Schweden ist fast bargeldlos: Was Deutschland daraus lernen kann – und was nicht

Schweden zeigt, wie eine bargeldlose Gesellschaft funktionieren kann – doch soziale Hürden und Ausgrenzung sind unübersehbar.

Ein Geldautomat in Schweden, wo Bargeld immer weniger genutzt wird: 2023 gingen die Abhebungen zurück, und die Bargeldmenge sank um 10 Prozent. © Wikimedia

Ein Geldautomat in Schweden, wo Bargeld immer weniger genutzt wird: 2023 gingen die Abhebungen zurück, und die Bargeldmenge sank um 10 Prozent. © Wikimedia

Während in Deutschland im Jahr 2023 noch jede zweite Zahlung mit Bargeld erfolgte, zeigt Schweden, wie schnell sich das ändern kann. In dem skandinavischen Land hat sich der Bargeldumlauf seit 2007 halbiert. Geschäfte, öffentliche Verkehrsmittel und sogar Dienstleistungen nehmen oft nur noch Kartenzahlungen oder mobile Bezahlmethoden an. Rechnungen in bar zu begleichen? In Schweden fast unmöglich.

Auch in Deutschland hat die Nutzung bargeldloser Zahlungen deutlich zugenommen. Laut einer aktuellen Studie der Deutschen Bundesbank wurden im vergangenen Jahr 27 Prozent der Transaktionen mit Debitkarten durchgeführt – ein Anstieg um fünf Prozentpunkte im Vergleich zur vorangegangenen Erhebung 2021. Auch mobiles Bezahlen hat sich auf sechs Prozent verdreifacht. Doch was bedeutet das für die Menschen, die mit der Digitalisierung nicht mithalten können? Ein Blick nach Schweden liefert Antworten – und Warnungen, wie The Conversation berichtet.

Swish: Motor der Digitalisierung in Schweden

Ein entscheidender Treiber für die bargeldlose Gesellschaft in Schweden ist die 2012 eingeführte Zahlungs-App Swish. Diese von Banken entwickelte App hat den Zahlungsverkehr revolutioniert und ist heute für über 80 Prozent der Bevölkerung unverzichtbar. Zahlungen lassen sich in Sekundenschnelle per Smartphone abwickeln, und Swish wird von Privatpersonen, Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen gleichermaßen genutzt.

Doch genau diese Innovation hat laut The Conversation auch Schattenseiten. Menschen, die keinen Zugang zu einem Bankkonto oder digitalen Technologien haben, werden zunehmend ausgeschlossen.

Bargeld: Kurzfristige Nutzung steigt, langfristiger Rückgang hält an

Interessanterweise zeigt eine aktuelle Umfrage der Schwedischen Riksbank, dass fast die Hälfte der Befragten im letzten Monat Bargeld verwendet hat – ein Anstieg um 15 Prozentpunkte im Vergleich zu 2022. Dieser kurzfristige Anstieg steht jedoch im Widerspruch zu langfristigen Trends: Abhebungen an Bankomaten, wie Geldautomaten in Schweden heißen, gingen 2023 zurück, und die Menge des im Umlauf befindlichen Bargelds sank um 10 Prozent.

Die Riksbank vermutet, dass viele Menschen Bargeldreserven nutzen, die sie nach der russischen Invasion in der Ukraine 2022 angelegt hatten. Solche Entwicklungen zeigen, dass Bargeld in Schweden trotz des digitalen Fortschritts in Krisenzeiten weiterhin eine Rolle spielt.

Digitale Armut erschwert den Alltag

Für viele Schweden ist das digitale Bezahlen bequem und effizient. Doch Menschen, die auf Bargeld angewiesen sind – darunter Ältere, Obdachlose und Geringverdiener – stoßen auf erhebliche Hindernisse. Ohne Bankkonto oder Smartphone können sie nur in sogenannten „Bargeldblasen“ wirtschaften. Innerhalb dieser Blasen lässt sich Bargeld wie eine isolierte Währung nutzen, mit der nur grundlegende Dinge bezahlt werden können, etwa Lebensmittel oder Dienstleistungen. Parkgebühren, Online-Rechnungen oder digitale Behördendienste bleiben unerreichbar.

Freiwillige Helfer berichten, dass sie oft Bankgeschäfte für andere Menschen übernehmen, um diesen zumindest den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu ermöglichen.

Verzweiflung und Isolation

Ein Beispiel verdeutlicht die Probleme: Eine ukrainische Geflüchtete konnte ihre Klinikrechnung nicht bezahlen, da sie kein Bankkonto eröffnen durfte. Obdachlose, die in Autos übernachten, müssen auf teure inoffizielle „Parkhelfer“ zurückgreifen, da sie keine bargeldlosen Automaten nutzen können.

Die Isolation geht jedoch über finanzielle Barrieren hinaus. Viele Betroffene fühlen sich ausgeschlossen und gedemütigt. Eine ältere Frau schilderte, wie sie mit ihrem Enkel an der Kasse abgewiesen wurde, weil Bargeld nicht akzeptiert wurde: „Ich fühlte mich wie eine Diebin.“ Diese Erlebnisse prägen das Gefühl, nicht mehr Teil der Gesellschaft zu sein.

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Banken dominieren Schwedens digitale Infrastruktur

In Schweden spielen Banken eine zentrale Rolle in der digitalen Infrastruktur. Neben Swish haben sie ein elektronisches ID-System entwickelt, das für den Zugang zu öffentlichen Diensten wie Steuerbehörden und Sozialleistungen erforderlich ist. Wer kein Bankkunde ist, kann diese essenziellen Dienste nicht nutzen.

Während der Pandemie verstärkte sich das Vorurteil, Bargeld sei unhygienisch. Diese Stigmatisierung hat dazu beigetragen, Bargeld in Schweden nicht nur als veraltet, sondern auch als schmutzig und unpraktisch zu betrachten.

Klicken wie Roboter

Neben den praktischen Herausforderungen bringt die Digitalisierung auch emotionale Konsequenzen mit sich. Viele Betroffene fühlen sich entfremdet. Eine Teilnehmerin der Studie formulierte es so: „Es geht nicht nur um das Bargeld. Es fühlt sich an, als wären die Menschen verschwunden. Wir leben wie Roboter, klicken hier, klicken dort. Die Digitalisierung hat uns einsam gemacht.“

Schweden zeigt eindrucksvoll, wie schnell eine bargeldlose Gesellschaft entstehen kann – und welche menschlichen Kosten dieser Wandel mit sich bringt.

Was du dir merken solltest:

  • Schweden ist Vorreiter der bargeldlosen Gesellschaft, jedoch führen digitale Zahlungsmethoden wie Swish zu sozialer Ausgrenzung benachteiligter Gruppen.
  • Menschen ohne Bankkonto oder Smartphone sind in „Bargeldblasen“ gefangen und können oft nicht an der modernen Wirtschaft teilnehmen.
  • Deutschlands Digitalisierung schreitet voran, doch Schweden zeigt: Ohne soziale Verantwortung können technologische Fortschritte Ungerechtigkeiten verstärken.

Übrigens: Während Schweden mit der Digitalisierung gesellschaftliche Herausforderungen bewältigen muss, warnt Ray Dalio vor einer globalen Polykrise. Wie Schulden, geopolitische Spannungen und technologische Umwälzungen auch die wirtschaftliche Stabilität gefährden, erfährst du in unserem Artikel.

Bild: © Bengt Oberger via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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