Verdrängen statt Vorsorgen: Jeder Dritte will nichts über Krankheiten hören

Ein Drittel der Menschen will nichts von möglichen Krankheiten wissen – selbst wenn frühe Behandlung ihre Chancen deutlich erhöhen könnte.

Studie: Jeder Dritte zeigt Informationsvermeidung bei Gesundheit

Viele Menschen öffnen Briefe mit medizinischen Informationen gar nicht erst, weil sie sich überfordert fühlen, eine Stigmatisierung befürchten oder dem Gesundheitssystem nicht vertrauen. © MPI

Vorsorge kann Leben retten. Ein früher Blick in die eigene Gesundheitsakte oder ein einfacher Bluttest können genügen, um Krankheiten rechtzeitig zu erkennen und erfolgreich zu behandeln. Trotzdem schieben viele Menschen Vorsorgeuntersuchungen auf oder ignorieren Befunde. Das hat nicht nur Folgen für jeden Einzelnen, sondern auch für das gesamte Gesundheitssystem. Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung zeigt nun, wie weit verbreitet Informationsvermeidung im Umgang mit der eigenen Gesundheit ist und was dahintersteckt.

Viele wollen es nicht wissen

Rund ein Drittel der Menschen vermeidet aktiv Informationen zu ihrer Gesundheit. Das zeigen Daten von mehr als 560.000 Teilnehmern aus 25 Ländern. Analysiert wurden insgesamt 92 Studien und sechs große Datensätze. Besonders ausgeprägt ist das Verhalten bei Krankheiten, die aktuell nicht heilbar sind: 41 Prozent der Menschen wollten nichts über ein mögliches Alzheimer-Risiko erfahren, 40 Prozent verschlossen sich gegenüber Informationen zu Huntington.

Aber auch bei behandelbaren Krankheiten ist die Vermeidung hoch:

  • HIV: 31,7 Prozent
  • Krebs: 29,1 Prozent
  • Diabetes: 24,3 Prozent

Informationsvermeidung zeigt sich auf vielen Ebenen

Es bleibt nicht beim Weglegen eines Flyers oder dem Ignorieren eines Aufklärungsvideos. Viele gehen nicht zum Arzt, obwohl sie Symptome haben. Andere verzichten auf Tests oder holen keine Ergebnisse ab. Besonders auffällig: Weder Alter, Geschlecht noch Herkunft spielen eine Rolle. Das Verhalten zieht sich durch alle Bevölkerungsgruppen.

Vier psychologische Hürden sind besonders stark

Die Forscher haben 16 Gründe identifiziert, die Menschen vom Wissen über ihre eigene Gesundheit abhalten. Die vier wichtigsten sind:

  • Angst vor Stigmatisierung (z. B. bei HIV)
  • Kognitive Überforderung, also das Gefühl, von medizinischen Infos erschlagen zu werden
  • Mangelnde Selbstwirksamkeit: Viele glauben, nichts an ihrer Situation ändern zu können
  • Wenig Vertrauen in das Gesundheitssystem

„Vermeidung ist nicht allein eine Frage der Persönlichkeit oder Willensstärke“, heißt es in der Studie. „Das soziale und informationelle Umfeld spielt eine zentrale Rolle.“

Vertrauen fehlt oft – und das hat Folgen

Wer dem medizinischen System misstraut, neigt eher dazu, Informationen zu meiden. Das betrifft vor allem Menschen, die sich im Gesundheitssystem nicht gut aufgehoben fühlen. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass ein Rückgang des Vertrauens mit einem Anstieg der Informationsvermeidung einhergeht“, schreiben die Autoren. Gerade bei schweren Erkrankungen sinkt die Hoffnung auf gute Behandlung. Das Vertrauen in Ärzte, Kliniken und Verfahren hat direkten Einfluss darauf, ob Menschen medizinisches Wissen zulassen oder ausblenden.

Wer sich nicht informiert, geht seltener zur Vorsorge. Krankheiten werden später entdeckt, was die Chancen auf Heilung verringert. Die Behandlung wird komplizierter. Risiken steigen, ebenso die psychische Belastung. Denn das, was man zu verdrängen versucht, bleibt im Kopf. Die Folge: mehr Angst, mehr Unsicherheit, weniger Lebensqualität.

Gesundheitssystem gerät in die Kostenfalle

Auch für die Gesellschaft hat das Folgen. Wenn Krankheiten spät erkannt werden, entstehen höhere Behandlungskosten. Kliniken und Praxen müssen mehr leisten, Fachpersonal wird stärker belastet. Gleichzeitig bleiben die Chancen ungenutzt, mit präventiven Angeboten gegenzusteuern. Informationsvermeidung trifft also nicht nur den Einzelnen, sondern schwächt das gesamte System.

Politische Antworten sind gefragt

Die Studie zeigt, dass Informationsvermeidung in der Gesundheit kein Randphänomen ist. Sie ist verbreitet, nachvollziehbar und systematisch. Vertrauen muss gezielt aufgebaut werden. Das gelingt durch klare Kommunikation, erreichbare Angebote und Strukturen, die Menschen nicht überfordern.

Wer medizinisches Wissen meidet, handelt nicht irrational. Oft dient es dem Schutz vor Angst, Scham oder Hilflosigkeit. Das muss in der Aufklärung berücksichtigt werden. Angebote müssen Menschen da abholen, wo sie stehen – mit einfachen Informationen, empathischem Zugang und realistischen Handlungsmöglichkeiten.

Die wichtigsten Hebel gegen Informationsvermeidung:

  • Vertrauen aufbauen: durch transparente Kommunikation
  • Selbstwirksamkeit stärken: Menschen müssen das Gefühl bekommen, etwas tun zu können
  • Stigmatisierung abbauen: insbesondere bei sensiblen Diagnosen wie HIV
  • Angebote vereinfachen: Check-ups, Beratungen und Tests müssen niedrigschwellig erreichbar sein

Die Autoren der Studie erklären: „Medizinische Informationsvermeidung ist kein Anomalieverhalten, sondern ein weit verbreitetes und vorhersehbares Phänomen.“ Genau deshalb muss sie auch als solche ernst genommen werden.

Kurz zusammengefasst:

  • Fast ein Drittel der Menschen meidet aktiv medizinisches Wissen – vor allem wegen Angst, Überforderung oder mangelndem Vertrauen.
  • Informationsvermeidung rund um die eigene Gesundheit kann zu späteren Diagnosen, schwereren Krankheitsverläufen und höheren gesellschaftlichen Kosten führen.
  • Gezielte Aufklärung, einfache Zugänge und stärkere Vertrauensstrukturen helfen, Menschen frühzeitig für ihre Gesundheit zu erreichen.

Übrigens: Nicht nur Berufstätige leiden unter dem Montag – selbst Rentner zeigen noch Jahre nach dem Job deutlich erhöhte Stresswerte. Was dahintersteckt und warum der Wochenstart messbare Risiken für Herz und Kreislauf birgt, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © MPI für Bildungsforschung

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