Forscher entdecken Schalter im Gehirn – er entscheidet, ob wir auf Autopilot oder im Lernmodus sind

Das Gehirn wechselt je nach Situation zwischen Routine und Lernen – gesteuert durch das Zusammenspiel seiner Gehirnrhythmen.

Gehirnrhythmen steuern zwischen Autopilot und Lernmodus

Im Gehirn wechseln langsame und schnelle Rhythmen ständig das Kommando – sie entscheiden, ob wir auf gespeicherte Erinnerungen zugreifen oder Neues lernen. © Unsplash

Manche Erlebnisse prägen sich für immer ein, andere verblassen schon nach wenigen Tagen. Mal fällt uns ein Name sofort ein, mal nicht. Solche Unterschiede hängen damit zusammen, wie das Gehirn seine Informationsverarbeitung steuert – und wann es vom Autopilot in den Lernmodus schaltet.

Eine neue internationale Studie zeigt nun, dass dieser Wechsel blitzschnell erfolgt: Das Gehirn nutzt dafür ein fein abgestimmtes Zusammenspiel seiner Gehirnrhythmen, die entscheiden, ob gespeicherte Erinnerungen abgerufen oder neue Eindrücke verarbeitet werden.

Wie das Gehirn zwischen Routine und Lernen umschaltet

Dieses Schaltsystem ist zentral für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und sogar Krankheiten wie Alzheimer – und erklärt, warum wir manchmal blitzschnell reagieren und ein anderes Mal länger brauchen, um Neues zu begreifen.

Wenn das Gehirn zwischen Bekanntem und Neuem wählen muss, schaltet es um – ähnlich wie ein Navi, das bei Baustellen spontan eine andere Route nimmt. Die Wissenschaftler beschreiben in ihrer Arbeit, wie dieser „innere Schalter“ auf Gehirnrhythmen basiert. Diese rhythmischen Aktivitätsmuster sorgen dafür, dass das Gehirn Informationen optimal verarbeitet.

Zwei Taktgeber bestimmen, was wir erinnern oder lernen

Zentrale Rolle spielen zwei Hirnrhythmen: langsamer Theta-Takt und schnelle Gamma-Aktivität. Entscheidend ist, wie sie sich gegenseitig beeinflussen – und welcher Signalweg in einer bestimmten Situation die Oberhand gewinnt.

Das Team um Santiago Canals und Claudio Mirasso analysierte die Hirnströme von Ratten, die sich abwechselnd in vertrauter und veränderter Umgebung bewegten. Parallel entwickelten die Forscher Computermodelle, um die Daten aus dem Hippocampus – einem zentralen Gedächtniszentrum – zu verstehen.

Dabei identifizierten sie zwei verschiedene Netzwerkmodi:

  • Bekannte Reize: Das Gehirn nutzt einen Rückkopplungsmechanismus, bei dem Erinnerungen bevorzugt reaktiviert werden – gespeicherte Inhalte rücken in den Vordergrund.
  • Neue Reize: Der Informationsfluss verläuft in die andere Richtung, Sinneseindrücke aus der Umwelt werden stärker gewichtet – der Fokus liegt auf Lernen und Anpassung.

„Unsere Ergebnisse liefern eine mechanistische Erklärung dafür, wie das Gehirn je nach Kontext die Signalwege anpasst“, sagt Erstautor Dimitrios Chalkiadakis.

Gehirnrhythmen regulieren den Informationsfluss

Bisher dachten Forscher, dass die langsamen Signale im Gehirn (Theta-Rhythmen) den schnelleren Aktivitätsmustern (Gamma-Rhythmen) den Takt vorgeben – wie ein Dirigent, der das Orchester steuert. Doch die neue Studie zeigt: Auch die schnellen Rhythmen können den langsamen Einfluss verändern.

So entsteht ein bewegliches Gleichgewicht, das ständig neu entscheidet, welche Information Vorrang hat – eine gespeicherte Erinnerung oder ein neuer Sinneseindruck. Welche „Betriebsart“ das Gehirn gerade nutzt, hängt davon ab, wie stark die Verbindungen zwischen den Nervenzellen sind. Dieses Umschalten geschieht nicht abrupt, sondern fließend und an die Situation angepasst.

Mehr als Gedächtnis – Prinzip gilt auch für Aufmerksamkeit

Der Mechanismus könnte weit über das Gedächtnis hinausgehen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass dieses Prinzip der rhythmischen Koordination auch für andere kognitive Prozesse wie Aufmerksamkeit oder Entscheidungen relevant sein könnte“, erklärt Mirasso. Das Gehirn filtert damit unzählige Reize und wählt gezielt aus, was gerade wichtig ist.

Darstellung der Kopplung zwischen schnellen Gamma- und langsamen Theta-Wellen im Gehirn. Farbige Bereiche zeigen die Stärke der Wechselwirkung, weiße Linien markieren die aufgezeichnete neuronale Aktivität.
Diese Grafik zeigt, wie stark sich langsame und schnelle Hirnwellen überlagern. Besonders intensive Wechselwirkungen zwischen Theta- und Gamma-Frequenzen sind in warmen Farben markiert. Die weiße Linie stellt die direkt gemessene Aktivität aus dem Inneren des Gehirns dar. © Chalkiadakis, D., et al 2025.0Instituto de Neurociencias UMH CSIC

Wenn Gehirnrhythmen aus dem Takt geraten, drohen Konzentrationsprobleme – und sogar Alzheimer

Dieser Mechanismus erklärt, wie das Gehirn im Alltag Ordnung in die Flut von Eindrücken bringt. Ob wir uns konzentrieren, eine Entscheidung treffen oder ein Gespräch führen – ständig muss es auswählen, welche Informationen wichtig sind und welche ausgeblendet werden können.

Gerät diese rhythmische Abstimmung aus dem Gleichgewicht, kann das spürbare Folgen haben: von Konzentrationsschwäche und Reizüberflutung bis hin zu Erkrankungen wie Alzheimer oder ADHS. Ein besseres Verständnis dieser Prozesse hilft daher nicht nur, Gedächtnis und Lernen neu zu begreifen, sondern auch, Therapien oder Trainings zu entwickeln, die die geistige Leistungsfähigkeit langfristig stabil halten.

Kurz zusammengefasst:

  • Das Gehirn wechselt je nach Situation zwischen Autopilot und Lernmodus – gesteuert durch das Zusammenspiel seiner Gehirnrhythmen (Theta und Gamma).
  • Dieses Gleichgewicht entscheidet, ob Erinnerungen aktiviert oder neue Eindrücke verarbeitet werden – ein Prinzip, das auch Aufmerksamkeit und Entscheidungen beeinflusst.
  • Gerät der Rhythmus aus dem Takt, drohen Konzentrationsprobleme, Reizüberflutung oder Alzheimer – das Verständnis dieser Prozesse eröffnet neue Wege für Therapie und Training des Gehirns.

Übrigens: Angst entsteht nicht nur im Kopf, sondern in messbaren Mustern neuronaler Aktivität. Spanische Forscher zeigen nun, wie sich dieses Gleichgewicht im Gehirn gezielt wiederherstellen lässt – und Angst buchstäblich verschwindet. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert