Weniger Verwandte, weniger Zusammenhalt – Der demografische Wandel verändert Familien spürbar
Der demografische Wandel verändert Familienstrukturen weltweit – viele Menschen haben heute weniger Verwandte und dadurch weniger familiären Rückhalt.

Vater, Mutter, Kind: So sehen viele Familien heutzutage aus – sinkende Kinderzahlen schwächen jedoch die Nähe zwischen den Generationen. © Pexels
Ein Kind, das heute zur Welt kommt, wächst in einer völlig anderen Familie auf als sein Cousin, der nur zehn Jahre früher geboren wurde. Beide leben im selben Land, unter ähnlichen Bedingungen – doch ihre Verwandtschaftsstrukturen unterscheiden sich erheblich. Der demografische Wandel verändert nicht nur Gesellschaften, sondern auch das Fundament von Familien.
Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, der Stanford University und der Huazhong University of Science and Technology in Wuhan haben in einer Studie anhand von Daten aus Thailand, Indonesien, Ghana und Nigeria untersucht, wie sich Familienstrukturen durch sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung verändern – und wie schnell das geschieht.
Der demografische Wandel lässt Familien schrumpfen – selbst bei fast Gleichaltrigen
Der Grund ist der rasante demografische Wandel. Seine Auswirkungen betreffen nicht nur politische Konzepte wie den Generationenvertrag oder soziale Sicherungssysteme. Auch das engste Umfeld verändert sich – Cousins, Tanten, Neffen: Wer heute zur Welt kommt, hat oft ein deutlich kleineres Familiennetz. Bedingt ist das durch rapide sinkende Geburtenraten, wie sie etwa in Thailand zu beobachten sind. Dort hatte ein 15-Jähriger im Jahr 2000 fast 30 Prozent weniger Cousins und Cousinen als ein 25-Jähriger.
Zwei Menschen mit fünf Jahren Altersunterschied können in komplett unterschiedlichen Familien aufwachsen.
Sha Jiang, Studienautorin
Und nicht nur das: Im Jahr 2020 hatten 65-jährige Thailänder im Schnitt 15 Prozent weniger Töchter als Männer, die nur fünf Jahre älter waren. Der Unterschied entsteht nicht über Generationen hinweg, sondern innerhalb weniger Jahre.
Onkel, Cousine, Tochter: Wo Familie plötzlich fehlt
Während früher viele gleichaltrige Cousins mit am Tisch saßen, fehlen diese heute zunehmend. Die familiäre Nähe, auf die man sich verlassen konnte, schrumpft und mit ihr die informellen Hilfsnetzwerke.

„Unsere Forschung zeigt, dass nicht nur der Wandel selbst zählt, sondern das Tempo“, erklärt Jiang. Je schneller sich die demografischen Bedingungen verändern, desto stärker werden Unterschiede zwischen nah beieinander liegenden Jahrgängen. In Ghana oder Nigeria, wo sich der Wandel langsamer vollzieht, bleiben die familiären Unterschiede geringer. In Nigeria hatten 65-Jährige im Jahr 2020 sogar mehr Töchter als 70-Jährige – ein Trend in die entgegengesetzte Richtung. Doch dieser Vorteil kann schnell kippen, wenn der demografische Wandel auch dort an Tempo gewinnt.
Neue Generationen ohne familiären Rückhalt
In vielen Ländern übernehmen Kinder, Enkel oder Nichten die Pflege älterer Angehöriger. Doch wenn es diese einfach nicht mehr gibt, entstehen Lücken. Gerade Menschen, die ohne Partner alt werden, sind auf familiäre Unterstützung angewiesen.
Die Studie zeigt: Wer in einer Phase mit schnellem Geburtenrückgang geboren wird, hat später schlicht weniger Möglichkeiten, auf Hilfe aus dem eigenen Verwandtenkreis zurückzugreifen. „Neue Generationen haben weniger Verwandte, und diese unterscheiden sich auch in ihrer Altersstruktur von früheren Generationen“, sagt Jiang.
Neue Lösungen für Familiennetzwerke und soziale Gerechtigkeit
Die Zahlen machen deutlich: Gesellschaften, die auf familiäre Pflege und gegenseitige Unterstützung setzen, brauchen einen Plan B. Denn das Netz aus Tanten, Enkeln und Geschwistern trägt längst nicht mehr alle.
Die Geschwindigkeit des Wandels stellt auch soziale Gerechtigkeit infrage. Während eine Generation noch auf viele helfende Hände zählen konnte, bleibt der nächsten weniger Unterstützung. Damit rückt eine politische Kernfrage in den Fokus: Wer übernimmt die Versorgungslasten, wenn Familienstrukturen wegbrechen? Die Antwort darauf ist längst überfällig, denn der Wandel kommt nicht, er ist bereits da. Rückhalt lässt sich organisieren – potentielle, alternative Angebote:
- ambulante Pflegedienste, ehrenamtliche Besuchsdienste
- soziale Nachbarschaftshilfen
- Mehrgenerationenhäuser
- digitale Unterstützungsplattformen
- betriebliche Pflegeangebote
- kommunale Anlaufstellen und Pflegeberater
Der demografische Wandel verändert den Familienalltag leise, aber schnell und trifft jene zuerst, die ohnehin wenig Rückhalt haben. Ohne tragfähige Alternativen wächst das Risiko, im entscheidenden Moment allein dazustehen.
Kurz zusammengefasst:
- Der demografische Wandel verändert Familien schnell und ungleichmäßig – selbst kleine Altersunterschiede führen zu großen Unterschieden in der Zahl der Verwandten.
- Wer heute geboren wird, hat oft deutlich weniger Angehörige als Menschen, die nur wenige Jahre älter sind – das betrifft vor allem Cousins, Cousinen und eigene Kinder.
- Wenn familiäre Unterstützung wegfällt, braucht es neue soziale Strukturen wie Pflegeangebote, Nachbarschaftshilfen oder kommunale Beratung, um Versorgungslücken zu schließen.
Übrigens: Während der demografische Wandel familiäre Netzwerke ausdünnt, träumt die Gen Z wieder von Familie, Eigenheim und Stabilität. Warum sie dafür aber mehr braucht als nur gute Vorsätze – mehr dazu in unserem Artikel.
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