1 Euro mehr Miete – 4 Prozent mehr Zustimmung: Sozialschwächere in Ballungsräumen wenden sich der AfD zu
Steigende Mieten treiben sozial Schwächere zur AfD – schon 1 €/m² mehr erhöht ihre Zustimmung um bis zu 4 Prozentpunkte, zeigt eine Studie.
Die Entwicklung auf dem deutschen Mietmarkt verändert nicht nur Städte, sondern auch die politische Landschaft. Eine umfassende Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) zeigt: Steigende Mieten treiben einkommensschwache Langzeitmieter in Ballungszentren der AfD in die Arme.
Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung lebt zur Miete – ein europaweiter Spitzenwert. In Städten wie Berlin, München oder Hamburg explodieren die Mietpreise seit Jahren. Zwischen 2005 und 2018 stiegen die durchschnittlichen Quadratmeterpreise in Metropolen um rund 40 Prozent. Besonders betroffen sind einkommensschwache Haushalte, die bereits jetzt überproportional hohe Anteile ihres Einkommens für Miete aufwenden.
Steigende Mieten – Ein Euro mehr, vier Prozent mehr Zustimmung zur AfD
Die Forscher Dr. Denis Cohen (MZES), Prof. Tarik Abou-Chadi (Oxford) und Dr. Thomas Kurer (Zürich) analysierten Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) sowie Mietmarktdaten auf Postleitzahlenebene. Das Ergebnis: Steigt die durchschnittliche Miete in einem Stadtteil um nur einen Euro pro Quadratmeter, so die Annahme der Forscher, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass einkommensschwache Langzeitmieter die AfD unterstützen, um bis zu vier Prozentpunkte. Gleichzeitig sinkt die AfD-Unterstützung bei einkommensstarken Mietern um über 5 Prozent.
Dieser Effekt zeigt sich vor allem in urbanen Zentren. Hier sind Mieter dem „Mietmarkt-Risiko“ besonders stark ausgesetzt. Das bedeutet, dass bereits steigende Marktmieten in der Nachbarschaft als Bedrohung für den sozialen und wirtschaftlichen Status wahrgenommen werden – selbst wenn die eigene Miete vorerst stabil bleibt. „Steigende Mieten in der Umgebung wirken wie eine latente Gefahr“, erklärt Dr. Denis Cohen. Diese Ängste treiben sozial Schwächere in die Arme der AfD.
Eigentümer profitieren, Mieter fürchten den Abstieg
Die Untersuchung unterstreicht, wie unterschiedlich steigende Mieten von Eigentümern und Mietern wahrgenommen werden. Wohneigentümer profitieren von der Wertsteigerung ihrer Immobilien und nehmen Gentrifizierungsprozesse häufig positiv wahr. Bei ihnen sinkt die Unterstützung für die AfD sogar leicht, wenn die Mieten in ihrer Umgebung steigen.
Für einkommensschwache Mieter sieht es anders aus: Sie befürchten, ihre Wohnung oder ihre Nachbarschaft zu verlieren. In Berlin, wo die Mieten seit 2005 im Schnitt um 3 Euro pro Quadratmetere gestiegen sind, zeigt sich das besonders stark. Hier verlagert sich die Zustimmung zur AfD zunehmend auch in zentrale Stadtteile – ein Novum in deutschen Metropolen, die bislang als Hochburgen progressiver Parteien galten.
Warum sich die AfD als Gewinner positioniert
Die AfD erzielt traditionell ihre höchsten Wahlergebnisse in ländlichen Regionen mit niedrigen Mieten. Doch die neue Studie zeigt, dass die Partei auch in Städten an Boden gewinnt. Besonders Menschen mit geringen finanziellen Mitteln, die seit Jahren in von Mietsteigerungen betroffenen Vierteln leben, fühlen sich von der Partei angesprochen.
Diese Entwicklung ist überraschend, da die AfD keine Konzepte zur Entlastung von Mietern anbietet. Stattdessen profitieren sie von sozialen Abstiegsängsten. „Von den daraus resultierenden sozialen Abstiegsängsten profitieren Parteien des rechtsradikalen Spektrums. Dieses Muster ist bekannt und deckt sich mit Ergebnissen zahlreicher anderer Studien“, so Cohen. Dass die AfD keine Lösungen für die Mietproblematik anbietet, spiele für die meisten Menschen offenbar keine Rolle.
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Mietmarkt als politischer Brennpunkt
Die Studie macht deutlich, wie stark ökonomische Unsicherheiten politische Entscheidungen beeinflussen. Deutschland hat mit 48,9 Prozent den höchsten Anteil an Mietwohnungen in der Europäischen Union. Rund 25 Prozent des verfügbaren Einkommens fließen im Schnitt in die Miete. Für Haushalte mit geringem Einkommen steigt dieser Anteil auf bis zu 50 Prozent.
In Ballungszentren, wo die Mietpreise in den letzten Jahren am stärksten gestiegen sind, wird das „Mietmarkt-Risiko“ zu einem entscheidenden Faktor für die politische Orientierung. „Die ungleich verteilten Folgen der Mietmarktentwicklung sind eine wichtige Erklärung dafür, warum die AfD auch in urbanen Zentren zweistellige Ergebnisse erzielt“, so die Forscher.
Was du dir merken solltest:
- Steigende Mieten beeinflussen die politische Landschaft: Ein Anstieg um 1 €/m² erhöht die AfD-Zustimmung bei einkommensschwachen Langzeitmietern in Ballungsräumen um bis zu 4 Prozentpunkte.
- Langzeitmieter unter Druck: Sozialschwächere empfinden steigende Nachbarschaftsmieten als Bedrohung ihres Status, selbst wenn die eigene Miete unverändert bleibt.
- Wohneigentümer profitieren: Während Mieter Abstiegsängste entwickeln, profitieren Eigentümer von der Wertsteigerung und zeigen weniger Neigung zur AfD.
Übrigens: Die Mittelschicht in Deutschland gerät immer stärker unter Druck. Wie eine WSI-Studie zeigt, wächst die Einkommensungleichheit rasant – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Bodo Kubrak via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0