Gehirn schaltet Hörfilter ein – Wie Bewegung das Gehör schärft
Wenn der Körper in Bewegung ist, verändert sich das Gehör und filtert Nebengeräusche, damit wichtige Signale schneller erfasst werden.

Beim Gehen schaltet das Gehirn um: Plötzliche Geräusche treten hervor, monotone Töne verschwinden fast unbemerkt. © Unsplash
Lärm im Straßenverkehr, Stimmengewirr in der Fußgängerzone, das Klingeln eines Handys: In Bewegung ist unser Gehör ständig gefordert. Trotzdem gelingt es, wichtige Signale in Bruchteilen von Sekunden herauszufiltern. Eine gemeinsame Studie der Universität Würzburg und der Zhejiang-Universität zeigt nun, wie eng dieses Hörfilter-System mit unserer eigenen Bewegung verknüpft ist – und warum das für Sicherheit und Orientierung entscheidend sein kann.
Im Versuch ließen die Forscher 30 Probanden einen Rundgang in Form einer Acht gehen. Über Kopfhörer hörten sie dabei einen gleichmäßigen Ton, dessen Lautstärke schwankte. Mobile EEG-Geräte zeichneten parallel die Hirnaktivität auf. In einer zweiten Runde wurden plötzlich auftretende Störgeräusche eingespielt, mal nur auf einem Ohr, mal auf beiden. Ziel war es, zu messen, wie stark das Gehirn auf solche akustischen Reize in Bewegung reagiert.
Richtung bestimmt den Hörfokus
Die Auswertung ergab: Beim Gehen reagierte das Gehirn deutlich sensibler auf Töne als im Stehen. Auffällig war zudem, dass sich der Hörfokus der Laufrichtung anpasste. In einer Rechtskurve stand zunächst das rechte Ohr im Vordergrund, anschließend das linke – bei Linkskurven umgekehrt.
Einseitige Störgeräusche verstärkten diesen Effekt, während beidseitige Signale kaum zusätzlich wahrgenommen wurden. „Das könnte eine Filterfunktion des Gehirns widerspiegeln“, sagt Liyu Cao von der Zhejiang-Universität. „Es unterdrückt aktiv vorhersehbare Hintergrundgeräusche – wie unsere eigenen Schritte – und steigert gleichzeitig die Empfindlichkeit für unerwartete Geräusche von der Seite.“
„Unser Gehirn filtert relevante Informationen aus dem Geräuschmix, ohne dass wir uns darauf konzentrieren müssen“, erklärt Barbara Händel von der Universität Würzburg.
Warum Bewegung das Gehör im Straßenverkehr schützt
Dieser Mechanismus im Gehirn sorgt dafür, dass wir beim Gehen schneller und gezielter auf unsere Umgebung reagieren können. Gleichmäßige Geräusche wie eigene Schritte, Windrauschen oder fließender Verkehr werden automatisch in den Hintergrund gedrängt.
Gleichzeitig verstärkt das Gehirn die Wahrnehmung unerwarteter Signale – etwa eines hupenden Autos oder eines plötzlichen Zurufs. Besonders auffällig: Beim Abbiegen richtet sich die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Seite der Kurve, sodass relevante Geräusche dort schneller erkannt werden.
So wird klar: Das Gehör ist mehr als ein Sinn – es ist ein aktiver Begleiter der Bewegung.
Gehirnfilter als Vorbild für Technik und Medizin
Die Ergebnisse könnten auch technologische Entwicklungen beeinflussen. Hörgeräte und Cochlea-Implantate lassen sich künftig so anpassen, dass sie die Bewegung ihrer Träger berücksichtigen. Auch Assistenzsysteme in Fahrzeugen oder Robotern könnten profitieren.
Darüber hinaus bieten sich Anwendungen in der Medizin an: Therapien für Menschen mit Aufmerksamkeitsproblemen könnten diesen Mechanismus gezielt nutzen. Und selbst Navigationshilfen ließen sich verbessern – weil das Gehör den Raum in Bewegung anders sortiert, als man bisher dachte.
Kurz zusammengefasst:
- In Bewegung schärft das Gehirn das Gehör, dämpft monotone Geräusche und macht plötzliche Signale deutlicher.
- Der Hörfokus richtet sich nach der Laufrichtung, damit Warnungen aus der Umgebung schneller wahrgenommen werden.
- Dieses Prinzip verbessert Sicherheit im Alltag und eröffnet neue Chancen für moderne Hörtechnik und Therapien.
Übrigens: Die Uni Zhejiang meldete vor Kurzem die nächste medizinische Sensation – Forscher entwickelten einen Knochen-Kleber, der Brüche in Minuten heilt. Mehr dazu in unserem Artikel.
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