Deutschlands grüne Lunge stößt mehr CO2 aus als die Landwirtschaft

Deutschland hat sein Klimaziel erreicht – doch nur auf dem Papier. Wälder und Wiesen werden zur CO2-Quelle, aber die Emissionen tauchen in der Bilanz gar nicht auf.

Der deutsche Wald geht zugrunde – und mit ihm die Hoffnung auf Klimaneutralität. Millionen Bäume sterben ab, die CO2-Emissionen explodieren. Die Politik gerät unter Zugzwang. © Pexels

Der deutsche Wald geht zugrunde – und mit ihm die Hoffnung auf Klimaneutralität. Millionen Bäume sterben ab, die CO2-Emissionen explodieren. Die Politik gerät unter Zugzwang. © Pexels

Deutschland verzeichnet Fortschritte beim Klimaschutz. Die neuesten Zahlen des Umweltbundesamtes zeigen, dass der CO2-Ausstoß im vergangenen Jahr um drei Prozent gesunken ist. Das entspricht 649 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten – 44 Millionen Tonnen weniger als gesetzlich erlaubt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht das Land auf gutem Weg: „Deutschland ist auf Klimakurs.“ Selbst bei weiterem Wirtschaftswachstum könnten die Klimaziele bis 2030 erreicht werden. Nur der Wald wird zum Problem.

Ein Sektor gerät in den Fokus

Treibende Kraft hinter den Erfolgen ist der Ausbau erneuerbarer Energien. Doch Habeck hebt einen neuen Problemsektor hervor: die Landnutzung. Sie umfasst Moore, Wiesen und vor allem den Wald. Eigentlich als natürliche CO2-Senke gedacht, gibt dieser Bereich inzwischen mehr Emissionen ab, als er bindet.

Seit 2021 ist die Landnutzung fest im Klimaschutzgesetz verankert und hat eigene Ziele, die aber nicht in die Gesamtklimabilanz Deutschlands einfließen. Ihr kommt eine besondere Rolle zu, da sie als einziger Bereich CO2 aus der Atmosphäre speichern kann. Dieses Gleichgewicht ist jedoch gestört: „Die Wälder werden durch den grassierenden Klimawandel von Emissionssenken zu Emittenten“, so Habeck laut der Tagesschau. Die Folge: 51 Millionen Tonnen CO2 wurden im Jahr 2024 durch den Sektor freigesetzt – und damit etwas mehr wie in der Landwirtschaft. Im Dürrejahr 2018 waren es sogar 83 Millionen Tonnen bei der Landnutzung.

Warum stößt der Wald CO2 aus?

Hauptverantwortlich für die hohen Emissionen ist der schlechte Zustand der Wälder. Die Bundeswaldinventur zeigt, dass der Wald seit 2018 mehr Kohlenstoff abgibt, als er speichert. Extremwetterereignisse, Stürme und Dürreperioden setzen vor allem Fichtenbeständen zu. Dazu kommt der Borkenkäferbefall, der Millionen Bäume absterben lässt. Diese sterbenden oder geschlagenen Bäume setzen durch Verrottung oder Verbrennung den gespeicherten Kohlenstoff als CO2 wieder frei.

Bisher glich der Wald die Emissionen anderer Landnutzungsbereiche aus. Doch weil er jetzt selbst zur Emissionsquelle wird, gerät das gesamte Klimakonzept ins Wanken. Laut Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, gibt es eine erhebliche Lücke in der Zielerreichung: „Das heißt, wir haben eine Zielerreichungslücke von knapp 60 Millionen Tonnen.“

2030: Ein unerreichbares Ziel?

Nach bisherigen Berechnungen soll die Landnutzung bis 2030 wieder eine CO2-Senke werden und jährlich 25 Millionen Tonnen binden. Die aktuellen Zahlen zeigen jedoch, dass stattdessen ein Ausstoß von 32 Millionen Tonnen prognostiziert wird. Das ist ein deutlicher Gegensatz zum ursprünglichen Plan.

Deutschland ist auf einem guten Weg: Entwicklung der gesamten Treibhausgasemissionen nach Quellbereichen (2021-2045). Aber die Landnutzung wird zum Problem beim Erreichen der Klimaziele. © Umweltbundesamt
Deutschland ist auf einem guten Weg: Entwicklung der gesamten Treibhausgasemissionen nach Quellbereichen (2021-2045). Aber die Landnutzung wird zum Problem beim Erreichen der Klimaziele. © Umweltbundesamt

Um die Bilanz wieder ins Positive zu kehren, setzt die Regierung auf Waldumbau, Aufforstung und nachhaltige Holznutzung. Dennoch bleibt die Skepsis groß. Forstwissenschaftler Jürgen Bauhus von der Universität Freiburg warnt laut Tagesschau: „Wälder sind Ökosysteme und keine Maschinen, die man einfach so anschmeißen kann.“ Selbst drastische Maßnahmen würden nicht sofort zum gewünschten Ergebnis führen.

Die Rolle der Regierung

Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe hält es für ausgeschlossen, dass Deutschland seine Klimaziele ohne eine funktionierende CO2-Speicherung durch den Wald erreicht. Er fordert ein Umdenken: „Ohne natürlichen Klimaschutz und gesunde Wälder wird Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen.“ Zu den notwendigen Maßnahmen zählen die Wiedervernässung von Mooren und ein neues Bundeswaldgesetz.

Gerichtliche Entscheidungen untermauern die Dringlichkeit. 2023 entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, dass die Regierung mehr für den Klimaschutz in der Landnutzung tun müsse. Die Deutsche Umwelthilfe reichte Ende Januar einen Vollstreckungsantrag ein, um die Umsetzung dieses Urteils zu erzwingen.

Das Bundesumweltministerium gestand bereits 2021 ein, dass die Klimaziele ambitioniert seien. Nach der neuesten Waldinventur prüft es nun, wie sich die Erkenntnisse auf bestehende Klimamaßnahmen auswirken. Ein Kabinettsbeschluss mit neuen Maßnahmen soll bis Ende 2025 folgen. Ob diese bereits Teil der aktuellen Koalitionsverhandlungen sind, ist unklar. SPD und Union äußerten sich auf Anfrage der Tagesschau nicht dazu.

Wie geht es weiter?

Das Klimaschutzgesetz von 2019, zuletzt 2021 novelliert, gibt vor, dass Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduzieren muss. Bis 2045 soll vollständige Klimaneutralität erreicht sein. Natürliche CO2-Senken wie Wälder spielen dabei eine entscheidende Rolle. Doch mit dem aktuellen CO2-Ausstoß von Wald und Wiesen bleibt es fraglich, ob die gesteckten Ziele erreichbar sind.

Einige Wissenschaftler fordern daher realistischere Klimaziele für den Landnutzungssektor und mehr Ambitionen in anderen Bereichen. Für sie ist es seit Jahren ein offenes Geheimnis, dass die gesetzten Vorgaben kaum einzuhalten sind. Jürgen Bauhus hatte bereits bei der Novelle des Klimaschutzgesetzes 2021 Zweifel geäußert – nun bestätigt die Bundeswaldinventur seine Befürchtungen.

Während einige Experten eine Anpassung der Ziele für den Landnutzungssektor befürworten, hält Müller-Kraenner dagegen: „Deutschland muss sofort handeln.“ Wie genau das gelingen soll, bleibt eine offene Frage. Klar ist: Ohne eine schnelle Stabilisierung der Wälder wird das Land Schwierigkeiten haben, seine Klimaziele zu erreichen.

Kurz zusammengefasst:

  • Der Wald, einst eine CO2-Senke, gibt mittlerweile mehr Treibhausgase ab, als er speichert, was Deutschlands Klimabilanz stark belastet.
  • Extremwetter, Borkenkäfer und Abholzung führen dazu, dass Wälder CO2 freisetzen, anstatt es aufzunehmen – eine Entwicklung, die das Klimaziel für 2030 in Gefahr bringt.
  • Experten fordern einen schnelleren Waldumbau, mehr Schutzmaßnahmen und realistischere Klimaziele, um Deutschlands Klimastrategie nicht ins Wanken zu bringen.

Übrigens: Sechs der neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten – die Folgen könnten unumkehrbar sein. Experten warnen, dass nur noch fünf Jahre bleiben, um drastische Maßnahmen zu ergreifen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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