Dauerstress im Kriegsgebiet: Was extreme Angst mit dem Gehirn macht – und was hilft

Dauerstress im Kriegsgebiet beeinflusst das Gehirn, schädigt die Psyche und schwächt den Körper – mit langfristigen Folgen für Betroffene.

Dauerstress im Kriegsgebiet, wie in der Ukraine, verändert das Gehirn – Angst, Verlust und Ungewissheit bestimmen den Alltag der Menschen.

Dauerstress im Kriegsgebiet, wie in der Ukraine, verändert das Gehirn – Angst, Verlust und Ungewissheit bestimmen den Alltag der Menschen. © Wikimedia

Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur Landschaften verwüstet, sondern auch unzählige Leben aus der Bahn geworfen. Die ständige Angst vor Bomben, der Verlust von Familienmitgliedern und die Ungewissheit über die Zukunft setzen den Menschen enorm zu. Laut dem Telegraph leiden fast 80 Prozent der ukrainischen Bevölkerung unter Stress und Angstzuständen. Doch was passiert dabei eigentlich im Gehirn?

Keine Entspannung im Kriegsgebiet – Gehirn im Dauerstress

Der menschliche Körper ist darauf programmiert, auf Gefahr sofort zu reagieren. In einer Kriegszone steht das Angstzentrum des Gehirns, die Amygdala, unter Dauerstress. Sie wird hyperaktiv und gleicht einer Alarmanlage, die ununterbrochen nach Bedrohungen scannt. Andere Hirnregionen, die für Gedächtnis, Entscheidungsfindung und emotionale Kontrolle zuständig sind, werden dabei in den Hintergrund gedrängt. Menschen geraten in den sogenannten Kampf-, Flucht- oder Erstarrungs-Modus, können nicht abschalten und haben Schwierigkeiten, das Erlebte überhaupt zu verarbeiten.

Doch nicht nur das Gehirn leidet unter dem ständigen Ausnahmezustand. Der niederländische Psychiater Bessel van der Kolk beschreibt in seinem Buch „The Body Keeps the Score“ (Das Trauma in Dir), dass Traumata auch körperliche Spuren hinterlassen. Die Stressreaktion des Körpers gerät außer Kontrolle, Adrenalin und Cortisol werden in hohen Mengen ausgeschüttet. Dies führt zu Erschöpfung, Schlafproblemen und einem geschwächten Immunsystem. Langfristig steigt das Risiko für ernsthafte Gesundheitsprobleme, da der Körper nie in den Ruhemodus zurückkehren kann.

Selbsthilfegruppen im Kriegsgebiet

Die Hilfsorganisation Humanity & Inclusion (HI), in Deutschland bekannt als Handicap International, bietet in der Ukraine psychologische Unterstützung für diejenigen, die am stärksten betroffen sind: ältere Menschen, Geflüchtete und Menschen mit Behinderungen. Besonders wertvoll sind Selbsthilfegruppen wie die in Bohoduchiw, einer Stadt rund 40 Kilometer von der Front entfernt. Hier lernen Teilnehmer Atemtechniken, tauschen sich aus und nutzen künstlerische Methoden, um ihre Emotionen zu verarbeiten.

Valentyna, 75, nimmt regelmäßig an diesen Sitzungen teil. Ihr Enkel kämpft an der Front, und die Ungewissheit lässt sie kaum schlafen. Doch in der Gruppe findet sie Halt: „Ich fühle mich geschützt, wie Teil einer großen Familie“, sagt sie laut dem Telegraph.

Auch Helfer leiden

Nicht nur Zivilisten leiden unter den psychischen Folgen des Krieges. Auch ukrainische Ärzte, Sanitäter und Psychologen sind tagtäglich mit unfassbarem Leid konfrontiert. Viele kämpfen mit sekundären Traumata oder brennen aus. Deshalb bietet HI spezielle Stressresistenz-Trainings für medizinisches Personal an. Diese Programme helfen Helfern, sich selbst zu schützen und langfristig arbeitsfähig zu bleiben.

Die psychischen Folgen des Krieges verschwinden nicht mit einem Waffenstillstand. Viele Menschen werden noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, mit den emotionalen Wunden kämpfen. Langfristige psychologische Unterstützung ist deshalb genauso wichtig wie humanitäre Soforthilfe.

Kurz zusammengefasst:

  • Dauerstress im Kriegsgebiet überlastet das Gehirn: Die Amygdala bleibt in Alarmbereitschaft, während Gedächtnis und Entscheidungsfähigkeit leiden.
  • Körper und Psyche nehmen Schaden: Chronischer Stress verursacht Erschöpfung, Schlafprobleme und schwächt das Immunsystem.
  • Psychologische Hilfe ist überlebenswichtig: Programme wie die von Humanity & Inclusion stabilisieren Betroffene und Helfer langfristig.

Bild: © Ірина Бучнєва unter Wikimedia unter CC0 1.0

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