Ärzte warnen: Alkohol trifft Frauen härter – Binge Drinking nimmt bedrohlich zu

Alkohol wirkt bei Frauen schneller und schädlicher. Ärzte sehen physiologische Gründe – und warnen vor steigenden Gesundheitsrisiken.

Ärzte: Alkohol trifft Frauen härter – und Binge Drinking nimmt zu

Binge Drinking nimmt zu: Immer mehr Frauen trinken riskant – oft viel und in kurzer Zeit, zunehmend auch schon in jungen Jahren. © Pexels

Wer 10,6 Liter Reinalkohol pro Jahr zu sich nimmt, trinkt umgerechnet etwa 212 Liter Bier – also rund vier Liter pro Woche. So viel konsumiert durchschnittlich jede Person ab 15 Jahren in Deutschland. In Frankreich liegt der Wert ähnlich hoch, auch wenn der Alkoholkonsum dort in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Dass dabei auch schon als „moderat“ geltende Mengen erhebliche Risiken bergen, zeigt eine neue Initiative der französischen Gesundheitsbehörde HAS. Sie fordert: mehr Aufklärung, weniger Tabu – und eine neue Sicht auf das Thema Alkohol, besonders bei Frauen.

Denn: Alkohol ist für Frauen nicht nur in der Schwangerschaft ein Thema. Laut Dr. Marie-Olivia Chandesris, Projektleiterin bei der französischen Gesundheitsbehörde HAS und Expertin für frauenspezifische Gesundheitsrisiken, wirken schon kleine Mengen stärker, erhöhen das Risiko für Krankheiten – und sind oft Ausdruck tieferliegender Belastungen.

Binge Drinking: Ein riskantes Verhalten greift um sich

Dr. Chandesris spricht im Interview mit Medscape über besorgniserregende Entwicklungen. Auffällig sei vor allem der Trend zum sogenannten Binge Drinking – also dem Konsum großer Mengen Alkohol in kurzer Zeit. Dieses Verhalten nehme unter Frauen deutlich zu, auch bei Jugendlichen. Gleichzeitig steige der problematische Konsum in wohlhabenderen Schichten.

„Uns fällt auf, dass dieser riskante Alkoholkonsum schon bei Minderjährigen ansteigt. Darüber hinaus wissen wir, dass problematischer Konsum häufiger in höheren sozioökonomischen Schichten auftritt als zu früheren Zeiten.“

Was steckt hinter Binge Drinking?

Ein möglicher Verstärker dieses riskanten Konsummusters könnte das Hormon Östrogen sein. Forscher der Weill Cornell Medicine fanden heraus, dass ein hoher Östrogenspiegel bei Frauen das sogenannte „Front-loading“ begünstigt – also das verstärkte Trinken in den ersten 30 Minuten nach dem ersten Glas. In Tiermodellen zeigte sich, dass weibliche Mäuse an Tagen mit erhöhtem Östrogenspiegel deutlich mehr Alkohol konsumierten.

Grund dafür ist eine schnelle, direkte Wirkung des Hormons auf bestimmte Nervenzellen im Gehirn, die Verhalten und Emotionen steuern. Diese neu entdeckte Verbindung zwischen Zyklus, Hormonspiegel und Trinkverhalten könnte helfen, Binge Drinking bei Frauen künftig gezielter zu verstehen – und medizinisch besser zu begleiten.

Gewalt, Trauma, Kontrolle: Warum viele Frauen trinken

Die Gründe für problematischen Alkoholkonsum bei Frauen sind oft komplex – und eng mit psychischen Belastungen verknüpft. Körperliche oder sexuelle Gewalt, traumatische Geburtserlebnisse, emotionale Vernachlässigung oder Missbrauch in der Kindheit zählen zu den häufigsten Auslösern. Vielen fällt es schwer, einen Zusammenhang zwischen ihrem Erleben und dem Trinken zu erkennen.

Ein besonders gefährliches Muster nennt sich Alkoholorexie: Dabei verzichten Betroffene auf Nahrung, um schneller betrunken zu werden. Auch Depressionen, Angststörungen oder ein gestörtes Selbstbild können den Griff zur Flasche begünstigen.

Warum Alkohol Frauen stärker trifft

Frauen vertragen Alkohol schlechter – und zwar aus physiologischen Gründen. Ihr Körper enthält weniger Wasser und die Enzyme bauen Alkohol langsamer ab. Das bedeutet: Die gleiche Menge wirkt bei ihnen schneller und intensiver.

Zudem steigt bei Frauen das Risiko für Leberschäden und bestimmte Krebserkrankungen früher als bei Männern. Besonders alarmierend: „Ein Drittel der alkoholbedingten Brustkrebsfälle ist auf einen Konsum zurückzuführen, der als leicht bis moderat gilt“, sagt Dr. Chandesris. Also genau in dem Bereich, den viele noch für unbedenklich halten.

Scham bremst das Gespräch mit Ärzten aus

Trotz dieser Risiken kommt das Thema Alkohol in der ärztlichen Praxis kaum zur Sprache. In weniger als 20 Prozent der hausärztlichen Gespräche wird laut der französischen Gesundheitsbehörde HAS überhaupt danach gefragt. Frauen sprechen ihren Konsum zudem seltener offen an – aus Angst, stigmatisiert zu werden. Die Folge: viele unbehandelte Fälle.

„Dabei ist Alkohol ein relevantes Gesundheitsthema für alle Frauen – und zwar in jeder Lebensphase“, betont Chandesris. Es geht also nicht nur um Schwangerschaft, sondern auch um die Zeit davor und danach.

Schäden beginnen oft schon vor der Schwangerschaft

Was viele nicht wissen: Alkohol schadet sogar dann, wenn noch gar keine Schwangerschaft besteht. Denn: „Alkohol kann bereits über die Keimzellen toxisch wirken – bei Frauen und bei Männern“, sagt Chandesris. Die Qualität der Spermien oder Eizellen kann durch regelmäßigen Konsum sinken – mit Folgen für das ungeborene Kind.

Besonders heikel ist die frühe Phase einer Schwangerschaft, in der viele Frauen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. Gerade in dieser Zeit entwickeln sich wichtige Organe – Alkohol kann hier schwere Schäden verursachen.

Wenn der Partner trinkt, steigt das Risiko

Ein weiterer Risikofaktor ist das soziale Umfeld. Trinken Angehörige oder der Partner regelmäßig, ist es für Schwangere schwer, ganz zu verzichten. Die HAS rät deshalb: Ab Kinderwunsch oder dem Verzicht auf Verhütung – kein Alkohol, weder für Frauen noch für Männer. Selbst ein späterer Ausstieg oder eine Reduktion seien jederzeit sinnvoll und wirkungsvoll.

Damit Aufklärung gelingt, braucht es flexible, anonyme und niedrigschwellige Angebote, die zur Lebensrealität passen. Ein Beispiel ist der französische Dienst „Alcool info service“, der Beratung auch ohne Termin ermöglicht. Das entlastet vor allem Frauen mit Kindern, Schichtarbeit oder Pflegeverantwortung. Auch Hebammen und Gynäkologen spielen hier eine zentrale Rolle – sie erreichen Frauen oft dort, wo Vertrauen bereits besteht.

Aufklärung früh starten und konsequent ausweiten

Die HAS hat aus diesen Erkenntnissen eine ganze Toolbox entwickelt, mit Leitfäden, Merkblättern und konkreten Handlungsempfehlungen. Ziel ist, dass alle Fachkräfte – von der Hausärztin bis zum Apotheker – frühzeitig eingreifen können.

„Die alte Empfehlung ‚kein Alkohol während der Schwangerschaft‘ greift zu kurz“, sagt Chandesris. Aufklärung müsse kontinuierlich stattfinden, nicht erst im Krisenfall. Und: Sie darf sich nicht auf Schwangerschaft beschränken. Es geht um Gesundheit – und Selbstbestimmung – in allen Lebensphasen.

Kurz zusammengefast:

  • Alkohol wirkt bei Frauen stärker, weil ihr Körper weniger Wasser enthält und den Alkohol langsamer abbaut – das erhöht die gesundheitlichen Risiken.
  • Besonders gefährlich ist das zunehmende Binge Drinking: Immer mehr Frauen trinken große Mengen in kurzer Zeit – auch schon in jungen Jahren.
  • Schon geringe Mengen Alkohol können die Fruchtbarkeit beeinträchtigen und die Entwicklung eines ungeborenen Kindes gefährden – sogar vor der Schwangerschaft.

Bild: © Pexels

Übrigens: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät inzwischen zu komplettem Alkoholverzicht – selbst geringe Mengen gelten als riskant. Warum es laut Fachleuten keine sichere Dosis gibt und Frauen besonders betroffen sind – mehr dazu in unserem Artikel.

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