Sexlosigkeit ist kein Zufall – 5 Faktoren entscheiden, warum 1 Prozent der Menschen nie Intimität erleben
Es ist kein Randphänomen: Eine neue Studie zeigt überraschende Zusammenhänge von Sexlosigkeit mit Bildung, Gesundheit und sozialer Isolation.

Menschen ohne sexuelle Erfahrung leben oft gesünder, berichten aber auch häufiger von Einsamkeit und fehlenden Vertrauenspersonen. © Freepik
Sex schafft Nähe, Vertrauen und ist oft auch Teil einer stabilen Partnerschaft. Wer eine solche intime Beziehung erlebt, profitiert: seelisch, gesundheitlich und nicht selten auch wirtschaftlich. Doch was ist mit jenen, die dieses Erlebnis nie machen durften? Eine neue Studie zeigt: Sexlosigkeit betrifft rund ein Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Das hat Konsequenzen – für sie selbst, aber auch für das gesellschaftliche Gefüge.
Forscher der University of Queensland haben erstmals umfangreiche Daten aus Großbritannien und Australien ausgewertet. Die Ergebnisse sind eindeutig: Menschen ohne sexuelle Erfahrung fühlen sich häufiger einsam, weniger glücklich und haben selten eine Person, der sie vertrauen.
Männer und Frauen erleben Sexlosigkeit unterschiedlich
Die Daten stammen aus der britischen UK Biobank. Befragt wurden mehr als 405.000 Erwachsene im Alter von 39 bis 73 Jahren. Ergänzt wurde die Studie durch eine australische Stichprobe mit über 13.500 Personen. Rund ein Prozent der Befragten gaben an, nie eine Form von sexueller Interaktion gehabt zu haben.
Auffällig waren Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Männer ohne sexuelle Erfahrung waren körperlich weniger kräftig, hatten seltener eine Partnerin und lebten häufiger in Regionen mit einem Frauenmangel. Frauen zeigten dagegen keine auffälligen körperlichen Merkmale, berichteten jedoch ähnlich häufig von Einsamkeit und Isolation.
Weniger Kontakte, weniger Vertrauen, weniger Sinn
Menschen ohne sexuelle Erfahrung standen im sozialen Vergleich deutlich schlechter da. Der Studie zufolge hatten sie:
- seltener Besuche von Freunden oder Familie
- weniger enge Vertrauenspersonen
- häufiger das Gefühl von Sinnlosigkeit
„Sexlosigkeit ging mit mehr Nervosität, Einsamkeit und geringerer Lebenszufriedenheit einher – ein klarer Hinweis auf die enge Verbindung mit dem seelischen Wohlbefinden“, heißt es in der Studie. Besonders bei Männern zeigte sich ein enger Zusammenhang zwischen fehlender Intimität und seelischem Unwohlsein.
Sexualität und soziale Ungleichheit hängen zusammen
Paare teilen sich oft die Kosten für Miete, Strom oder Lebensmittel. Wer allein lebt, muss alles selbst zahlen – das ist teurer und belastet. In Regionen mit hoher Einkommensungleichheit war der Anteil sexloser Menschen besonders hoch, vor allem unter Männern.
Um die soziale Ungleichheit zu erfassen, nutzten die Forscher den sogenannten Gini-Koeffizienten. Er beschreibt, wie ungleich das Geld in einer Region verteilt ist. Das Ergebnis: Je größer die Kluft zwischen Arm und Reich, desto häufiger lebten Menschen sexlos. Zudem beeinflusste das Verhältnis von Männern zu Frauen in der Region die Häufigkeit von Sexlosigkeit.
Gene spielen eine Rolle – aber nicht allein
Neben sozialen Faktoren berücksichtigte die Studie auch genetische Einflüsse. Bei Männern erklärten genetische Faktoren etwa 17 Prozent, bei Frauen rund 14 Prozent der Unterschiede im sexuellen Verhalten.
Ein einzelnes Gen ist dafür nicht verantwortlich. Vielmehr wirken viele kleine Varianten zusammen. Einige dieser genetischen Merkmale überschneiden sich mit Eigenschaften wie:
- hoher Intelligenz
- guter Bildung
- Introversion
- autistischen Zügen
Sexlose Menschen leben oft gesünder – und sind gebildeter
Sexlosigkeit bedeutet nicht automatisch Leid. Einige Aspekte waren sogar positiv besetzt. Personen ohne sexuelle Erfahrung:
- tranken seltener Alkohol
- rauchten weniger
- nutzten kaum Drogen
- hatten im Schnitt einen höheren Bildungsgrad
Zudem zeigten die genetischen Analysen negative Zusammenhänge mit Depressionen und Angststörungen. Das bedeutet, dass die Gene, die mit Sexlosigkeit in Verbindung stehen, tendenziell das Risiko für diese psychischen Erkrankungen nicht erhöhen, sondern leicht senken könnten. So entsteht ein differenziertes Bild: Während Sexlosigkeit manche soziale oder emotionale Belastungen mit sich bringt, scheinen bestimmte genetische Faktoren gleichzeitig vor Depressionen und Ängsten zu schützen.
Religiöse Menschen leben häufiger sexlos
In den australischen Daten zeigte sich ein weiterer klarer Zusammenhang: Personen, die sich als religiös bezeichneten, hatten deutlich häufiger noch keine sexuelle Erfahrung gemacht. Dieser Effekt war besonders stark bei Frauen ausgeprägt, die überdurchschnittlich oft sexlos blieben.
Die Forscher berücksichtigten dabei andere mögliche Einflussfaktoren wie Alter, sozioökonomischen Status oder Bildungsgrad. Selbst nach dieser statistischen Kontrolle blieb der Zusammenhang bestehen, sodass Religion als eigenständiger Faktor für unfreiwillige Sexlosigkeit identifiziert werden konnte.
Sexlosigkeit betrifft Gesellschaft, Psyche und Chancenungleichheit
Die Studie zeigt: Sexlosigkeit betrifft 1 Prozent der Menschen und steht mit fünf entscheidenden Faktoren in Zusammenhang:
- Körperliche Merkmale: Männer ohne sexuelle Erfahrung zeigen oft geringere Muskelkraft und körperliche Robustheit, Frauen kaum Unterschiede.
- Soziale Umgebung: Ein niedriger Frauenanteil in der Region erschwert Männern die Partnersuche.
- Ökonomische Bedingungen: Hohe Einkommensungleichheit steigert das Risiko für Sexlosigkeit.
- Genetische Einflüsse: Etwa 14–17 Prozent der Unterschiede lassen sich durch viele kleine genetische Varianten erklären, die auch mit Bildung, Intelligenz oder Introversion verknüpft sind.
- Psychisches Wohlbefinden: Einsamkeit, Nervosität und soziale Isolation sind besonders bei unfreiwilliger Sexlosigkeit stärker ausgeprägt.
Wer sich bewusst gegen Sexualität entscheidet, etwa aufgrund einer asexuellen Orientierung, muss dabei nicht leiden. Problematisch wird es hingegen, wenn Menschen unfreiwillig sexlos bleiben, weil sie sozial ausgegrenzt werden oder keinen Zugang zu passenden Partnern haben.
Auf gesellschaftlicher Ebene lässt sich ansetzen, indem soziale Netzwerke gestärkt, Chancen gerechter verteilt und psychologische Unterstützung für Alleinlebende angeboten werden. Sexlosigkeit sollte dabei weder tabuisiert noch pathologisiert werden.
Kurz zusammengefasst:
- Rund ein Prozent der Erwachsenen hatte noch nie Sex – diese Menschen fühlen sich häufiger einsam, nervös und unglücklich und haben seltener soziale Kontakte.
- Sexlosigkeit ist kein rein persönliches Thema, sondern hängt mit körperlicher Verfassung, regionaler Geschlechterverteilung, Einkommensungleichheit und genetischen Faktoren zusammen.
- Betroffene trinken und rauchen zwar weniger und sind oft besser gebildet – trotzdem steigt das Risiko für soziale Isolation, besonders bei unfreiwilliger Sexlosigkeit.
Übrigens: Für Frauen entscheidet beim Sex nicht nur der Orgasmus über Zufriedenheit, sondern vor allem Nähe, Geborgenheit und emotionale Verbundenheit. Mehr dazu in unserem Artikel.
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