Sympathielücke: Warum wir oft unterschätzen, wie sehr andere uns mögen

Unser „innerer Kritiker“ täuscht uns oft. Studien zeigen: Andere schätzen uns tatsächlich mehr, als wir vermuten.

Sympathielücke: Warum wir mehr gemocht werden, als wir denken

Menschen sind oft schlecht darin, ihre eigene Beliebtheit richtig einzuschätzen: Grund hierfür ist die sogenannte Sympathielücke. © Vecteezy

Menschen wollen gemocht werden – nicht aus Eitelkeit, sondern aus einem tief verankerten Bedürfnis nach Zugehörigkeit. In der Frühzeit der Menschheitsgeschichte konnte Ausgrenzung lebensgefährlich sein. Deshalb lernen schon Babys, Gesichter zu lesen und auf kleinste Signale zu reagieren. Unser Gehirn kann innerhalb von 40 Millisekunden einschätzen, ob jemand freundlich oder ablehnend wirkt. Dabei registrieren wir auch, wie andere uns einschätzen – zumindest glauben wir das.

Eine von Erica J. Boothby durchgeführte Studie zeigt jedoch einen systematischen Denkfehler auf: Menschen unterschätzen regelmäßig, wie sehr sie anderen gefallen. Dieser Effekt wird als Sympathielücke (Liking gap) bezeichnet.

Studie zur Sympathielücke: Schüchterne unterschätzen ihre Wirkung besonders stark

Boothby führte mehrere Experimente durch. In einer ersten Laborstudie mussten 36 Teilnehmer ein fünfminütiges Gespräch mit einer fremden Person führen. Auf einer Skala von 1 bis 7 lag die tatsächliche Sympathie im Schnitt bei 5,82 Punkten, die eingeschätzte Sympathie jedoch nur bei 5,17.

Besonders schüchterne Personen lagen mit ihrer Selbsteinschätzung deutlich weiter daneben – im Schnitt um 1,14 Punkte.

Wenn Selbstkritik den Blick auf echte Sympathie verstellt

Eine ergänzende Videoanalyse von 15 der Gespräche zeigte, dass neutrale Beobachter die Sympathie zwischen den Gesprächspartnern korrekt einschätzen konnten. Positive Signale waren also vorhanden, wurden aber von den Beteiligten übersehen – ein Phänomen, das die Forscher als „neglected-signal account“ bezeichnen. Ein Beispiel: Jemand lächelt, hält Blickkontakt und nickt zustimmend – alles Zeichen dafür, dass er das Gespräch angenehm findet. Wer jedoch unsicher oder selbstkritisch ist, interpretiert diese Gesten oft nicht als Sympathie, sondern übersieht sie oder wertet sie als reine Höflichkeit. Dadurch entsteht der Eindruck, weniger gemocht zu werden, als es tatsächlich der Fall ist.

In einer weiteren Untersuchung mit 84 Studierenden ohne vorgegebene Fragen war die Sympathielücke ebenfalls klar messbar: Der Unterschied zwischen tatsächlicher und eingeschätzter Sympathie betrug 0,57 Punkte. Wer mehr negative Gedanken über die eigene Gesprächsleistung hatte, wies eine größere Lücke auf. In der Studie heißt es dazu:

Als die Teilnehmer über ihre Gespräche nachdachten, fielen ihnen vor allem Gedanken ein, dass andere sie schlechter sehen, als sie selbst ihr Gegenüber sehen.

Negative Selbstwahrnehmung verzerrt das Bild

Auch längere Gespräche ändern daran wenig. In einem weiteren Experiment unterhielten sich 102 Personen zwischen 2 und 45 Minuten. Je länger das Gespräch, desto mehr mochten sich beide Seiten – doch die Sympathielücke blieb bestehen, selbst nach durchschnittlich 36 Minuten noch mit etwa 0,4 Punkten Unterschied. Zusätzlich entstand eine „Enjoyment Gap“: Die Teilnehmer glaubten, selbst mehr Spaß am Gespräch gehabt zu haben als ihr Gegenüber.

Ein anderes Workshop-Experiment in Großbritannien mit 118 Teilnehmern zeigte ähnliche Muster. Vor dem Gespräch schätzten sich die Personen im Schnitt um 0,37 Punkte weniger interessant ein, als sie den Gesprächspartner fanden. Nach dem Gespräch vergrößerte sich diese Lücke auf 0,68 Punkte – obwohl alle das Gespräch spannender fanden, als sie vorher erwartet hatten.

Besonders aufschlussreich war eine Langzeitbeobachtung in Studentenwohnheimen mit 102 Erstsemestern. Über mehrere Monate blieb die Sympathielücke bestehen und verschwand erst am Ende des Studienjahres. Selbst ein Geldanreiz von 100 US-Dollar für die genaueste Einschätzung der gegenseitigen Sympathie führte zu keiner Verbesserung. „Die Sympathielücke hielt sich über mehrere Monate. Am letzten Messzeitpunkt verschwand sie jedoch“, schreiben die Forscher.

Die Studienautoren nennen mehrere mögliche Erklärungen:

  • Selbstkritik kann als Lernstrategie dienen, um das eigene Verhalten zu verbessern.
  • Viele Menschen legen an sich selbst höhere Maßstäbe an als an andere.
  • Die „Illusion der Transparenz“ lässt uns glauben, Nervosität und kleine Fehler seien für alle sichtbar – was meist nicht der Fall ist.
  • Viele positive Signale wie Lächeln, Blickkontakt oder Zuhören senden wir unbewusst und berücksichtigen sie bei der Selbstbewertung nicht.

Wie mehr Vertrauen hilft, die Sympathielücke zu schließen

Die von den Forschern beobachtete Sympathielücke ist nicht nur ein Hindernis in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sie kann auch langfristige Beziehungen beeinträchtigen. Psychologin Terri Apter schreibt in einem Beitrag für Psychology Today, dass die Sympathielücke dazu führen kann, dass Menschen sich weniger öffnen und somit die Entwicklung tieferer Bindungen behindert wird.

Wer die Sympathielücke überwinden möchte, sollte den eigenen strengen Blick auf sich selbst lockern. Es hilft, der Einschätzung anderer mehr zu vertrauen und sich bewusst zu machen, dass viele uns wohlwollender sehen, als wir glauben. Wer die innere Selbstkritik zügelt, kann die natürliche Sympathie, die ihm entgegengebracht wird, leichter erkennen und annehmen.

Kleine Signale haben große Wirkung

Die Studie zeigt also: Unsere Selbstwahrnehmung fällt oft kritischer aus als nötig. Wer nach einem Gespräch glaubt, einen schlechten Eindruck hinterlassen zu haben, liegt statistisch gesehen meist falsch. Ob kurze Begegnung oder langes Gespräch – in den meisten Fällen schätzen uns andere positiver ein, als wir denken.

Kurz zusammengefasst:

  • Die Sympathielücke beschreibt den Effekt, dass Menschen nach Gesprächen meist unterschätzen, wie sehr sie gemocht werden.
  • Studien zeigen: Dieser Unterschied zwischen tatsächlicher und wahrgenommener Sympathie tritt in kurzen, langen und wiederholten Begegnungen auf und kann monatelang bestehen.
  • Hauptgründe sind strenge Selbstkritik, höhere Maßstäbe an sich selbst, die Illusion, Unsicherheit sei sichtbar, und das Übersehen eigener positiver Signale.

Übrigens: Ob wir jemanden mögen, entscheidet sich oft, bevor das erste Wort fällt – unsere Nase urteilt schnell. Wie stark Gerüche über Sympathie und neue Freundschaften bestimmen, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Vecteezy

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