Hochgiftige Pflanze hilft seit Jahrhunderten bei Herzschwäche – jetzt liefern Forscher den Beweis

Erstmals belegt: Der Wirkstoff Digitoxin aus rotem Fingerhut senkt Sterblichkeit bei schwerer Herzschwäche deutlich.

Studie bestätigt: Digitoxin senkt Sterblichkeit bei Herzschwäche

Er wächst in vielen Gärten und ist giftig: der rote Fingerhut. Jahrhunderte lang als Heilpflanze bekannt, wird aus ihm Digitoxin gewonnen, ein Wirkstoff, der jetzt nachweislich Leben bei Herzschwäche retten kann. © Wikimedia

Der rote Fingerhut (Digitalis purpurea) wächst vor allem in Europa und ist hochgiftig. Bereits der Verzehr geringer Mengen, etwa zwei bis drei Blätter, kann für einen Erwachsenen lebensbedrohlich sein. Dennoch gehört Fingerhut zu den ältesten bekannten Heilpflanzen der Herzmedizin. Schon im 18. Jahrhundert nutzte der englische Arzt William Withering Extrakte der Pflanze, um Patienten mit Wassersucht – einem Symptom von Herzschwäche – zu behandeln. Seine Beobachtungen gelten als Beginn der modernen Kardiologie. Der enthaltene Wirkstoff Digitoxin war dabei für die positive Wirkung auf das geschwächte Herz verantwortlich.

Jetzt zeigt eine neue Studie der Medizinischen Hochschule Hannover: Digitoxin reduziert die Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz deutlich – und kann Krankenhausaufenthalte vermeiden. Für Millionen Betroffene könnte das alte Mittel damit zu einem neuen Hoffnungsträger werden.

Zusatztherapie bringt echten Nutzen

Das Herz arbeitet ununterbrochen: Rund 70 Schläge pro Minute treiben etwa fünf Liter Blut durch den Körper. So gelangt Sauerstoff in die Zellen, Nährstoffe in die Organe. Doch wenn das Herz dauerhaft schwächer wird, spricht man von chronischer Herzschwäche – auch Herzinsuffizienz genannt. In Deutschland sind rund vier Millionen Menschen betroffen. Typische Symptome sind Atemnot, schnelle Erschöpfung, Wassereinlagerungen oder Herzrhythmusstörungen. Viele Betroffene landen deshalb immer wieder im Krankenhaus – oder sterben an den Folgen.

Die Studie lief über zehn Jahre und wurde an mehr als 50 Kliniken in Deutschland, Österreich und Serbien durchgeführt. Insgesamt nahmen 1240 Menschen mit sogenannter HFrEF (Heart Failure with reduced Ejection Fraction) teil, einer Form der Herzschwäche, bei der das Herz nur noch eingeschränkt Blut in den Körper pumpt. Die meisten erhielten bereits Standardmedikamente wie Betablocker oder Diuretika. Trotzdem blieb ihr Gesundheitszustand kritisch. Die neue Untersuchung zeigt nun: Wer zusätzlich Digitoxin bekam, hatte bessere Chancen.

  • In der Digitoxin-Gruppe mussten 39,5 Prozent der Betroffenen ins Krankenhaus oder starben.
  • In der Vergleichsgruppe ohne Digitoxin waren es 44,1 Prozent.

Dieser Unterschied ist medizinisch bedeutsam – und statistisch klar belegt.

Sicherheit für Risikopatienten bestätigt

Besonders überrascht waren die Forscher, dass Digitoxin auch bei Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion gut wirkt. Der Wirkstoff wird über Leber und Darm ausgeschieden. Das unterscheidet ihn von anderen ähnlichen Medikamenten wie Digoxin, das die Nieren belastet. Studienleiter Professor Udo Bavendiek erklärt:

Richtig dosiert ist Digitoxin eine sichere Therapie bei Herzinsuffizienz.

Der Wirkstoff eigne sich zudem zur Kontrolle von Vorhofflimmern, besonders wenn Betablocker allein nicht ausreichen.

Die Kardiologen Professor Johann Bauersachs und Professor Udo Bavendiek haben erstmals nachgewiesen, dass ein Wirkstoff aus rotem Fingerhut bei Herzschwäche die Sterblichkeit senken kann.
Die Kardiologen Professor Johann Bauersachs und Professor Udo Bavendiek haben erstmals belegt, dass ein Wirkstoff aus rotem Fingerhut die Sterblichkeit bei Herzschwäche senken kann. © Pixabay, Karin Kaiser/MHH

Geringere Dosis, großer Effekt

Ein weiterer Vorteil: Die empfohlene Dosis liegt deutlich unter früheren Standards. Statt 0,1 Milligramm pro Tag reichen laut Studie schon 0,07 Milligramm aus, um den Nutzen zu erzielen. Diese niedrige Dosierung reduziert das Risiko für Nebenwirkungen und macht die Behandlung noch sicherer.

Hinzu kommt der Preis: Digitoxin ist als Generikum erhältlich und kostet nur wenige Cent. Damit ist es deutlich günstiger als viele neue Medikamente gegen Herzschwäche.

Behandlung mit Digitoxin könnte Leitlinien verändern

Obwohl Digitoxin schon seit über 200 Jahren medizinisch genutzt wird, fehlte bisher ein belastbarer Wirksamkeitsnachweis nach heutigen wissenschaftlichen Standards.

„Es ist aber in Deutschland weiterhin das am häufigsten verwendete Digitalispräparat – bisher allerdings ohne einen wissenschaftlich erwiesenen Wirknachweis“, so Professor Bavendiek. Das hat sich mit der Studie nun geändert.

Wichtigste Vorteile von Digitoxin auf einen Blick:

  • nachgewiesen wirksam bei schwerer Herzschwäche
  • besonders geeignet für Menschen mit Nierenproblemen
  • sehr günstig durch generische Herstellung
  • gut verträglich bei richtiger Dosierung
  • einfache Anwendung im Praxisalltag

Kurz zusammengefasst:

  • Digitoxin aus dem roten Fingerhut kann das Risiko für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle bei schwerer Herzschwäche deutlich senken.
  • Der Wirkstoff wirkt auch bei Menschen mit Nierenschwäche sicher, da er über Leber und Darm ausgeschieden wird.
  • Bereits eine kleine tägliche Dosis reicht aus – Digitoxin ist wirksam, gut verträglich und extrem günstig erhältlich.

Übrigens: Männer sterben doppelt so häufig am Broken-Heart-Syndrom wie Frauen – obwohl sie seltener betroffen sind. Warum seelische Belastung in Kombination mit körperlichem Stress für Männer so gefährlich wird, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Sketyl none via Wikimedia unter CC BY 2.0

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