Mehr als Kosmetik: Botox blockiert gezielt Nerven und hilft bei Migräne oder Parkinson
Botox wirkt auf Nerven, ohne sie zu schädigen – und eröffnet neue Möglichkeiten bei Parkinson, chronischer Migräne, ALS und weiteren Nervenerkrankungen.

Botox ist vor allem als Mittel gegen Falten bekannt – doch in der Medizin lindert es auch neurologische Beschwerden wie Spastiken, Migräne oder Zittern. © Vecteezy
Botox bringt Falten zum Verschwinden, aber es lindert auch Muskelkrämpfe und hilft bei chronischer Migräne. Somit wirkt das Nervengift nicht nur oberflächlich: Es blockiert gezielt Nerven, ohne sie zu zerstören. Warum die Neuronen dabei unbeschädigt bleiben, war lange unklar. Ein Forschungsteam der Universität Jerusalem hat nun in Untersuchungen herausgefunden, dass Nervenzellen unter dem Einfluss von Botox spezielle RNA-Fragmente ausschütten. Diese winzigen Moleküle aktivieren einen Selbstschutz, der den Zelltod verhindert. Damit liefern die Forscher erstmals eine konkrete Erklärung, warum Botox keine bleibenden Nervenschäden hinterlässt. Das eröffnet neue Perspektiven für neurologische Therapien wie im Falle von Parkinson.
Millionenfach verabreichtes Gift mit medizinischem Potenzial
Botox (Botulinumtoxin A) gehört zu den gefährlichsten Substanzen überhaupt. Schon ein Milliardstel Gramm kann tödlich sein. Dennoch wird es jedes Jahr über sieben Millionen Mal eingesetzt. In der Medizin hat es sich längst etabliert. Es blockiert den Botenstoff Acetylcholin, der normalerweise Muskelbewegungen auslöst. Die Folge: Der Muskel entspannt sich, für Wochen bis Monate.
Warum die Wirkung so lange anhält, ohne die Nervenzellen zu schädigen, war bislang unklar. Jetzt zeigt sich: Es sind molekulare Schutzmechanismen, die das Überleben der Zellen sichern.
Sicherheit für Patienten mit neurologischen Erkrankungen
Botox wird längst nicht mehr nur für kosmetische Eingriffe genutzt. Auch bei neurologischen Erkrankungen wie Spastiken, unkontrollierbarem Zittern oder starker Migräne spielt es eine wichtige Rolle. Die Injektionen wirken in minimalen Dosen direkt an überaktiven Muskeln. Dass die betroffenen Nervenzellen dabei unbeschädigt bleiben, ist kein Zufall, sondern Ergebnis eines aktiven Zellprogramms.
Der Körper reagiert offenbar genau an der Stelle, an der das Nervengift eingreift. Und das nicht nur beim Menschen. Auch bei Ratten fanden die Wissenschaftler dieselben RNA-Muster. Das deutet auf einen evolutionär vererbten Schutzmechanismus hin, der im Nervensystem fest verankert ist.
Nervenzellen aktivieren Schutzmechanismen
Die Studie zeigt: Nervenzellen schalten nicht einfach ab, wenn sie mit Botox in Kontakt kommen. Stattdessen setzen sie gezielt kleine RNA-Stücke ein, sogenannte tRFs. Diese Fragmente blockieren eine spezielle Form des Zelltods, die durch oxidativen Stress und Eisenüberschuss ausgelöst wird.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass Nervenzellen nicht still auf ihr Ende warten. Sie aktivieren gezielt RNA-Fragmente, um sich zu schützen.
Arik Monash
Neue Chancen bei Parkinson, ALS und Multipler Sklerose
Diese Entdeckung könnte weitreichende Bedeutung haben. Denn die kleinen RNA-Fragmente könnten bei Krankheiten helfen, bei denen Nervenzellen langsam absterben – wie Parkinson, Multipler Sklerose oder ALS. Die Nervenzellen aktivieren eine eigene Schutzstrategie. „Diesen Mechanismus könnten wir künftig gezielt therapeutisch nutzen“, sagt Professorin Hermona Soreq.
RNA-Fragmente blockieren Zelltod
Für ihre Studie verwendeten die Forscher menschliche Nervenzellen aus Zellkulturen. Diese wurden mit Botulinumtoxin (Botox) behandelt. Anschließend analysierte das Team die RNA-Moleküle in den Zellen. Dabei identifizierten sie bestimmte kleine Fragmente, die in großer Zahl produziert wurden. Diese schalteten gezielt jene Signale aus, die normalerweise den Zelltod einleiten.
Zudem fanden die Forscher heraus, dass diese RNA-Fragmente eine charakteristische genetische Signatur tragen. Sie wirken offenbar wie eine Art interner Schutzcode, der im Inneren der Zellen aktiviert wird.
Nicht nur Schönheitseingriffe – Botox als Türöffner für neue Medikamente
Die Erkenntnisse könnten den Weg für neuartige Therapien ebnen, abseits der Faltenbehandlung. Wenn sich diese RNA-Fragmente gezielt aktivieren lassen, könnten sie in Zukunft helfen, Nervenzellen bei degenerativen Erkrankungen zu schützen. Auch die Wirkung von Botox selbst ließe sich gezielter steuern, etwa durch Kombination mit RNA-Wirkstoffen, die Nebenwirkungen reduzieren oder die Wirkung verlängern.
Kurz zusammengefasst:
- Botox blockiert Nervenreize, ohne Nervenzellen zu zerstören, weil diese spezielle RNA-Fragmente ausschütten, die den Zelltod verhindern.
- Diese Schutzreaktion ist aktiv und evolutionär verankert – sie wirkt auch bei anderen Arten und könnte neue Therapien bei Parkinson, MS oder ALS ermöglichen.
- Die Erkenntnisse eröffnen Chancen für gezieltere Behandlungen, bei denen Botox langfristiger wirkt und Nervenzellen bei neurologischen Erkrankungen besser geschützt werden.
Übrigens: Mediziner aus Würzburg erforschen, warum das Immunsystem den Körper angreift und liefern Behandlungsansätze bei Parkinson und Schlaganfall. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Vecteezy