Muttermilch lässt sich jetzt im Labor erforschen – dank künstlichem Brustgewebe aus dem 3D-Drucker
Forscher der ETH Zürich haben ein 3D-gedrucktes Brustgewebe-Modell entwickelt, das zeigt, wie Muttermilch entsteht und neue Einblicke in die Ursachen von Stillproblemen gibt.

Ein Moment der Ruhe – doch Stillen ist nicht immer leicht. Das neue Modell aus Zürich soll helfen, die unsichtbaren Vorgänge im Körper besser zu verstehen. © Pexels
Stillen klappt nicht immer. Viele Mütter leiden unter schmerzenden Brüsten, Milchstau oder ausbleibender Milchproduktion und fühlen sich damit oft allein gelassen. Wie genau Muttermilch entsteht, ist medizinisch noch immer nicht vollständig geklärt. Forscher der ETH Zürich möchten das ändern. Mithilfe von 3D-Druck und Zellen aus Muttermilch haben sie ein künstliches Brustgewebe entwickelt, das im Labor erste Bestandteile menschlicher Milch bildet, und die Ergebnisse nun im Fachmagazin Science Advance veröffentlicht.
Für Frauen mit Stillproblemen könnte das neue Modell eine lang ersehnte Hilfe sein. Es macht sichtbar, was im Inneren der Brust geschieht – ganz ohne invasive Eingriffe oder Tierversuche.
Künstliche Milchgänge wachsen aus Licht und lebenden Zellen
Zentral für die Forschung ist ein winziges Gewebemodell, das mit einem speziellen Lichtverfahren hergestellt wurde. In Sekunden entstehen damit feine Strukturen, die den Milchgängen in der Brust stark ähneln. Diese Mini-Hohlräume wurden mit lebenden Zellen besiedelt, nicht etwa aus Zelllinien, sondern direkt aus menschlicher Muttermilch gewonnen.

Die Milchepithelzellen lagerten sich an den Wänden ab, bildeten dichte Schichten und begannen schließlich, Milchbestandteile wie β-Casein und Fettkügelchen zu produzieren. „Viele Kolleginnen und Kollegen waren überrascht, dass diese Zellen überhaupt wachsen konnten“, sagt Doktorandin Amelia Hasenauer, die das Projekt mitentwickelt hat.
Milchbildung im Labor nachvollziehbar
Muttermilch enthält Hunderte verschiedene Substanzen – von komplexen Zuckern über Immunzellen bis zu lebenden Mikroorganismen. Noch ist das künstliche Brustgewebe weit davon entfernt, eine vollständige Milch herzustellen. Doch es bietet einen Einblick in die Abläufe der Milchbildung, den es so bisher nicht gab.
„Wir konnten erste Bestandteile nachweisen“, sagt Professorin Marcy Zenobi-Wong, die das Forschungsteam an der ETH Zürich leitet. „Aber unser Ziel ist nicht, Muttermilch zu produzieren, sondern ihre Entstehung besser zu verstehen.“
Wenn Stillen zum Problem wird
Viele Frauen berichten von Stillproblemen. Der Druck, alles richtig zu machen, ist hoch und oft gibt es keine klare medizinische Erklärung. Das neue Zellmodell könnte helfen, besser zu verstehen, warum manche Mütter kaum Milch bilden oder warum es bei anderen zu Entzündungen kommt.
Ich kenne mittlerweile viele Frauen, die Schwierigkeiten beim Stillen hatten. Unser Modell könnte eines Tages helfen, Antworten zu finden.
Amelia Hasenauer
Denn anders als bei früheren Studien lassen sich hier Bedingungen im Labor gezielt einstellen, etwa hormonelle Veränderungen, Medikamente oder Stressfaktoren.
Modell reagiert realistisch auf Reize und Medikamente
Ein großer Vorteil des Modells: Es basiert auf Zellen, die ohnehin in Muttermilch enthalten sind. Das macht es ethisch unbedenklich und zugleich enorm realitätsnah. „Als Nächstes wollen wir die Milchproduktion im Modell steigern, das lässt sich über den 3D-Druck steuern“, sagt Zenobi-Wong. Mit jedem Schritt wächst das Verständnis über ein komplexes und bisher kaum erforschtes körperliches System.
Was das neue Brustgewebe-Modell künftig ermöglichen könnte:
- gezielte Tests zur Wirkung von Medikamenten auf die Milchbildung
- Erforschung hormoneller Einflüsse auf die Laktation
- neue Ansätze zur Behandlung von Stillproblemen
- Basis für die Entwicklung ethischer Brustkrebsmodelle
- besseres Verständnis weiblicher Immun- und Stoffwechselprozesse während der Stillzeit
Weibliche Biologie wird sichtbarer
Das Modell zeigt, wie gezielte Forschung helfen kann, damit Frauen nicht länger im Dunkeln tappen, wenn ihr Körper nicht „funktioniert“, wie erwartet.
Es gibt so viele offene Fragen, von Endometriose über Brustentzündungen bis hin zu Fruchtbarkeitsproblemen. Diese Themen verdienen endlich mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit.
Marcy Zenobi-Wong
Lange wurde der weibliche Körper in der medizinischen Forschung vernachlässigt. Die aktuelle Arbeit der ETH Zürich setzt ein wichtiges Zeichen: Stillen ist mehr als eine individuelle Herausforderung, es ist ein biologischer Prozess, der besser verstanden werden muss.
Kurz zusammengefasst:
- Forscher der ETH Zürich haben mithilfe von 3D-Druck und Zellen aus Muttermilch künstliches Brustgewebe entwickelt, das im Labor erste Bestandteile menschlicher Milch produziert.
- Das Modell ermöglicht es erstmals, die Prozesse der Milchbildung unter kontrollierten Bedingungen zu untersuchen, etwa bei hormonellen Veränderungen, Medikamenten oder Stillproblemen.
- Die Methode bietet neue Wege für die Forschung zu Laktation, Brustgesundheit und weiblicher Biologie ohne invasive Eingriffe oder Tierversuche.
Übrigens: Hitze, Feinstaub und Klimastress wirken sich offenbar nicht nur auf das Wohlbefinden aus, sie könnten sogar den Geburtszeitpunkt verzögern. Wer schwanger ist, lebt unter veränderten Umweltbedingungen offenbar risikoreicher, wie eine neue Studie zeigt. Mehr dazu in unserem Artikel.
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