Kindheit ohne Freunde? – Risiko für Demenz steigt um 41 Prozent
Eine Untersuchung zeigt: Menschen, die in ihrer Kindheit sehr viel Einsamkeit erlebt haben, erkranken häufiger an Demenz.

Indem sie Einsamkeit in der Kindheit bekämpfen, können Familien, Schulen und Gesundheitssysteme dazu beitragen, die Zahl an Demenzfällen zu reduzieren. © Pexels
In Deutschland fühlen sich laut Deutschem Jugendinstitut rund 20 Prozent der Kinder regelmäßig einsam, in manchen Altersgruppen sogar jedes dritte Kind. Was zunächst wie ein vorübergehendes Problem klingt, kann langfristige Folgen haben: Eine neue Untersuchung zeigt, dass frühe Einsamkeit das Demenzrisiko im Alter deutlich erhöht.
Wer in der Kindheit ohne enge Freunde aufwächst, hat später ein um 41 Prozent höheres Risiko für Demenz – ein Zusammenhang, der selbst dann bestehen bleibt, wenn die Betroffenen als Erwachsene nicht mehr einsam sind. Wie stark dieser Zusammenhang tatsächlich ist, zeigt die groß angelegte Studie aus China.
Studie mit über 13.000 Teilnehmern
Die Basis für diese Analyse liefert die China Health and Retirement Longitudinal Study, kurz CHARLS. An dieser Studie nahmen zwischen den Jahren 2011 und 2018 mehr als 13.500 Menschen ab 45 Jahren teil. Das mittlere Alter der Teilnehmern lag bei rund 58 Jahren, etwas mehr als die Hälfte waren Frauen.
Fast die Hälfte der Befragten berichtete von „möglicher Einsamkeit in der Kindheit“. 565 Personen, also 4,2 Prozent, gaben klar an, in ihrer Jugend einsam gewesen zu sein. Nahezu jeder Zweite erklärte zudem, in dieser Zeit keine engen Freundschaften gehabt zu haben.
Frühe Einsamkeit steigert Demenzrisiko im Alter
Die Auswertung zeigt:
- Wer in der Kindheit Einsamkeit erlebt hat, entwickelte im Verlauf seines Lebens häufiger Demenz.
- Während der siebenjährigen Nachbeobachtung traten insgesamt 697 neue Fälle auf.
- Das entspricht gut fünf Prozent der untersuchten Gruppe.
Unter den Betroffenen, die schon in jungen Jahren einsam waren, lag die Rate bei 13,5 Erkrankungen pro 1000 Personenjahre – deutlich höher als bei Menschen ohne solche Erfahrungen. Personen, die in ihrer Kindheit häufig einsam waren, hatten ein um 41 Prozent höheres Demenzrisiko. Wer lediglich keine engen Freunde hatte, zeigte dagegen keine auffällige Steigerung.
Nach Angaben von Fachleuten könnte die Zahl der Demenzfälle weltweit von derzeit 50 Millionen bis 2050 auf 152 Millionen steigen. Da es keine heilenden Therapien gibt, ist Vorbeugung umso wichtiger. Die Untersuchung liefert hierfür eine wichtige Erkenntnis: Einsamkeit spielt nicht nur in der zweiten Lebenshälfte eine Rolle. Sie kann bereits früh im Leben den Grundstein für spätere Risiken legen.
Kindheit ist eine entscheidende Phase
Der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und geistigem Abbau bestand auch dann, wenn die Betroffenen im Erwachsenenalter nicht mehr einsam waren.
Erwachsene Einsamkeit vermittelte nur knapp neun Prozent des Zusammenhangs mit kognitivem Abbau und rund 17 Prozent des Zusammenhangs mit Demenz, heißt es in der Studie.
Erfahrungen in der Kindheit hinterlassen also langfristige Spuren. Und diese lassen sich nicht allein durch spätere soziale Kontakte ausgleichen. Die Forscher sehen die frühe Lebensphase deshalb als besonders verletzlich an. Das Gehirn entwickelt sich in diesen Jahren, ist formbar und reagiert sensibel auf psychosoziale Belastungen. Das Fehlen sozialer Bindungen und das Gefühl der Isolation können zu Stressreaktionen führen, die das Nervensystem dauerhaft prägen.
Es reicht also nicht, Einsamkeit erst im Alter oder im mittleren Lebensabschnitt anzugehen. Prävention müsste laut den Wissenschaftlern schon in Kindheit und Jugend einsetzen, um spätere gesundheitliche Schäden zu verhindern.
Einsamkeit beginnt früh – und kann bis ins Alter krank machen
Die Ergebnisse der chinesischen Studie und die aktuellen Zahlen des Deutschen Jugendinstituts führen zum gleichen Punkt: Einsamkeit ist kein Randthema, sondern beginnt oft schon in jungen Jahren. Bereits mehr als jedes fünfte Kind im Grundschulalter in Deutschland fühlt sich laut DJI zumindest manchmal allein – bei Kindern aus Trennungsfamilien oder mit finanziellen Belastungen liegt der Anteil noch deutlich höher.
Damit wird klar: Wenn Einsamkeit schon in der Kindheit gesundheitliche Spuren hinterlassen kann, braucht es nicht erst im Alter Prävention, sondern frühzeitige Unterstützung in Familien, Schulen und Gesellschaft. Nur so lässt sich verhindern, dass aus frühen Erfahrungen von Isolation ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen und Demenz im späteren Leben wird.
Kurz zusammengefasst:
- Einsamkeit in der Kindheit erhöht das Risiko für kognitiven Abbau und Demenz im Alter deutlich.
- Erwachsene Einsamkeit erklärt nur einen kleinen Teil dieses Zusammenhangs, die frühen Erfahrungen wirken eigenständig nach.
- Vorbeugende Maßnahmen müssen deshalb bereits in Kindheit und Jugend ansetzen, um die geistige Gesundheit langfristig zu schützen.
Übrigens: Eine Studie der ETH Zürich hat gezeigt, dass spezielle Übungen den Krankheitsverlauf einer Demenz verlangsamen könnten. Mehr dazu gibt es in unserem Artikel.
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