Gefährliche Verwechslung: Viele Depressionen werden als Long Covid fehlgedeutet
Symptome von Long Covid und Depression ähneln sich stark – das erschwert die Diagnose und lässt viele psychische Erkrankungen unentdeckt.

Typische Symptome einer Depression wie Erschöpfung, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme werden nach einer Corona-Infektion oder Impfung oft fälschlich als Long Covid oder Impfnebenwirkung eingeordnet. © Unsplash
Viele Menschen fühlen sich auch lange nach einer Corona-Infektion oder Impfung noch schlapp, können sich schlecht konzentrieren oder schlafen kaum durch. Häufig fällt dann der Verdacht auf Long Covid oder auf eine Reaktion auf die Impfung – doch was, wenn sich hinter diesen Symptomen eine unbehandelte Depression verbirgt?
Eine repräsentative Studie mit über 4.600 Erwachsenen aus Deutschland ist dieser Frage nachgegangen. Demnach berichten sowohl nach einer Corona-Infektion als auch nach einer Impfung jeweils rund zwölf Prozent der Befragten über mentale Beschwerden. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe warnt: Viele Symptome überschneiden sich mit denen einer Depression – und werden deshalb oft falsch eingeordnet.
Symptome gleichen sich – aber die Ursache kann verschieden sein
Laut der Studie litten 12,1 Prozent der Befragten nach einer Corona-Infektion (PCS) unter anhaltenden psychischen Beschwerden. Bei den Geimpften waren es 12,6 Prozent (PCVS). Typische Symptome in beiden Gruppen sind:
- Müdigkeit oder Erschöpfung
- Schlafstörungen
- Konzentrations- und Gedächtnisprobleme
- Verminderte Leistungsfähigkeit
- Depressive Verstimmung
„Das birgt die Gefahr, dass von Ärzten und Psychologen Symptome einer eigenständigen depressiven Erkrankung als PCS und PCVS fehlattribuiert werden und so wertvolle Zeit bis zu einer korrekten Depressionsbehandlung verloren geht“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung.
Junge Frauen besonders häufig betroffen
Außerdem berichteten Frauen deutlich häufiger über Beschwerden nach einer Infektion als Männer – 13,5 Prozent gegenüber 10,7 Prozent. Besonders stark betroffen war die Altersgruppe zwischen 18 und 29 Jahren. Bei älteren Befragten lagen die Werte niedriger.
Bei psychischen Symptomen nach der Impfung zeigten sich insgesamt keine nennenswerten Unterschiede zwischen Männern und Frauen – mit einer Ausnahme: Müdigkeit wurde von Frauen etwas häufiger genannt.
Weniger Impfungen, mehr Beschwerden
Die Zahl der Impfungen spielte ebenfalls eine Rolle. Wer nur einmal geimpft war, berichtete am häufigsten über mentale Symptome (20,8 Prozent). Bei vier oder mehr Impfungen sank der Anteil deutlich – auf nur noch 8,9 Prozent.
Die Autoren sehen mehrere mögliche Gründe: Manche Betroffene mit frühen Nebenwirkungen verzichteten womöglich auf weitere Impfungen. Denkbar sei auch ein psychologischer Effekt, etwa durch eine erhöhte Erwartungshaltung bei der ersten Impfung.
Impfstofftyp beeinflusst Symptome leicht
Fast alle Geimpften in der Befragung erhielten mindestens eine mRNA-Impfung. Wer mit nicht-mRNA-Impfstoffen wie AstraZeneca oder Janssen geimpft wurde, berichtete häufiger über Fatigue (12,7 Prozent), Konzentrationsprobleme (9,2 Prozent) und Schlafstörungen (7,4 Prozent).
Allerdings war der Unterschied im Gesamtbild gering: Die Häufigkeit mentaler Symptome lag bei 12,5 Prozent für mRNA-Impfstoffe und bei 12,9 Prozent für andere Präparate.
Offizielle Meldungen bilden das Problem kaum ab
Ein Vergleich mit offiziellen Zahlen zeigt eine große Lücke: Während in der Umfrage 12,6 Prozent der Geimpften über mentale Beschwerden klagten, registrierte das Paul-Ehrlich-Institut nur 0,52 Prozent entsprechende Verdachtsfälle. Die Europäische Arzneimittelagentur nannte sogar nur 0,2 Prozent.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass offizielle Daten die tatsächliche Belastung durch mentale Nebenwirkungen nach COVID-19-Impfung wahrscheinlich unterschätzen“, heißt es in der Studie.
Fehldiagnose: Ein reales Risiko
In der Praxis werden viele Beschwerden nach Infektion oder Impfung vorschnell als Long Covid oder Impfnebenwirkung gewertet. Dabei handelt es sich womöglich um eine Depression – die weder erkannt noch behandelt wird.
Die Studienautoren schreiben: „Die Symptomprofile überschneiden sich erheblich.“ Das betrifft vor allem Fatigue, Konzentrationsprobleme und Schlafstörungen – klassische Merkmale depressiver Erkrankungen.
Psychische Versorgung hinkt weiter hinterher
Schon während der Pandemie war die Versorgungslage angespannt. Laut Daten der Stiftung Deutsche Depressionshilfe berichteten 44 Prozent der depressiv Erkrankten von einer Verschlechterung ihres Zustands – viele sogar von Suizidgedanken.
Auch heute warten viele Betroffene monatelang auf Hilfe. Kommt es zusätzlich zu einer Fehleinschätzung der Symptome, verzögert sich der Therapiebeginn noch weiter. Die Studienautoren fordern deshalb:
- Mehr Schulungen für medizinisches Personal zur Unterscheidung von Long Covid, Impfreaktionen und Depression
- Standardisierte Fragen zur psychischen Gesundheit beim Hausarzt
- Mehr Forschung, um Ursachen und Symptome besser einordnen zu können
Kurz zusammengefasst:
- Sowohl nach einer Corona-Infektion als auch nach der Impfung berichten rund 12 Prozent der Befragten über psychische Beschwerden wie Erschöpfung, Schlafprobleme und Konzentrationsstörungen.
- Diese Symptome ähneln stark denen einer Depression, werden aber häufig fälschlich als Long Covid oder Impfnebenwirkung eingeordnet – besonders bei jungen Frauen.
- Fachleute warnen: Bleibt eine Depression unerkannt, fehlt die passende Behandlung – deshalb sollten Ärzte bei anhaltenden Beschwerden immer auch eine psychische Ursache in Betracht ziehen.
Übrigens: Wer spät ins Bett geht und morgens kaum in die Gänge kommt, hat laut Forschung ein höheres Risiko für depressive Symptome. Schlechter Schlaf, mehr Alkohol und fehlende Achtsamkeit können dabei eine entscheidende Rolle spielen – mehr dazu in unserem Artikel.
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