Gefährliche Keime in Garnelen – Antibiotikaresistenz breitet sich über Meeresfrüchte aus
In Garnelen haben Forscher erstmals resistente Bakterien entdeckt, die lebenswichtige Antibiotika wirkungslos machen können.

Auf dem Teller appetitlich, im Labor alarmierend: In Garnelen können sich antibiotikaresistente Keime verstecken. © Pexels
Colistin gilt als allerletzte Rettung, wenn nichts anderes mehr hilft. Das starke Antibiotikum kommt nur dann zum Einsatz, wenn Patienten mit gefährlichen Bakterien infiziert sind, gegen die kein anderes Mittel mehr wirkt. Doch genau dieses Notfallmedikament verliert immer mehr an Wirkung. Grund dafür sind neue Resistenzen – und die kommen möglicherweise direkt aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt. Eine aktuelle Untersuchung der American Society of Microbiology deckt auf: Meeresfrüchte können Träger einer gefährlicher Antibiotikaresistenz sein – und so resistente Keime weltweit verbreiten.
Die Forschern haben damit einen bisher übersehenen Verbreitungsweg offengelegt: importierte Garnelen und Jakobsmuscheln. In Proben von acht verschiedenen Lebensmittelmärkten rund um Atlanta fanden sie Bakterien, die ein Gen namens mcr tragen. Dieses Gen macht Keime resistent gegen Colistin.
Antibiotikaresistenz breitet sich unbemerkt über Meeresfrüchte aus
Leiter der Untersuchung ist der Mikrobiologe Dr. Issmat Kassem von der University of Georgia. Für ihn war das Ergebnis alarmierend: „Die Bakterien, die Colistin-Resistenzgene tragen, werden normalerweise nicht untersucht“, sagte er. Doch gerade sie könnten eine versteckte Gefahr darstellen – denn sie lassen sich leicht übersehen.
Das Problem: Das mcr-Gen kann zwischen verschiedenen Bakterienarten weitergegeben werden. Es sitzt auf sogenannten Plasmiden – kleinen DNA-Stücken, die unabhängig vom Erbgut durch die Mikroben wandern. Das bedeutet: Selbst wenn die gefundenen Bakterien harmlos erscheinen, können sie ihre gefährliche Resistenz weitergeben – zum Beispiel im menschlichen Darm.
Importierte Lebensmittel als versteckter Risikofaktor
Die entdeckten Keime stammten ausschließlich aus importierten Produkten – lokal gefangene Meeresfrüchte blieben frei von den resistenten Genen. Das macht den weltweiten Lebensmittelhandel zum entscheidenden Faktor. „Unser Essen stammt aus verschiedenen Ländern“, erklärt Kassem. „Einige Länder haben keine strengen Vorschriften für den Einsatz von Antibiotika in der Lebensmittelproduktion.“
Viele Länder nutzen Antibiotika großzügig in der Aquakultur, also bei der Aufzucht von Fischen und Meeresfrüchten. Diese Praxis fördert resistente Keime. Über den globalen Handel landen sie schließlich auf unseren Tellern. In den USA stammen rund 90 Prozent aller konsumierten Garnelen aus dem Ausland – in Deutschland sieht es ähnlich aus.
Wenn das letzte Mittel nicht mehr wirkt
Colistin wurde bereits in den 1950er Jahren entwickelt, wegen starker Nebenwirkungen aber später nur noch selten eingesetzt. Erst als sich multiresistente Keime weltweit ausbreiteten, kam es wieder zum Einsatz. Die Weltgesundheitsorganisation stuft es inzwischen als „hochprioritäres, kritisch wichtiges Antibiotikum“ ein.
Seit 2016 tauchen immer mehr Varianten des mcr-Gens auf – mindestens zehn unterschiedliche Versionen wurden bereits entdeckt. Infektionen mit solchen Keimen gelten als schwer behandelbar. Weltweit sterben jedes Jahr Hunderttausende Menschen an Infektionen mit resistenten Bakterien. Und je weiter sich die Gene verbreiten, desto schwieriger wird die Therapie.
Viele Keime bleiben unbemerkt – und reisen weit
Kassem erläutert: „Wir leben in einer sehr vernetzten Welt. Wir bewegen uns viel, wir reisen viel, unser Essen reist, und wir werden alles, was auftaucht, sogar über nationale Grenzen hinweg verbreiten.“ Deshalb fordert er: Lebensmittel müssen stärker kontrolliert werden – nicht nur auf Schadstoffe, sondern auch auf resistente Keime. Und das möglichst früh in der Lieferkette.
Daher ist es wichtig, in Überwachungssysteme zu investieren, sie auszubauen und insbesondere auf globaler Ebene bei antimikrobieller Resistenz zusammenzuarbeiten.
Dr. Issmat Kassem
Deutschland betroffen – ohne es zu merken?
Auch wenn die Studie in den USA stattfand, betrifft sie europäische Verbraucher direkt. Denn importierte Meeresfrüchte stammen auch hierzulande häufig aus Regionen, in denen der Einsatz von Antibiotika kaum geregelt ist. Und auch in deutschen Supermärkten liegen Tiefkühl-Garnelen aus Südostasien, Südamerika oder Afrika.
Was dort in der Zucht eingesetzt wird, landet unter Umständen auf deutschen Tellern. Und mit ihm wandern resistente Gene in den menschlichen Körper – oft unbemerkt. Die Folge können Infektionen sein, die sich kaum noch behandeln lassen. Besonders für ältere Menschen, Kinder oder immungeschwächte Patienten kann das lebensgefährlich werden.
Kurz zusammengefasst:
- Colistin ist ein Reserveantibiotikum für besonders schwere Infektionen – doch resistente Keime breiten sich zunehmend über importierte Lebensmittel aus.
- In Garnelen und Jakobsmuscheln aus dem Ausland fanden Forscher erstmals Bakterien mit mcr-Genen, die ihre Resistenz auf andere Keime übertragen können.
- Antibiotikaresistenz kann durch importierte Meeresfrüchte in den menschlichen Körper gelangen – deshalb sind bessere Kontrollen entlang der Lieferkette entscheidend.
Übrigens: Wenn resistente Keime selbst die stärksten Antibiotika überleben, bleiben oft nur noch unkonventionelle Mittel. Forscher aus Tübingen setzen jetzt gezielt Viren auf Superkeime an – und hoffen auf eine neue Ära der Infektionsmedizin. Mehr dazu in unserem Artikel.
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