Mäuse mit menschlichem Sprachgen rufen plötzlich anders – Sind Forscher dem Ursprung der Sprache auf der Spur?

Ein menschliches Sprachgen verändert die Lautmuster von Mäusen – und liefert Hinweise auf den möglichen Ursprung der Sprache beim Menschen.

Mäuse mit menschlichem Sprachgen rufen plötzlich anders

Ein einzelner Austausch im menschlichen Sprachgen NOVA1 verändert die Rufe von Mäusen. © DALL-E

Warum können nur Menschen sprechen – und was unterscheidet unsere Sprache von tierischer Lautgebung? Eine neue Studie geht dieser Frage auf ungewöhnliche Weise nach: Forscher haben ein Gen, das beim Menschen fast ausnahmslos vorkommt, in das Erbgut von Mäusen eingeschleust. Es heißt NOVA1 und unterscheidet sich nur in einem winzigen Detail von der Variante bei Neandertalern oder anderen Tieren – durch eine einzelne Aminosäure an Position 197. Doch dieser kleine Unterschied zeigt große Wirkung: Die mit einem Sprachgen veränderten Mäuse riefen anders – in Tonhöhe, Struktur und Klang. Schon als Babys gaben sie andere Ultraschall-Laute von sich, wenn sie nach ihrer Mutter schrien. Und auch erwachsene Tiere zeigten ein auffällig verändertes „Sprechverhalten“.

Mäuse mit Sprachgen – Ultraschall-Laute deutlich verändert

Dabei veränderte sich weder das Wachstum noch das Gehirnvolumen der genetisch veränderten Tiere. Auch ihre Beweglichkeit und Motorik blieben gleich. Die Veränderungen zeigten sich nur beim Lautverhalten: Die „humanisierten“ Mäuse produzierten andere Tonhöhen, andere Modulationen, eine andere Lautvielfalt.

  • In der Kontrollgruppe lag die durchschnittliche Lautfrequenz bei 77,9 Lauten pro Minute.
  • Die humanisierten Mäuse lagen mit 62,7 Lauten pro Minute etwas darunter – der Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant.
  • Dafür unterschieden sich Struktur und Frequenzverlauf deutlich.

„Die von Mäusen mit der menschenspezifischen I197V-Variante erzeugten Laute unterschieden sich von denen der Wildtyp-Mäuse“, erklärt Studienleiter Robert Darnell von der Rockefeller University. „Einige der ‚Buchstaben‘, also akustischen Bausteine, hatten sich verändert.“

Verteilung des Sprachgens NOVA1 im Mausgehirn: grün markiert ist NOVA1, blau die Zellkerne. © Darnell-Labor
Verteilung des Sprachgens NOVA1 im Mausgehirn: grün markiert ist NOVA1, blau die Zellkerne. © Darnell-Labor

Ein winziges Detail unterscheidet Homo sapiens und Neandertaler

Das veränderte Protein spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des menschlichen Nervensystems. In fast allen bekannten menschlichen Genomen trägt es die Variante Valin an Stelle von Isoleucin – eine minimale Abweichung, die es weder bei Neandertalern noch bei Denisova-Menschen gibt.

  • Von 650.058 untersuchten Genomen trugen nur sechs Menschen weltweit noch die archaische Version.
  • Der Austausch von Isoleucin durch Valin findet sich ausschließlich beim modernen Menschen.
  • Die Genvariante ist Teil eines sogenannten „evolutionären Sweeps“, wie die Forscher betonen – also eines starken Selektionsvorteils in der menschlichen Entwicklung.

„Unsere Daten zeigen, dass eine Vorfahrenpopulation moderner Menschen in Afrika die menschliche Variante I197V entwickelte“, sagt Darnell. „Diese wurde dann dominant – möglicherweise, weil sie Vorteile bei der vokalen Kommunikation brachte.“

Gen-Schalter im Gehirn beeinflussen Verhalten deutlich

Auch auf molekularer Ebene konnten die Forscher Unterschiede feststellen. Im Gehirn der veränderten Mäuse zeigten sich 720 sogenannte alternative Spleißereignisse – das bedeutet: Gene wurden bei der Übersetzung in Eiweiße anders zusammengesetzt.

Darunter waren auch vier Gene, die mit Lautäußerungen in Verbindung stehen. Die betroffenen Regionen liegen im Mittelhirn, insbesondere im sogenannten periaquäduktalen Grau – einer Schaltstelle für angeborene Lautproduktion.

Mit Sprachgen humanisiert – Auch erwachsene Mäuse „sprachen“ anders

Neben den neugeborenen Tieren wurden auch erwachsene Mäuse untersucht – insbesondere ihre Lautäußerungen bei der Balz. Auch hier zeigte sich: Die männlichen Mäuse mit dem menschlichen Genanteil „sprachen“ anders.

  • Ihre Laute waren komplexer und enthielten mehr hochfrequente Elemente.
  • Besonders auffällig war die Veränderung in der sogenannten Frequenzvarianz.
  • Diese Unterschiede traten unabhängig von der Gesamtanzahl der Laute auf – also nicht, weil die Mäuse einfach mehr oder weniger riefen, sondern weil sich die Struktur der Rufe verändert hatte.

Einfluss auf menschliche Sprachentwicklung möglich

Was diese Erkenntnisse für den Menschen bedeuten, ist noch offen. Die Forscher sehen in der Variante aber ein mögliches Bindeglied zwischen genetischer Entwicklung und der Entstehung komplexer Sprache. Die Veränderung könnte ein Baustein auf dem langen Weg zur menschlichen Sprachfähigkeit gewesen sein.

„NOVA1 könnte ein echtes menschliches Sprachgen sein“, so Darnell. „Natürlich ist es nicht das einzige, aber es könnte eine entscheidende Rolle gespielt haben.“ Die Forschung an diesem Gen soll künftig auch dazu beitragen, Sprach- und Entwicklungsstörungen besser zu verstehen.

Kurz zusammengefasst:

  • Ein einzelner Austausch im menschlichen Sprachgen NOVA1 verändert bei Mäusen die Struktur ihrer Rufe – ohne das Gehirnwachstum oder Verhalten zu stören.
  • Die betroffenen Laute unterscheiden sich in Tonhöhe, Dauer und Komplexität und deuten auf eine veränderte neuronale Verarbeitung im Mittelhirn hin.
  • Forscher vermuten, dass diese Genvariante ein Baustein für die Entwicklung menschlicher Sprache sein könnte – da sie fast ausschließlich bei Homo sapiens vorkommt.

Übrigens: Während Forscher mit einem einzigen Sprachgen die Rufe von Mäusen verändern, entwirft eine Sprach-KI inzwischen ganze DNA-Stränge. Doch je präziser das System arbeitet, desto lauter werden die Warnungen vor möglichen Risiken – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © DALL-E

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