Nicht vom Acker: Glyphosat entsteht durch Waschmittel im Abwasser – und landet direkt in unseren Flüssen
Glyphosat bildet sich unbemerkt in Kläranlagen, wenn bestimmte Waschmittelbestandteile mit Metallen reagieren – unabhängig vom Einsatz in der Landwirtschaft.

Auf den ersten Blick wirkt der Fluss unberührt – doch Spuren von Glyphosat können über Kläranlagen in die Umwelt gelangen. © Unsplash
Eigentlich sollte Glyphosat nur auf Äckern landen, doch immer öfter taucht das umstrittene Herbizid in Flüssen und Bächen auf. Carolin Huhn, Chemikerin an der Universität Tübingen, zeigt in ihren Untersuchungen, woher die Rückstände wirklich kommen. Ihre Spurensuche führt nicht, wie bisher angenommen, in die Landwirtschaft, sondern direkt in die Privat-Haushalte, wo Waschmittel unbemerkt zur Bildung von Glyphosat beitragen.
Glyphosat steht im Verdacht, Wasserlebewesen zu schädigen, Insekten zu beeinträchtigen und die Artenvielfalt zu gefährden. Schon 2007 registrierten Schweizer Forscher um Thomas Poiger von Agroscope auffällig hohe Glyphosatwerte flussabwärts von Kläranlagen und zwar auch im Sommer, wenn auf den Feldern gar kein Glyphosat versprüht wird.
Kläranlagen entpuppen sich als Quelle
Bisher ging man davon aus, dass Hobbygärtner das Mittel unsachgemäß einsetzen und es bei Regen in die Kanalisation spülen. Doch Huhn fand Hinweise auf einen ganz anderen Ursprung. In zahlreichen Flüssen stimmten die Glyphosatwerte nicht mit der landwirtschaftlichen Nutzung überein. Selbst in Gegenden mit ähnlicher Bewirtschaftung war der Unterschied erheblich. Ein kleines Dorf in Thüringen brachte schließlich den Durchbruch: Das Abwasser enthielt so viel Glyphosat, als hätte jeder der 500 Einwohner über zwei Kilogramm davon pro Jahr eingesetzt – eine absurde Vorstellung.

Dann stieß Huhn auf eine Substanz, die in fast jedem Haushalt vorkommt: DTPMP, ein Enthärter, der in vielen Waschmitteln enthalten ist. Dieser Stoff verbindet sich mit Metallen wie Calcium, verhindert Kalkablagerungen und lässt Waschmaschinen länger laufen. Doch genau dieser Inhaltsstoff ist chemisch dem Glyphosat ähnlich.
Waschmittel setzen Reaktion in Gang
Gemeinsam mit ihrem Team nahm Huhn Proben aus Kläranlagen. Vor dem Abwassereinlauf war alles unauffällig, dahinter zeigten sich auffällig hohe Werte von Glyphosat und DTPMP, wie die Forscher in einer weiteren Studie zeigen konnten. Im Labor gelang Huhn schließlich der Nachweis: Wenn der Waschmittel-Enthärter DTPMP auf Manganoxid trifft, entsteht Glyphosat, auch ohne Beteiligung von Mikroorganismen. „Glyphosat wird ohne direkte Beteiligung von Lebewesen gebildet“, sagt Huhn. Die Reaktion läuft also ganz von allein ab, in Kläranlagen, in Sedimenten und möglicherweise auch im Kanalsystem selbst.

Für die Forscherin steht fest: „In unseren Abwässern liegt alles bereit, damit diese Reaktion passieren kann.“ Das bedeutet: Jeder Waschgang könnte, ganz ohne Wissen der Verbraucher, zur Glyphosatquelle werden.
Das Kanalnetz als unsichtbare Chemiefabrik
Ein Verdacht: Schon in den Kanälen vor der Kläranlage könnte die Reaktion ablaufen. Dort treffen die Reste von Waschmitteln auf Mangan, das in den Rohren und Ablagerungen vorkommt. Der Biofilm in diesen Rohren könnte so zur unbemerkten Glyphosatquelle werden.
Unter unseren Füßen könnte ein riesiger Glyphosat-Reaktor liegen.
Carolin Huhn
Thomas Poiger zeigt sich von dieser These beeindruckt und spricht laut NZZ von einer „interessanten Hypothese“. Die Waschmittelindustrie hingegen sieht das anders. Der Industrieverband erklärt, der Effekt sei „nur sehr gering“. Auch das Schweizer Bundesamt für Umwelt (Bafu) hält den Beitrag von Waschmitteln für „unerheblich“. Doch eine bessere Erklärung für die Glyphosatfunde, die nicht mit der Feldsaison zusammenhängen, gibt es bislang nicht.
Vergleich mit den USA stützt die Theorie
Ein Blick in die USA liefert zusätzliche Hinweise: Dort sind Phosphonate wie DTPMP nicht in Waschmitteln erlaubt. Und dort tritt Glyphosat in Flüssen nur dann auf, wenn es auch tatsächlich auf den Feldern eingesetzt wurde. Das passt genau zu Huhns Modell: Ohne die Waschmittel gibt es auch keine unerklärliche Glyphosatbelastung im Wasser.
Das Umweltgift bleibt problematisch. Auch wenn sich Behörden in der Schweiz bislang beruhigend äußern, sehen Toxikologen Risiken für Wasserorganismen. Schon die aktuell gemessenen Mengen könnten Kleintiere im Ökosystem beeinträchtigen. Denn Glyphosat greift nicht nur Unkraut an, auch Larven von Florfliegen und Kaulquappen reagieren laut einer Studie empfindlich auf das Pflanzenschutzmittel.
Wie wir unser Wasser besser schützen können
Wenn Insekten und Pflanzen verschwinden, bricht das ökologische Gleichgewicht zusammen, mit Folgen für Bestäubung, Trinkwasser, Böden und die Ernährung. Gesunde Ökosysteme sind lebenswichtig, weil sie natürliche Leistungen erbringen, von denen der Mensch direkt abhängig ist. Diese Maßnahmen kann jeder selbst umsetzen:
- Umweltfreundliche Waschmittel ohne Phosphonate wählen
- Waschmittel sparsam und passend zur Wasserhärte dosieren
- Produkte mit Öko-Siegel bevorzugen
- Politik und Behörden für strengere Regeln sensibilisieren
Die Schweiz will reagieren: Bis 2040 sollen 70 Prozent der Kläranlagen neue Filtertechnik bekommen, die Mikroverunreinigungen wie Glyphosat aus dem Abwasser entfernt. Doch bis dahin bleibt die Frage, wie viel dieser Stoffe weiterhin unbemerkt aus unseren Haushalten in Flüsse und Seen gelangt. Wer heute seine Wäsche wäscht, weiß nicht, dass die eigene Maschine Teil eines Problems sein könnte, das noch kaum jemand verstanden hat.
Kurz zusammengefasst:
- Glyphosat taucht in Flüssen oft unabhängig vom Einsatz in der Landwirtschaft auf – Kläranlagen gelten als wahrscheinliche Hauptquelle.
- In Waschmitteln enthaltene Enthärter wie DTPMP reagieren in Kläranlagen oder Abwasserrohren mit Mangan und bilden dabei Glyphosat.
- Die chemische Reaktion läuft ohne Bakterien ab und könnte bereits im Kanalnetz beginnen, mit potenziellen Folgen für Insekten, Pflanzen und Wasserqualität.
Übrigens: Beim Wäschewaschen versteckt sich großes Potenzial für Klima und Gesundheit. Wer kälter wäscht, verhindert nicht nur, dass problematische Stoffe ins Abwasser gelangen, sondern spart zusätzlich Energie und schützt Textilien. Mehr dazu in unserem Artikel.
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