UNICEF warnt: Jedes zweite Kind in Afrika hat keine Geburtsurkunde

In vielen Ländern in Afrika hat nur die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren eine Geburtsurkunde, was erhebliche Folgen für sie hat.

Geburtsurkunde Kinder Afrika

Kaum ein Dokument ist in der modernen Gesellschaft so wichtig wie die Geburtsurkunde. © Wikimedia

In vielen Ländern Afrikas erhalten zahlreiche Neugeborene keine Geburtsurkunde: Laut dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF seien in Subsahara-Afrika nur die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren offiziell registriert. Diese fehlende Registrierung hat schwerwiegende Folgen für Bildung, Gesundheitsfürsorge, Beschäftigungsaussichten und Menschenrechte.

Afrika gilt als der Kontinent mit der jüngsten Bevölkerung: In den 46 Ländern südlich der Sahara ist jede dritte Person zwischen 10 und 24 Jahre alt. Zudem wächst die Bevölkerung dort im weltweiten Vergleich am schnellsten. Während heute rund 1,3 Milliarden Menschen dort leben, sollen es laut UN-Prognosen bis 2050 bereits 2,1 Milliarden sein, viele davon ohne legale Identität, wie aus einem dpa-Bericht hervorgeht, der sich auf Zahlen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) bezieht.

Fehlende Geburtsurkunden in Afrika

Laut UNICEF ist die Situation in Äthiopien und Somalia besonders heikel: Dort sollen nur drei Prozent der Kinder unter fünf Jahren eine Geburtsurkunde haben. In Sambia seien es immerhin 14 Prozent, in Tansania, Angola und dem Tschad etwa 25 Prozent. In Uganda und dem Südsudan besitze nur jedes dritte Kind das wichtige Dokument.

Eine Geburtsurkunde gibt einem Kind eine legale Existenz, einen offiziellen Namen, eine Nationalität, eine Lebensgrundlage. Ohne Geburtenregistrierung ist es von Beginn des Lebens an benachteiligt.

Amandine Bollinger, Leiterin für Kinderschutz von UNICEF in Angola

Benachteiligung von Anfang an

Babys ohne Geburtsurkunde erhalten keine Schutzimpfungen. Kinder und später Erwachsene ohne legale Identität könnten nicht nachweisen, wer sie sind oder wie alt sie sind. Sie können kein Konto eröffnen, können ihr Wahlrecht nicht ausüben, Eigentum erwerben, ein Erbe antreten oder sich legal auf einen Job bewerben. Sie sind nicht vor Menschenhandel, Kinderheirat oder dem Missbrauch als Kindersoldaten geschützt. Das Fehlen dieses einen Dokuments hat also verheerende Auswirkungen auf das Leben derer, die davon betroffen sind.

Die niedrige Quote an Geburtenregistrierungen in Afrika hat zahlreiche Ursachen:

  • Geburten finden oft zu Hause in abgelegenen ländlichen Gegenden statt und nicht in Krankenhäusern.
  • Viele Eltern besitzen nicht die notwendigen Dokumente, um eine Geburtsurkunde zu beantragen.
  • Manche Männer leugnen ihre Vaterschaft oder sind nicht präsent.
  • Zahlreiche Mütter wissen aufgrund des niedrigen Bildungsniveaus überhaupt nicht, dass ihr Baby registriert werden muss.

Nicht registrierte Kinder existieren offiziell nicht

Kinder ohne Ausweis werden in keiner Statistik vermerkt, betont Djanina Baptista, leitende Gynäkologin des Cajueiro Krankenhauses in Luanda, der Hauptstadt von Angola. „Ein Kind, das nicht registriert ist, ist ein nicht existierendes Kind. Es ist nicht im System.“, sagt sie. Ihre Belegschaft bemühe sich daher, werdende Mütter über die Wichtigkeit von Geburtsurkunden aufzuklären. In einem überfüllten Krankenhaus mit überlastetem Personal sei dies jedoch nur begrenzt möglich.

Mütter im Cajueiro Krankenhaus haben da noch Glück: Es handelt es sich dabei nämlich um Angolas einziges staatliches Krankenhaus mit einem integrierten Büro für Geburtenregistrierung. Dort können Neugeborene allerdings nur werktags zwischen 8 Uhr und 15 Uhr registriert werden – Kinder, die früher oder später geboren werden, fallen also trotzdem durch das Raster. Während der Corona-Pandemie wurden 25 Registrierungsbüros in anderen Krankenhäusern geschlossen; wieder geöffnet haben sie bislang noch nicht.

Hohe bürokratische Hürden für Eltern

Doch selbst informierte Eltern stehen in Afrika oft vor bürokratischen Hürden: Wer zum Beispiel keine eigene Geburtsurkunde hat, wird Schwierigkeiten damit haben, eine für seine Kinder ausstellen zu lassen. So ist es Madalena Zongo, 17 Jahre alt und alleinerziehende Mutter, passiert: Sie kann ihren einen Monat alten Sohn nicht registrieren lassen, da sie selbst keine Geburtsurkunde besitzt und der Vater verschwunden ist. Auch ihre Eltern haben keine gültigen Dokumente.

Es ist ein Teufelskreis. Wenn Babys bei der Geburt nicht registriert werden, sind ihre Chancen, das später im Leben nachzuholen, minimal.

Amandine Bollinger

Zongo weiß aus eigener Erfahrung, welche Schwierigkeiten das Leben ohne Geburtsurkunde mit sich bringt. Sie hatte selbst Schwierigkeiten damit, von einer Schule aufgenommen zu werden. Mit 13 Jahren brach sie ihre Schullaufbahn ab.

Es war einfach zu schwierig, jedes Schuljahr neu um Aufnahme zu bitten. Ich habe aufgegeben.

Madalena Zongo

Auswirkungen auf die Migration nach Europa

Armut und Perspektivlosigkeit sind das Ergebnis davon, dass so viele Menschen in Afrika keine Geburtsurkunde haben. Dies treibt die irreguläre Migration von Menschen nach Europa an, die jedoch ganz ohne Ausweisdokumente ihre Identität nicht nachweisen können. Damit sinken auch ihre Chancen auf einen Asylantrag, wodurch sich viele dazu gezwungen fühlen, eine falsche oder gefälschte Identität anzunehmen, so Bollinger.

In deutschen Migrationsdebatten wird irregulären Migranten oft unterstellt, ihre Pässe absichtlich wegzuwerfen, um so etwa einer Abschiebung zu entgehen – wenn nicht bekannt ist, woher sie kommen, dann könne man sie auch nicht dorthin zurückschicken, so der Gedanke. Viel häufiger ist es aber Fall, dass sie erst gar keine Ausweisdokumente besessen haben.

Was du dir merken solltest:

  • In Afrika südlich der Sahara hat laut UNICEF nur die Hälfte aller Kinder eine Geburtsurkunde und ist somit offiziell registriert.
  • Die fehlende Geburtsurkunde erschwert den Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge und erhöht das Risiko von Menschenhandel.
  • Einige Hauptgründe für die hohe Zahl an undokumentierten Geburten sind Geburten zu Hause, fehlende Dokumente der Eltern und ein niedriges Bildungsniveau.

Übrigens: Der Facebook-Konzern Meta hat seine Content-Moderation lange Zeit an das afrikanische Unternehmen Sama ausgelagert, dass sich nun in einem laufenden Gerichtsverfahren befindet. Ehemalige Angestellte erzählen heute von prekären Arbeitsbedingungen und enormer psychischer Belastung. Mehr dazu erfährst du in unserem Artikel.

Bild: © Negonasr via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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