Autistische Kinder werden oft zu spät diagnostiziert – das soll sich jetzt ändern

Autismus bleibt oft unbemerkt – neue Methoden sollen jetzt für eine frühere Erkennung sorgen.

Experten fordern frühere Autismus-Diagnosen – schon im Babyalter. © Vecteezy

Experten fordern frühere Autismus-Diagnosen – schon im Babyalter. © Vecteezy

Autismus ist keine Krankheit, sondern eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die sich auf die Wahrnehmung und das Sozialverhalten auswirkt. Manche Betroffene haben Schwierigkeiten, Blickkontakt zu halten oder Gespräche zu führen, andere benötigen lebenslange Unterstützung im Alltag. Wissenschaftler forschen intensiv daran, Autismus besser zu verstehen – vor allem, um früher helfen zu können. Ein Schlüssel dazu ist die Diagnose im frühen Kindesalter. Je eher Autismus erkannt wird, desto besser können individuelle Fördermaßnahmen greifen. Genau darum ging es bei der 16. Wissenschaftlichen Tagung Autismus-Spektrum (WTAS) vom 6. bis 8. März 2025 in Heidelberg.

Früherkennung: Warum der Zeitpunkt entscheidend ist

Eine Diagnose von Autismus erfolgt oft erst im Alter von zwei bis drei Jahren, wenn Auffälligkeiten im Verhalten deutlicher werden. Doch viele Forscher wollen diesen Zeitpunkt weiter nach vorne verschieben. Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Universitätsklinikums Heidelberg baut deshalb ein Zentrum auf, das sich auf die Früherkennung spezialisiert. Besonders Kinder mit einem höheren Risiko – etwa wenn Geschwister bereits die Diagnose Autismus haben – werden dort engmaschig beobachtet.

Laut des Universitätsklinikums Heidelberg ist ein weiterer Forschungsansatz die Analyse von Bewegungsmustern bei Babys. Professor Peter Marschik vom Universitätsklinikum Heidelberg nutzt dazu das „Phenomobil“ – ein mobiles Labor, das mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren ausgestattet ist. Damit kann er kleinste Bewegungen, Mimik und Geräusche erfassen und mittels künstlicher Intelligenz mit typischen Mustern von nicht-autistischen Babys vergleichen.

Das „Phenomobil“ ist ein mobiles Labor, das die frühkindliche Entwicklung untersucht. © Universitätsklinikum Heidelberg

Autismus bedeutet Vielfalt

Autismus zeigt sich bei jedem Menschen anders. Während manche Betroffene Schwierigkeiten im sozialen Umgang haben, aber ein eigenständiges Leben führen, benötigen andere intensive Unterstützung im Alltag. Laut Schätzungen liegt der Anteil autistischer Menschen weltweit bei etwa ein bis 1,2 Prozent. Das bedeutet, dass in Deutschland Hunderttausende betroffen sind.

Viele Autisten nehmen ihre Umgebung anders wahr als neurotypische Menschen – also Menschen ohne Autismus. Der Selbsthilfeverein Autismus Nordbaden-Pfalz beschreibt, dass Autisten oft Schwierigkeiten haben, Reize zu filtern. Laute Geräusche oder unerwartete Veränderungen können sie überfordern. Manche meiden Blickkontakt und zeigen wenig Mimik, weil es ihnen schwerfällt, Gesichtsausdrücke zu deuten.

Sie empfinden ihre Umgebung häufig als Chaos. Dies kann zu Veränderungsängsten, Panikzuständen oder dem totalen Rückzug in sich selbst, zu Sprachlosigkeit oder verschiedenen anderen Verhaltensauffälligkeiten führen.

Selbsthilfeverein Autismus Nordbaden-Pfalz

Unterstützung in Schule und Beruf

Damit Kinder mit Autismus nicht an den Anforderungen des Schulsystems scheitern, gibt es spezielle Beratungsangebote. Das Staatliche Schulamt Mannheim hat eine mobile Autismusberatung eingerichtet, die Schüler und Lehrkräfte unterstützt. Es geht darum, passende Lösungen für den Unterricht zu finden, damit Betroffene ihren eigenen Weg gehen können.

Auch im Berufsleben gibt es gezielte Programme. Das Softwareunternehmen SAP hat „Autism at Work“ ins Leben gerufen. Es hilft Autisten bei der Jobsuche, indem es individuelle Stärken berücksichtigt und Arbeitsplätze anpasst. Viele von ihnen haben außergewöhnliche Fähigkeiten in bestimmten Bereichen, wie etwa IT-Sicherheit oder Datenanalyse. Unternehmen profitieren dabei von ihrer Detailgenauigkeit und analytischem Denken – eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Kurz zusammengefasst:

  • Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die sich auf Wahrnehmung, Sozialverhalten und Kommunikation auswirkt – je früher er erkannt wird, desto besser können Betroffene unterstützt werden.
  • Am Universitätsklinikum Heidelberg wird an neuen Methoden zur Früherkennung geforscht, darunter die Analyse von Bewegungsmustern bei Babys mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz.
  • Spezielle Beratungs- und Förderprogramme in Schule und Beruf helfen autistischen Menschen, ihre Stärken einzusetzen und Herausforderungen besser zu bewältigen.

Bild: © Vecteezy

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