Gehirn Informationen – effizient statt schnell. © Pexels

Die Geschwindigkeit, mit der wir denken, ist unerwartet langsam! Das menschliche Gehirn, unser leistungsstärkstes Organ, verarbeitet Informationen mit gerade einmal 10 Bits pro Sekunde. Während Sinnesorgane Daten in Billionen Bits pro Sekunde erfassen, bleibt das Gehirn weit hinter diesen Möglichkeiten zurück. Forscher des California Institute of Technology (Caltech) haben diese überraschende Grenze aufgedeckt – ein Tempo, das weit unter der Geschwindigkeit eines durchschnittlichen WLAN-Anschlusses liegt.

„Es ist eine extrem niedrige Zahl“, kommentiert Studienleiter Markus Meister die Ergebnisse, die im Fachjournal Neuron veröffentlicht wurden. Die Forscher analysierten Daten aus Studien zu menschlichem Verhalten – darunter Lesen, Schreiben oder Schachspielen – und errechneten mithilfe der Informationstheorie, wie schnell wir wirklich denken. Das Ergebnis: quälend langsam. Doch was steckt hinter dieser biologischen Geschwindigkeitsbegrenzung?

Denken verlangsamt: Gehirn filtert Informationen rigoros

Unsere Sinnesorgane bombardieren das Gehirn mit Informationen in unfassbarer Geschwindigkeit. Doch nur ein winziger Bruchteil davon wird überhaupt verarbeitet. Statt alles aufzunehmen, filtert das Gehirn rigoros. Aus Billionen Bits wählt es die 10 Bits aus, die wirklich relevant sind. Diese Filterleistung ermöglicht es uns, die Welt zu verstehen und Entscheidungen zu treffen, ohne in der Datenflut zu ertrinken.

Markus Meister erklärt, warum das Gehirn so arbeitet: „Wir extrahieren in jedem Moment nur wenige Bits, um die Umgebung wahrzunehmen und Entscheidungen zu treffen.“ Die Langsamkeit des Denkens schützt uns vor Überforderung. Doch gleichzeitig drängt sich eine andere Fragen auf: Warum sind wir auf ein einziges Gedankenkonstrukt beschränkt, während das Nervensystem parallel tausende Reize verarbeiten kann?

Evolution als Architekt der Langsamkeit

Die Antwort liegt in unserer Vergangenheit. Erste Lebewesen mit Nervensystem nutzten ihr Gehirn vor allem, um sich in ihrer Umgebung zu orientieren. Der Fokus lag auf einer Aufgabe: Nahrung finden oder Raubtiere meiden. Diese „Ein-Pfad-Strategie“ hat sich offenbar bis heute erhalten. „Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, einem Gedankenpfad zu folgen, wie unsere Vorfahren physischen Pfaden gefolgt sind“, schreiben die Forscher.

Diese Einschränkung zeigt sich besonders bei komplexen Aufgaben wie Schachspielen. Spieler können sich nur eine mögliche Zugabfolge nach der anderen vorstellen – ein paralleles Durchdenken mehrerer Szenarien ist unmöglich. Multitasking? Ein Mythos. Auch hier dominiert der evolutionäre Imperativ: Effizienz vor Geschwindigkeit.

10 Bit/s genügen fürs Überleben

Interessant ist, dass die 10 Bits pro Sekunde oft gar nicht voll ausgeschöpft wurden. Unsere Vorfahren lebten in einer vergleichsweise gemächlichen Welt, in der sich Veränderungen langsam genug abspielten, um mit der Denkgeschwindigkeit Schritt zu halten. Nur in lebensbedrohlichen Situationen wie einem Angriff durch Raubtiere wurde das Maximum des Denkens abgerufen.

Doch heute, in einer beschleunigten Welt, stellt sich die Frage: Kann das Gehirn mit der rasanten Entwicklung von Technologie und Informationen mithalten? Die Antwort der Wissenschaftler ist beruhigend: Die Langsamkeit des Denkens ist kein Nachteil, sondern eine Stärke. Sie bewahrt uns davor, in der Datenflut des Alltags den Überblick zu verlieren.

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Mensch vs. Maschine: Technik stößt an Grenzen

Die Idee, durch Gehirn-Computer-Schnittstellen das Denktempo zu erhöhen, ist laut der Studie unrealistisch. Selbst mit direkter Verbindung zu einem Computer könnte das Gehirn Informationen nicht schneller verarbeiten. „Unsere Denkgeschwindigkeit ist durch die Architektur unseres Gehirns begrenzt“, so Markus Meister.

Das bedeutet: Egal, wie sehr wir die Technologie vorantreiben, das Gehirn bleibt seinem Tempo treu. Es funktioniert nicht wie ein Computer, sondern wie ein präziser Navigator, der aus unzähligen Möglichkeiten die wichtigsten auswählt.

Die unerwartete Stärke der Langsamkeit

Die Studie zeigt, dass Denktempo nicht alles ist. Gerade in unserer hektischen Welt bietet die Langsamkeit des Denkens Stabilität. Sie erlaubt es uns, Prioritäten zu setzen, überlegt zu handeln und auch in Stresssituationen Entscheidungen zu treffen, die auf das Wesentliche fokussiert sind. Diese biologischen Grenzen des Denkens sind daher weniger eine Schwäche, sondern vielmehr eine raffinierte Anpassung an die Herausforderungen des Lebens.

Was du dir merken solltest:

  • Das menschliche Denken erfolgt mit einer Geschwindigkeit von nur 10 Bits pro Sekunde und bleibt damit weit hinter technischen Systemen wie WLAN oder Computern zurück.
  • Diese Langsamkeit dient der Effizienz: Das Gehirn filtert riesige Datenmengen und fokussiert sich auf das Wesentliche, um Überforderung zu vermeiden.
  • Evolutionär entwickelte sich das Gehirn als Navigator eines Gedankenpfades – Multitasking ist biologisch unmöglich und ein Mythos.

Übrigens: Nicht nur das Gehirn denkt und speichert Informationen – auch Körperzellen wie Nerven- und Nierenzellen können lernen und Erinnerungen bilden. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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