Wenn der Genuss am Essen verloren geht – Übergewicht verändert das Belohnungssystem im Gehirn
Bei Übergewicht sinkt der Neurotensin-Spiegel – das schwächt den Essgenuss und fördert unkontrolliertes Essen.

Bei regelmäßigem Konsum von Junkfood sinkt bei Übergewicht der Neurotensin-Spiegel im Gehirn. Dadurch verliert das Essen seinen Reiz und das Belohnungssystem reagiert schwächer. © Pexels
Pommes, Burger, Eis – fettiges Essen sorgt für einen Dopaminschub im Gehirn. Das Glücksgefühl beim Essen gerät oft in den Fokus, wenn es um die Ursachen für Fettleibigkeit geht. Doch eine neue Studie legt nahe, dass das Gegenteil ebenfalls stimmen kann: Menschen mit starkem Übergewicht empfinden häufig weniger Freude beim Essen. Das beeinflusst ihr Essverhalten auf unerwartete Weise. Forscher der University of California in Berkeley fanden heraus, dass ein bestimmter Botenstoff im Gehirn, Neurotensin, bei Übergewicht stark abnimmt. Dieser Stoff wirkt direkt im Dopaminnetzwerk und ist entscheidend für das Gefühl von Genuss und Motivation beim Essen. Ohne ihn kann Essen zur reinen Gewohnheit werden – ohne Lust, ohne Freude.
Neurotensin sinkt bei Übergewicht – Fettes Essen verliert an Reiz
Professor Stephan Lammel leitet das Forschungsteam und zeigt, dass das Gehirn auf fettiges Essen anders reagiert, wenn Menschen über längere Zeit sehr kalorienreich essen. Die Forscher fütterten für die Studie Mäuse entweder mit einer normalen Diät (4 Prozent Fett) oder mit einer stark fetthaltigen Diät (60 Prozent Fett). Die Tiere mit der fettreichen Kost nahmen wie erwartet zu. Doch etwas Überraschendes passierte: Sie verloren nach und nach das Interesse an dem kalorienreichen Futter – obwohl es weiterhin verfügbar war. Der Reiz, den solches Essen normalerweise auslöst, verschwand.
Eine fettreiche Diät verändert das Gehirn und senkt den Neurotensin-Spiegel, was wiederum beeinflusst, wie wir essen und auf diese Nahrungsmittel reagieren.
Stephan Lammel
Das Gehirn verliert also nicht nur die Kontrolle über die Nahrungsaufnahme – es verliert auch das Interesse an Essen, das eigentlich glücklich machen sollte. Das zeigt sich auch in Hirnscans von Menschen mit Fettleibigkeit. Dort sind die Regionen, die normalerweise auf leckeres Essen reagieren, weniger aktiv. Viele Betroffene berichten, dass sie kaum noch Freude am Essen empfinden. Trotzdem essen sie weiter – oft aus Langeweile oder weil es zur Gewohnheit geworden ist.
Neurotensin beeinflusst Dopamin-System
Neurotensin ist eng mit dem Dopamin-System im Gehirn verbunden – also dem Teil, der für Belohnung und Motivation zuständig ist. Wenn Neurotensin fehlt, fehlt auch der „Kick“ beim Essen. „Neurotensin ist dieses fehlende Bindeglied. Normalerweise verstärkt es die Dopaminaktivität, um Belohnung und Motivation anzutreiben, “ erklärt Lammel.
Bei Mäusen mit stark fetthaltiger Ernährung war dieser Mechanismus gestört. Das Verlangen nach fettigem Essen war gedämpft – nicht, weil sie satt waren, sondern weil das Gehirn nicht mehr richtig reagierte.
Genuss wiederherstellen und weniger essen
Die Forscher wollten wissen, ob sich dieser Zustand rückgängig machen lässt. Dazu stellten sie die Ernährung der Mäuse um – zwei Wochen lang bekamen sie wieder eine normale Diät. Das Ergebnis: Der Neurotensin-Spiegel stieg, die Aktivität im Dopamin-System normalisierte sich und das Essverhalten änderte sich deutlich.
Noch bessere Effekte erzielten sie mit einem genetischen Eingriff, der den Neurotensin-Spiegel gezielt erhöhte. Die Tiere wurden aktiver, aßen weniger und verloren Gewicht. Auch ihre Angstreaktionen nahmen ab, und ihr Bewegungsverhalten normalisierte sich.
Neurotensin als Therapiemöglichkeit bei Übergewicht
Die Studie öffnet die Tür für neue Therapieansätze bei Übergewicht. Statt nur auf Kalorien oder Bewegung zu setzen, könnte man künftig gezielt das Belohnungssystem im Gehirn ansprechen. Neurotensin wäre ein möglicher Angriffspunkt. Die Forscher aus Berkeley arbeiten bereits daran, die genauen Signalwege zu entschlüsseln, an denen der Botenstoff beteiligt ist.
Lammel zeigt sich zuversichtlich: „Wir haben jetzt das vollständige genetische Profil dieser Neuronen und wie sie sich durch fettreiche Diäten verändern. Der nächste Schritt ist, Wege stromauf- und stromabwärts von Neurotensin zu erforschen, um präzise therapeutische Ziele zu finden.“
Kurz zusammengefasst:
- Menschen mit starkem Übergewicht empfinden oft weniger Freude am Essen, weil bei ihnen der Botenstoff Neurotensin im Gehirn verringert ist – dadurch reagiert das Belohnungssystem schwächer.
- Eine fettreiche Ernährung senkt den Neurotensin-Spiegel, mindert das Verlangen nach Essen – trotzdem essen Betroffene weiter, häufig ohne Genuss.
- Wird Neurotensin gezielt erhöht – etwa durch Ernährungsumstellung oder genetische Eingriffe – kehrt der Essgenuss zurück, die Nahrungsaufnahme sinkt und das Gewicht verringert sich.
Übrigens: Fettleibigkeit kann nicht nur das Belohnungssystem im Gehirn stören – sie verändert auch die Darmflora und fördert Angstzustände. Mehr dazu in unserem Artikel.
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