Wind und Sonne im Stromnetz – Warum sie ohne Takt zur Gefahr werden können
Die Energiewende bringt neue Herausforderungen für das Stromnetz. Forscher der ETH Zürich entwickeln dafür stabile Taktgeber auf Softwarebasis.

Wechselrichter spielen eine zentrale Rolle für ein stabiles Stromnetz in Zeiten der Energiewende. © Pexels
Wenn große Kraftwerke vom Netz gehen, droht Chaos – denn sie halten nicht nur die Energieversorgung aufrecht, sondern auch den Takt im Stromnetz. Genau dieser Takt droht zu kippen, wenn Kohle- und Atomkraftwerke verschwinden. Für das Stromnetz und die Energiewende ist das ein Risiko. Denn Windräder und Solarpanels brauchen elektronische Wechselrichter – und diese geraten bei Störungen schnell ins Wanken.
Wissenschaftler der ETH Zürich arbeiten an einer Lösung, die genau dieses Problem beheben soll und publizierten kürzlich erste Ergebnisse. Ihr Ziel: Die Energiewende technisch absichern – und dafür sorgen, dass das Stromnetz auch mit vielen kleinen Erzeugern stabil bleibt.
Stromnetz verliert die Taktgeber – Energiewende braucht Ersatz
„Man kann nur einen Takt übernehmen, wenn auch einer vorgegeben wird“, sagt Florian Dörfler, Professor für komplexe Regelungssysteme an der ETH Zürich. Bisher lieferten die Generatoren von Großkraftwerken diesen Takt – fest, träge, zuverlässig – für ein funktionierendes Stromnetz. Wind- und Solaranlagen dagegen erzeugen Gleichstrom, der erst per Wechselrichter in Wechselstrom umgewandelt wird. Und diese Geräte orientieren sich am vorhandenen Netz. Gibt es kein starkes Netzsignal mehr, fehlt der Taktgeber.
Die Konsequenz: Die vielen kleinen Einspeisungen geraten aus dem Rhythmus – und das Stromnetz kann instabil werden. Die Energiewende steht damit technisch unter Druck.
Neue Wechselrichter sollen den Stromtakt selbst erzeugen
Die Forscher aus Zürich wollen diese Lücke schließen. Sie setzen auf sogenannte netzbildende Wechselrichter. Diese sollen nicht mehr nur folgen, sondern selbst mitsteuern. Gerade bei Spannungseinbrüchen oder Kurzschlüssen ist das entscheidend. Denn viele heutige Systeme schalten sich in solchen Fällen aus – aus Selbstschutz. Doch genau das schwächt das Netz.
„Mit unserem Regelverfahren bleibt der Wechselrichter auch bei einem Fehler im Netz aktiv und stabil“, erklärt Dörfler. Die Energie fließt weiter – und die Frequenz bleibt im Takt. Das hilft nicht nur gegen Blackouts, es macht die Energiewende auch in der Praxis beherrschbar.

Neue Software schützt – und hilft dem Netz sofort
Kern der Lösung ist ein Algorithmus, der zwischen Spannung und Frequenz unterscheidet. „Die Spannung darf schwanken, aber die Frequenz muss stabil bleiben“, sagt Maitraya Desai, der die Idee als Masterstudent entwickelte. Denn bei einem Netzfehler ist es kaum möglich, die Spannung aufrechtzuerhalten. Die Frequenz hingegen kann gezielt gesteuert werden – solange der Wechselrichter nicht überlastet wird.
Desai begrenzte deshalb den Strom, der bei einem Fehler eingespeist wird. So bleibt der Wechselrichter funktionsfähig – und hilft weiter beim Takt. Die neue Steuerung basiert rein auf Software. Das macht sie besonders attraktiv für die Industrie.
Energiewende zum Nachrüsten – Industrie kann sofort starten
Die Forscher testeten den neuen Mechanismus zuerst digital, dann im Labor. Jetzt soll er in die Praxis. Und zwar ohne große Umbauten. „Unsere Masterarbeiten werden in der Industrie umgesetzt“, sagt Dörfler. Unternehmen können die Algorithmen direkt in ihre bestehende Steuerungssoftware integrieren. Neue Hardware ist nicht nötig.
Seit 15 Jahren arbeitet die ETH Zürich an genau dieser Herausforderung. Jetzt könnte der Durchbruch gelingen. Der neue Ansatz soll das europäische Stromnetz unabhängiger von zentralen Großkraftwerken machen – hin zu vielen kleinen, flexiblen Erzeugern. Die Energiewende braucht genau solche Lösungen. Und sie könnte damit ein Stück sicherer werden.
Kurz zusammengefasst:
- Klassische Großkraftwerke stabilisieren das Stromnetz durch ihren festen Takt, doch sie fallen mit der Energiewende zunehmend weg.
- Forscher der ETH Zürich entwickeln eine Software, die Wechselrichter in Wind- und Solaranlagen selbstständig den Takt halten lässt.
- So bleiben Stromnetze auch bei Fehlern stabil, und die Energiewende wird technisch möglich – ohne neue Hardware.
Übrigens: Eine zentrale Rolle für eine gelungene Energiewende spielt auch die Windkraft – doch ihr Ausbau stößt oft an unsichtbare Grenzen. Welche Hindernisse es gibt und wie sie sich überwinden lassen, mehr dazu in unserem Artikel.
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