Stress frisst sich ins Gehirn – Überstunden verändern das Denkorgan sichtbar
Der Druck im Job hinterlässt Spuren im Kopf. Eine neue Studie zeigt erstmals, welche Hirnregionen bei Überarbeitung anschwellen.

Wer ständig Überstunden schiebt, riskiert mehr als nur Erschöpfung. © Pexels
Wer dauerhaft mehr als 52 Stunden pro Woche arbeitet, riskiert nicht nur Erschöpfung – sondern auch sichtbare Veränderungen im Gehirn. Eine neue Studie aus Südkorea zeigt erstmals, dass sich bei Überarbeitung bestimmte Regionen im Gehirn deutlich vergrößern. Das kann negative Konsequenzen nach sich ziehen.
Die Untersuchung erschien im Fachjournal Occupational & Environmental Medicine und basiert auf Hirnscans von insgesamt 110 Beschäftigten im Gesundheitswesen. Davon gehörten 32 Personen zur Gruppe der Überarbeiteten – sie arbeiteten regelmäßig 52 Stunden oder mehr pro Woche. Diese Schwelle ist in Südkorea gesetzlich festgelegt und gilt auch in der Arbeitsmedizin als kritischer Wert.
Gehirnvolumen steigt in sensiblen Regionen um bis zu 19 Prozent
Besonders auffällig war ein Volumenzuwachs im kaudalen (zum hinteren Teil des Stirnlappens hin gelegenen) Anteil des Gyrus frontalis medius auf der linken Gehirnhälfte. Dort war das Volumen bei überarbeiteten Personen im Durchschnitt um 19 Prozent größer als bei jenen mit normalen Arbeitszeiten. In absoluten Zahlen lag der Wert bei 6886 mm³, während die Vergleichsgruppe im Schnitt 5793 mm³ erreichte.
Laut der Studie betrifft dieser Befund eine Region, die für Exekutivfunktionen zuständig ist – also für Dinge wie Entscheidungsfindung, Arbeitsgedächtnis und Impulskontrolle.
Doch es blieb nicht bei einer einzigen Hirnregion: Mittels Voxel-basierter Morphometrie (VBM) fanden die Forscher Volumenzuwächse in 17 verschiedenen Arealen. Dazu zählten unter anderem die linke Insula, der präzentrale Gyrus und der rechte obere Temporallappen – Bereiche, die eng mit emotionaler Verarbeitung, Empathie und sozialem Verhalten verknüpft sind.

„Die erhöhte Gehirnmasse könnte eine Art Anpassungsreaktion auf chronischen beruflichen Stress sein“, heißt es in der Studie. Das Team geht davon aus, dass der Organismus versucht, mit anhaltendem Druck durch strukturelle Veränderungen umzugehen.
Starker Zusammenhang mit der Zahl der Wochenstunden
Die Wissenschaftler fanden außerdem: Je länger die wöchentliche Arbeitszeit war, desto ausgeprägter zeigten sich die Veränderungen – vor allem in der linken Insula und im oberen Stirnlappen. Diese Korrelation bestand selbst dann noch, nachdem Faktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Sportverhalten rechnerisch ausgeglichen wurden.
Veröffentlicht wurde die Arbeit im Rahmen der Gachon Regional Occupational Cohort Study (GROCS), einem groß angelegten Forschungsprojekt zu Arbeitsbelastung und Gesundheit. Die Daten wurden zwischen 2021 und 2023 erhoben. Die untersuchten Personen waren überwiegend jünger als 45 Jahre und verfügten über ein hohes Bildungsniveau – typisch für Beschäftigte im Gesundheitswesen wie Radiologen oder Labormitarbeiter. In der überarbeiteten Gruppe waren sie tendenziell jünger und kürzer im Beruf.
Einige Fachleute interpretieren das größere Volumen bestimmter Hirnareale vorsichtig auch als mögliche Vorstufe zu Störungen. So finden sich ähnliche Muster beispielsweise bei Menschen mit subklinischer Depression oder Schlafmangel. Die Studienautoren weisen darauf hin, dass solche Anpassungen im Gehirn nicht unbedingt gesund sind – sie könnten auch erste Anzeichen für psychische Probleme sein.
Könnten Schlafmangel und Stress die Ursachen liefern?
Ein weiterer Erklärungsansatz liegt im Zusammenspiel aus Schlafproblemen und Stress. Wer viel arbeitet, schläft oft schlechter – und das kann die Dichte und Dicke der grauen Substanz im Gehirn beeinflussen. Auch ein erhöhter Cortisolspiegel durch Stress spielt hier eine Rolle.
Die Forscher stellen allerdings klar, dass noch keine sicheren Rückschlüsse auf Ursache und Wirkung gezogen werden können. Die Studie sei ein erster Schritt, um die Zusammenhänge zwischen Überarbeitung und Gehirnstruktur besser zu verstehen.
Über 800.000 Todesfälle durch lange Arbeitszeiten
Dass lange Arbeitszeiten ein Gesundheitsrisiko darstellen, zeigt sich auch auf globaler Ebene. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sterben weltweit jährlich über 800.000 Menschen an den Folgen übermäßiger Arbeitsbelastung, etwa durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychische Leiden.
Die jetzt vorgelegte Studie ergänzt dieses Wissen um eine neue Perspektive: Die direkte Auswirkung auf das Gehirn. Noch ist unklar, ob die Veränderungen dauerhaft bleiben oder sich zurückbilden, wenn Betroffene ihre Arbeitszeit reduzieren. Klar ist jedoch: Die Spuren im Gehirn lassen sich mit moderner Bildgebung bereits heute sichtbar machen.
Kurz zusammengefasst:
- Überarbeitung verändert das Gehirn: Menschen, die regelmäßig über 52 Stunden pro Woche arbeiten, zeigen messbare Veränderungen in mehreren Hirnregionen.
- Zentrale Steuerungszentren sind betroffen: Bereiche für Denken, Emotionskontrolle und Impulshemmung vergrößern sich sichtbar.
- Folgen sind noch unklar: Die Veränderungen könnten eine Anpassung an chronischen Stress sein, bergen aber gesundheitliche Risiken.
Bild: © Pexels
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