„Hangover“ durch Z-Substanzen: Facharzt setzt auf Cannabis als Alternative
Schlafprobleme werden häufig falsch behandelt. Cannabis bringt laut Facharzt verlässliche Linderung – ohne „Hangover“.

Viele Schlafmittel führen zu einem sogenannten „Hangover“ – Betroffene schlafen zwar ein, fühlen sich am nächsten Tag aber erschöpft statt erholt. © Pexels
Schlaflosigkeit ist längst zur Volkskrankheit geworden. Laut einer YouGov-Umfrage leiden sechs von zehn Menschen in Deutschland unter Ein- oder Durchschlafproblemen. Dahinter steckt häufig chronischer Stress, der Körper und Psyche dauerhaft belastet. Wer Hilfe sucht, bekommt meist schnell ein Schlafmittel verschrieben – doch viele dieser Medikamente wirken nur kurzzeitig und machen müde, abhängig oder krank. Immer mehr Patienten mit Schlafstörungen wenden sich deshalb medizinischem Cannabis zu – auf der Suche nach einer verträglicheren und nachhaltigeren Alternative.
Wir haben mit Dr. med. Julian Wichmann gesprochen. Der Facharzt und Geschäftsführer der Bloomwell GmbH begleitet seit Jahren Patienten, die mit medizinischem Cannabis behandelt werden – besonders bei Schlafstörungen. Er erklärt, warum herkömmliche Therapien oft scheitern und welche Vorteile Cannabis bietet.
Klassische Schlafmittel helfen nur kurz – und machen müde
„Stress ist in unserer westlichen Kultur die Ursache Nummer eins für etliche Folgeerkrankungen. Wenn man es genau nimmt, der Krankmacher schlechthin“, sagt Wichmann. Viele Patienten hätten daraufhin Schlafprobleme, die Alltag und Gesundheit stark belasten.
In solchen Fällen verschreiben viele Hausärzte laut dem Facharzt sogenannte Z-Substanzen wie Zolpidem oder Zopiclon. Sie wirken am GABA-A-Rezeptor im Gehirn, der eine wichtige Rolle für die beruhigende Wirkung im zentralen Nervensystem spielt. Die Z-Substanzen stimulieren diesen, wodurch das Einschlafen erleichtert wird. Auch Benzodiazepine wie Diazepam, Lorazepam oder Alprazolam wirken an diesem Rezeptor, unterscheiden sich aber in ihrer Struktur und wirken eher beruhigend bzw. sogar dämpfend. Ihre Wirkung kann länger anhalten als die der Z-Substanzen, erklärt Wichmann.
Er warnt jedoch eindringlich vor den Folgen: „Sowohl Z-Substanzen als auch Benzodiazepine können teils starke Nebenwirkungen haben, etwa Halluzinationen oder Depressionen. Diese Medikamente sollte man maximal vier Wochen einnehmen. Die Gefahr einer Abhängigkeit ist enorm – und selbst bei kurzzeitiger Anwendung kommt es fast immer zu einem Hangover: starke Müdigkeit am nächsten Tag.“
Tatsächlich zeigen Daten der Bundesärztekammer: Z-Substanzen und Benzodiazepine gelten als „die führenden Medikamente bei Medikamentenabhängigkeit“. Schätzungsweise bis zu 1,5 Millionen Menschen könnten in Deutschland abhängig davon sein. Beim Absetzen drohen schwere Entzugserscheinungen wie Verwirrtheit, Delirium, Bewusstseinsstörungen oder sogar Krampfanfälle.
Cannabis wirkt laut Wichmann zuverlässiger und verträglicher
Angesichts solch schwerer Nebenwirkungen hält Wichmann Cannabis für die deutlich bessere Lösung. „Medizinisches Cannabis ist meist effizienter und nebenwirkungsärmer: Im Vergleich können üblicherweise eher leichte Nebenwirkungen wie beispielsweise Mundtrockenheit, Appetitsteigerung oder kurzzeitiger Schwindel auftreten,“ erläutert Wichmann.
Auch Studien mit Real-World-Daten des Arztes und die offizielle Begleiterhebung des BfArM bestätigen die Einschätzung der vergleichsweise harmlosen Nebenwirkungen. „Ein Hangover bleibt aus – und auch ein Abhängigkeitspotenzial ist bei medizinischem Cannabis, das aus Apotheken nach ärztlicher Verschreibung stammt, nicht belegt,“ so Wichmann.
Eine von der Bloomwell Group durchgeführte Patientenbefragung mit über 1.000 Betroffenen zeigt: Mehr als 40 Prozent konnten nach der Behandlung mit Cannabis andere Schlafmittel absetzen. Viele beschrieben Cannabis als wirksamer und gleichzeitig verträglicher.

Viele Patienten landen im Teufelskreis von Stress und Schlafmangel
Wichmann sieht das Problem auch im System. Warum greifen so viele Ärzte weiter zu den üblichen Medikamenten? Für den Mediziner liegt das Problem auch in der fehlenden Geduld – sowohl auf Seiten der Behandelnden als auch der Betroffenen. „Um die eigentlichen Ursachen zu therapieren, fehlt das eine medizinische Wundermittel. Viele Patienten beginnen eine Verhaltenstherapie, was auch sinnvoll sein kann. Der Haken: Es erfordert sehr viel Disziplin, einmal etablierte Alltagsroutinen zu durchbrechen.“
Häufig scheitern solche Versuche – die Patienten schlafen weiter schlecht, fühlen sich tagsüber erschöpft, werden gereizter, was den Stress weiter steigert. „Am Ende ist auch medizinisches Cannabis ein Therapieversuch – aber meist ein sehr erfolgreicher“, sagt Wichmann.
Gesellschaftliche Vorurteile bremsen moderne Therapie aus
Wichmann sieht sich durch die eigenen Umfrageergebnisse bestätigt. Doch die gesellschaftliche Debatte bleibt verhalten. „Wie bei keiner anderen Therapie müssen sich Cannabis-Patienten rechtfertigen – obwohl es oft deutlich weniger Nebenwirkungen hat als klassische Medikamente“, so der Experte. Auch in vielen Arztpraxen werde das Thema ignoriert. „Z-Substanzen werden reflexartig verschrieben, sobald das Wort Schlafstörung fällt. Cannabis kommt in Gesprächen nicht einmal vor.“
Dabei sprechen die Fakten eine klare Sprache: „Das eigentliche Problem ist, dass medizinisches Cannabis nicht öfter als Therapieoption und vor allem -alternative in Betracht gezogen wird – und dass Patientinnen und Patienten weiterhin den bekannten Risiken und Nebenwirkungen ausgesetzt werden.“
Wichmann wünscht sich für die Zukunft mehr Offenheit für alternative Therapien: „Ich hoffe, dass künftig mehr Ärztinnen und Ärzte medizinisches Cannabis zumindest in Erwägung ziehen. Der Hauptgrund dafür ist der Schutz vor langfristigen Nebenwirkungen anderer Medikamente. Insbesondere bei Volkskrankheiten wie Schlafstörungen ist medizinisches Cannabis eine langfristig gesündere Alternative“.

Kurz zusammengefasst:
- In Deutschland leiden viele Menschen an Schlafstörungen, die oft durch chronischen Stress ausgelöst werden – hier könnte Cannabis eine gute Alternative sein.
- Klassische Schlafmittel wirken nur kurzfristig und können abhängig machen, während medizinisches Cannabis oft verträglicher ist.
- Trotz positiver Erfahrungen und Studien wird Cannabis in vielen Praxen kaum in Betracht gezogen – auch wegen gesellschaftlicher Vorurteile.
Übrigens: In deutschen Apotheken gibt es längst legales Cannabis. Doch viele greifen weiterhin zum illegalen Cannabis – oft aus Unwissen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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