Mathe von Anfang an ungerecht: Geschlechterunterschiede entstehen schon in der ersten Klasse
Geschlechterunterschiede in Mathe entstehen bereits im ersten Schuljahr – nicht biologisch, sondern durch Rollenbilder und Bewertungen.

Schon in der Grundschule prägen Erwartungen und Rückmeldungen das Mathe-Selbstvertrauen von Mädchen – und diese wirken oft lange nach. © Vecteezy
Was mit bunten Zahlen und spielerischem Rechnen beginnt, hat oft weitreichendere Folgen als gedacht. Schon in den ersten Schulmonaten entstehen in Mathe Unterschiede, die Mädchen nicht nur den Spaß am Fach nehmen, sondern ihnen später auch den Zugang zu Berufen in Technik und IT erschweren. Eine umfassende Studie mit Daten von über einer Million französischer Grundschulkinder, begleitet von der Université Paris Cité, zeigt: Geschlechterunterschiede in Mathe entstehen nicht durch fehlendes Können – sondern durch das, was Mädchen im Klassenzimmer erleben. Und das hat Auswirkungen bis ins Berufsleben.
Geschlechterunterschiede in Mathe schon nach vier Schulmonaten
Die Studie basiert auf Daten von vier Jahrgängen französischer Grundschulkinder im Alter von fünf bis sieben Jahren. Geprüft wurde ihre Matheleistung zu Beginn des Schuljahres und erneut nach vier Monaten.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
- Keine Unterschiede bei mathematischen Fähigkeiten zu Schulbeginn
- Nach vier Monaten: deutlicher Vorsprung der Jungen
- Unabhängig von sozialer Herkunft, Region oder Schultyp
- Auch bei Kindern mit nur wenigen Tagen Altersunterschied zeigt sich: Der Schulstart ist entscheidend – nicht das Alter
Die Forscher sehen darin einen klaren Zusammenhang mit schulischen Erwartungen, Bewertungen und früh vermittelten Rollenbildern.
Mathe macht Mädchen Angst – Lehrer verstärken den Druck
Ein zentrales Problem ist die Mathematikangst, die der Analyse zufolge bei Mädchen häufiger vorkommt. Sie reagieren besonders empfindlich auf Zeitdruck und Konkurrenzsituationen – etwa bei Tests. In der Studie heißt es:
Mädchen neigen dazu, mehr Angst vor Mathematik zu haben als Jungen, und das könnte ihre Leistung in zeitlich begrenzten, wettbewerbsorientierten Mathetests beeinträchtigen.
Gleichzeitig bekommen Mädchen und Jungen unterschiedlich Rückmeldung:
- Mädchen erhalten häufiger Lob für Fleiß und Anstrengung
- Jungen bekommen Anerkennung für Talent und Intelligenz
- Diese Muster prägen das Selbstbild – und beeinflussen die Motivation
Diese subtilen Unterschiede führen dazu, dass sich Mädchen in Mathe oft weniger begabt fühlen – selbst wenn sie objektiv gut sind.
Früh verloren, langfristig benachteiligt
Schon in der ersten Klasse entstehen Prägungen, die das ganze Leben beeinflussen. Wer früh den Anschluss verliert, meidet später Mathe-intensive Fächer. Studiengänge wie Informatik, Maschinenbau oder Mathematik gelten als „Männerdomänen“. Mädchen verzichten darauf – nicht aus Unfähigkeit, sondern aus Unsicherheit.
Die Folgen spürt auch die Gesellschaft:
- Weniger Frauen in MINT-Berufen
- Weniger Vielfalt in Forschung und Entwicklung
- Lohnlücke bleibt bestehen, da technische Berufe oft besser bezahlt werden
- Fachkräftemangel in wichtigen Zukunftsbranchen
So entsteht ein Kreislauf: Mädchen verlieren früh das Vertrauen in ihre Mathefähigkeiten – und fehlen später dort, wo sie dringend gebraucht würden.
Was Schulen und Eltern konkret tun können
Die Studie liefert nicht nur Zahlen, sondern auch klare Handlungsempfehlungen:
- Lehrerinnen und Lehrer sollten Mädchen gezielt ermutigen, besonders in Mathe
- Eltern sollten Sätze wie „Mathe ist schwierig“ oder „das liegt dir nicht“ vermeiden
- Matheunterricht sollte weniger auf Tempo und mehr auf Verständnis setzen
- Mädchen brauchen Vorbilder in Wissenschaft und Technik – sichtbar und nahbar
Es liegt nicht an den Kindern, sondern an den Erwachsenen, ihnen faire Chancen zu geben – von Anfang an.
Kurz zusammengefasst:
- Jungen und Mädchen starten gleich stark, doch nach vier Monaten zeigt sich ein klarer Leistungsabstand – unabhängig von Herkunft oder Schulform.
- Frühe Rückmeldungen und Matheangst bremsen Mädchen aus und beeinflussen ihre Berufswege langfristig.
- Geschlechterunterschiede in Mathe entstehen nicht biologisch, sondern durch schulisches Umfeld und gesellschaftliche Erwartungen.
Übrigens: Schon Grundschulkinder übernehmen Stereotype über Intelligenz – oft zum Nachteil der Mädchen. Warum sich Männer für klüger halten – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Vecteezy