Die Illusion von Wissen: Warum wir oft zu schnell urteilen
Die Illusion, alles Nötige zu wissen, auch wenn das nicht der Fall ist, hat einen echten Einfluss auf unsere Entscheidungen.
Menschen treffen oft Entscheidungen basierend auf dem, was sie zu wissen glauben, ohne zu hinterfragen, ob ihnen wichtige Informationen fehlen. Diese Erkenntnis stammt aus einer Studie, die im Journal PLOS One veröffentlicht wurde. Forscher der Ohio State University untersuchten, wie sich die Illusion von Wissen auf die Entscheidungsfindung auswirkt.
Am Experiment nahmen insgesamt 1.261 Personen aus den USA mit einem Durchschnittsalter von knapp 40 Jahren teil. Ihr durchschnittliches Bildungsniveau entsprach drei Jahren im College, der Großteil der Teilnehmer identifizierte sich selbst als politisch „liberal“ (651), gefolgt von „konservativ“ (356) und „moderat“ (254).
Experiment zur Informationsverarbeitung
Die Probanden wurden in drei Gruppen aufgeteilt: Eine Kontrollgruppe und zwei Testgruppen. Die Teilnehmer lasen einen hypothetischen Artikel mit dem Titel „Our School Water is Disappearing“ („Unser Schulwasser verschwindet“). Dieser Artikel behandelte die Frage, ob eine Schule aufgrund von Wasserknappheit geschlossen und mit einer anderen zusammengeführt werden soll, oder aber die Schule bestehen bleibt. In diesem Fall, so die Hoffnung, würde der nächste Regen den lokalen Grundwasserleiter zur Genüge auffüllen.
Die Teilnehmer erhielten alle eine Version dieses Artikels, deren Framing unterschiedlich war. Der Kontrollgruppe wurden sowohl die Argumente für als auch gegen die Schließung präsentiert. Die zweite Testgruppe erhielt einen Text, der nur die drei Argumente zur Zusammenführung der Schulen beinhaltete und die dritte nur drei Argumente gegen die Zusammenführung. Trotz ihrer unvollständigen Informationen dachten die meisten Testgruppen-Teilnehmer, dass sie ausreichend informiert sind, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Ihre Entscheidung fiel deutlich extremer aus als die der Kontrollgruppe.
Fehlendes Bewusstsein über Informationsmangel
Menschen nehmen häufig an, sie hätten genug Informationen, um eine Situation zu verstehen und darauf basierend zu handeln. Diese sogenannte „Illusion der Informationsadäquanz“ kann bei fehlendem Wissen dazu führen, dass wir Fehlentscheidungen treffen.
Die Studie veranschaulicht dieses Phänomen mit einem Beispiel aus dem Alltag: Zwei Autofahrer stehen an einer Kreuzung vor einem Stoppschild. Obwohl keine Fahrzeuge mehr am Weiterfahren hindern, bleibt das vordere Auto stehen. Der Fahrer des hinteren Wagens wird ungeduldig und fängt an zu hupen. Erst später erkennt er, dass eine Mutter mit Kinderwagen die Straße passiert, die er selbst zuvor nicht sehen konnte.
Naiver Realismus und seine Auswirkungen
In diesem Kontext spielt auch der „naive Realismus“ vieler Menschen eine große Rolle: Viele gehen davon aus, dass ihre Sichtweise die einzig objektive ist. Kommen andere Menschen zu unterschiedlichen Schlüssen, müssen ihnen daher entweder selbst ungenügende Informationen vorliegen oder sie sind voreingenommen. Die Teilnehmer der Studie gingen häufig davon aus, dass andere Menschen in der gleichen Situation die gleichen Entscheidungen treffen würden wie sie selbst.
Daher hängt die Illusion der Informationsadäquanz laut den Autoren der Studie stark mit dem Phänomen des naiven Realismus zusammen. In beiden Fällen geht es darum, dass Menschen Schwierigkeiten haben, zu erkennen, dass ihre Perspektive nur eine von vielen möglichen ist. Immerhin: Nachdem die Testgruppen einen Artikel mit der fehlenden Argumentation gelesen haben, änderten viele ihre Meinung. Menschen verharren also nicht immer auf ihrer Meinung.
Einfluss auf die Debattenkultur
In Diskussionen ist so ein Verhalten eher nicht zuträglich, weil es die Möglichkeit erschwert, sich in die Perspektive anderer hineinzuversetzen. Das führt oft zu Missverständnissen und Konflikten. Menschen, die weniger Informationen hatten, zeigten zudem oft mehr Selbstvertrauen bei ihren Entscheidungen als diejenigen, die umfassend informiert waren. Dieses Phänomen beschreibt bereits der Dunning-Kruger-Effekt.
Menschen sollten also gezielt dazu angeleitet werden, ihre eigenen Wissenslücken zu hinterfragen, bevor sie Entscheidungen treffen. Ein solches Bewusstsein könnte helfen, in zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Konflikten offener für die Perspektive anderer zu sein. Und das ist bei der heutigen Debattenkultur und politischen Landschaft bitter nötig.
Was du dir merken solltest:
- Menschen überschätzen oft ihr Wissen und treffen voreilige Entscheidungen, ohne zu erkennen, dass ihnen wichtige Informationen fehlen.
- Diese sogenannte „Illusion der Informationsadäquanz“ kann bei fehlendem Wissen zu extremen Entscheidungen führen, besonders wenn nur einseitige Informationen vorliegen.
- Naiver Realismus verstärkt dieses Phänomen, da Menschen oft glauben, ihre Sicht sei die einzig objektive.
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