Ausschalter für Schmerzrezeptoren gefunden: Chronische Schmerzen könnten bald behandelbar sein
Forscher haben eine molekulare Technologie entwickelt, die Schmerzrezeptoren deaktivieren und chronische Schmerzen lindern könnte.
Schmerzen sind eigentlich ein Warnsignal des Körpers – ein Mechanismus, der uns vor weiteren Verletzungen schützen soll. Doch was passiert, wenn dieser Schutz außer Kontrolle gerät? Chronische Schmerzen, oft ausgelöst durch Verletzungen, Nervenschäden oder Entzündungen, können den Alltag zur Qual machen. Ein normales Leben scheint für viele Betroffene unerreichbar. Doch eine neue Entdeckung der UNC School of Medicine gibt Hoffnung. Mit einer innovativen Gentherapie wollen die Forscher Schmerzrezeptoren gezielt deaktivieren und damit chronische Schmerzen effektiv bekämpfen.
Im Mittelpunkt steht eine Technologie, die auf einem Konzept basiert, das Bryan L. Roth vor mehr als zwei Jahrzehnten entwickelte. Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen: Was in Mausmodellen funktioniert, könnte in Zukunft Millionen von Menschen helfen.
Chronische Schmerzen abschalten – wie funktioniert das?
Die Methode der Forscher wirkt wie ein molekulares „Ein- und Ausschalten“. Sie basiert auf einem speziell modifizierten Rezeptor namens mHCAD, der aus dem natürlichen Hydroxycarboxylsäure-Rezeptor 2 (HCA2) entwickelt wurde. Der Clou: mHCAD wird ausschließlich durch eine inerte Substanz namens FCH-2296413 aktiviert. Diese Substanz hat keinerlei therapeutische Wirkung, außer in Kombination mit dem modifizierten Rezeptor. So kann gezielt verhindert werden, dass Schmerzsignale von den Nervenzellen zum Gehirn gelangen.
Übrigens: Ein inertes Medikament hat keine pharmakologisch aktiven Wirkstoffe und ruft somit keine direkten physiologischen Effekte im Körper hervor.
Bryan L. Roth erklärt die Vision hinter der Technik: „Die Idee ist, dass wir dieses chemogenetische Werkzeug über ein Virus zu den Neuronen bringen könnten, die den Schmerz wahrnehmen. Dann könnte man einfach eine inerte Pille einnehmen und diese Neuronen ‚ausschalten‘, und der Schmerz würde buchstäblich verschwinden.“
Schmerzgrenze wird spürbar erhöht: Warum ist diese Entwicklung so besonders?
Das Besondere an dieser Methode ist ihre Präzision. Schmerz entsteht durch sogenannte Nozizeptoren – spezialisierte Nervenzellen, die Signale bei Gewebeschäden oder Entzündungen aussenden. Das neue System beeinflusst genau diese Nozizeptoren, ohne andere Funktionen des Nervensystems zu stören. Dadurch wird die Schmerzgrenze deutlich erhöht: Ein Reiz, der früher heftige Schmerzen auslöste, wird schlicht nicht mehr wahrgenommen.
Doch die Entwicklung war alles andere als einfach. Grégory Scherrer, außerordentlicher Professor an der UNC School of Medicine, erläutert die größte Herausforderung: „Viele Gene, die im peripheren Nervensystem aktiv sind, kommen auch im zentralen Nervensystem, vor allem im Gehirn, vor. Wir mussten unzählige Tests durchführen, um sicherzustellen, dass unser Ansatz ausschließlich in der Peripherie wirkt.“
Das Forscherteam benötigte mehr als sieben Jahre, um den richtigen Rezeptor und die passende Wirkstoffverbindung zu finden. Der Durchbruch gelang schließlich mit dem HCA2-Rezeptor, der normalerweise durch Vitamin B3 aktiviert wird. Die modifizierte Version, mHCAD, dockt hingegen nur an FCH-2296413 an und wirkt damit zielgerichtet im peripheren Nervensystem.
Das könnte dich auch interessieren:
- Musik statt Morphium: Wie Klänge nach Operationen Schmerzen lindern
- Studie bestätigt: Berührungen reduzieren Stress und Schmerzen
- Die Schmerzen von Frauen: Ein Kampf gegen Vorurteile
Gentherapie: Hoffnung auf schmerzfreie Zukunft
Die Technologie könnte eines Tages über Gentherapie direkt in die betroffenen Nervenzellen eingebracht werden. Hierbei würde ein Virus als Träger genutzt, um die modifizierten Rezeptoren in die Schmerzneuronen einzuschleusen. Bereits in den aktuellen Versuchen mit Mausmodellen zeigte sich die Wirksamkeit dieses Ansatzes. Die Technologie erlaubt eine präzise Steuerung, ohne das zentrale Nervensystem zu beeinträchtigen.
Die Auswirkungen könnten weit über die Schmerztherapie hinausgehen. Mit dieser Technologie lassen sich potenziell auch andere Funktionen des peripheren Nervensystems untersuchen, etwa Berührungsempfinden, Temperaturwahrnehmung oder Muskelbewegungen. Laut Scherrer eröffnet die Methode ganz neue Möglichkeiten in der Forschung: „Es gibt Dutzende von Klassen peripherer Nervenzellen, die wir noch nicht vollständig verstehen. Dieses Werkzeug wird uns helfen, Zielstrukturen zu definieren, die wir therapeutisch nutzen können.“
Was du dir merken solltest:
- Chronische Schmerzen bekämpfen: Forscher der UNC School of Medicine haben eine molekulare Technologie entwickelt, die gezielt Schmerzrezeptoren deaktivieren kann.
- Chemogenetik im Einsatz: Das System basiert auf einem modifizierten Rezeptor (mHCAD), der nur auf eine spezielle Substanz reagiert und Schmerzsignale blockiert.
- Perspektive Gentherapie: Über ein Virus könnte die Technologie direkt in Schmerzneuronen eingebracht werden, um langfristig gezielte Schmerzlinderung zu ermöglichen.
Bild: © Pexels