Vergessene Altlast – Über 200.000 radioaktive Fässer liegen auf dem Grund des Atlantiks
Zwischen 1950 und 1990 versenkten europäische Staaten über 200.000 radioaktive Fässer im Atlantik – nun beginnt eine groß angelegte Suche.

Ein rostiges Fass auf dem Meeresgrund – eines von über 200.000 radioaktiven Behältern, die zwischen 1950 und 1990 im Atlantik versenkt wurden. © Wikimedia
Tausende Meter unter der Wasseroberfläche des Nordostatlantiks liegt ein gefährliches Erbe aus der Nachkriegszeit: Über 200.000 Fässer mit radioaktivem Abfall wurden zwischen 1950 und 1990 in internationalen Gewässern versenkt – in mehr als 4.000 Metern Tiefe. Nun suchen Forscher in einer aufwendigen Mission nach genau diesen Altlasten. Und sie sind bereits fündig geworden.
Radioaktive Fässer im Atlantik erstmals gezielt lokalisiert
Bei ihrer Suche haben Wissenschaftler inzwischen mehr als 1.000 Fässer auf dem Meeresboden identifiziert. Das bestätigte eine Sprecherin der französischen Forschungsorganisation CNRS gegenüber der dpa. Die Fässer wurden damals mit radioaktivem Material gefüllt und in Bitumen und Zement eingebettet – in der Hoffnung, so eine sichere Lagerung unter Wasser zu gewährleisten.
Ein internationales Team verbringt derzeit rund einen Monat auf See – etwa 600 Kilometer westlich von Nantes. Mit an Bord: ein Forscher des Thünen-Instituts für Fischereiökologie in Bremerhaven. Ziel der Mission ist es, die genaue Lage der Fässer zu kartieren und erste Proben zu nehmen, um mögliche Auswirkungen auf das Ökosystem zu bewerten.

Hochmoderne Roboter helfen bei der Ortung
Zum Einsatz kommt dabei ein autonomer Unterwasserroboter namens „UlyX“, ausgestattet mit hochauflösendem Sonar. Er sucht den Meeresboden systematisch ab:
- In etwa 70 Metern Tiefe sucht er nach metallischen Objekten.
- Sobald ein potenzielles Fass gefunden ist, nähert er sich bis auf 10 Meter.
- Dann entstehen hochauflösende Bilder für eine exakte Dokumentation.
So gelingt es, die genaue Verteilung der versenkten Fässer zu erfassen – erstmals mit dieser Präzision.

Wissenschaftler nehmen Wasser- und Bodenproben
In dieser ersten Phase der Expedition entnehmen die Forscher Proben in sicherer Entfernung zu den Fässern:
- Sedimente werden mithilfe von Kernbohrern gewonnen
- Wasserproben werden mit sogenannten Rosetten aus verschiedenen Tiefen entnommen
- Fisch- und Krabbenfallen sollen Hinweise auf mögliche Belastungen der Tiefsee-Tiere liefern
Strömungsmesser erfassen zudem die Bewegungen der Wassermassen am Grund – wichtig, um eine mögliche Ausbreitung von Radioaktivität einschätzen zu können.
Strahlenschutz hat höchste Priorität
Alle Proben und Geräte durchlaufen direkt nach ihrer Rückkehr an Bord strenge Strahlenkontrollen. Ein umfassendes Schutzkonzept soll jede Gefahr für die Besatzung ausschließen. Erst danach gelangen die Proben in die Labore – zur genauen Analyse von Strahlenwerten, Schwermetallen und biologischen Veränderungen.
Die Ergebnisse dieser ersten Etappe sind entscheidend für den nächsten Schritt: eine zweite Tiefsee-Mission, bei der sich Tauchroboter oder bemannte Mini-U-Boote den Fässern direkt nähern werden. Dann wollen die Forscher auch Greifarme einsetzen, um Proben direkt am Fass zu nehmen.
Nächste Mission rückt direkt an die Fässer heran
Der Hintergrund dieser komplexen Untersuchung: Noch ist völlig unklar, ob und wie viel Radioaktivität aus den Fässern bereits in die Umwelt gelangt ist. Auch die Frage, wie die Tiefsee-Ökosysteme auf solche Altlasten reagieren, bleibt weitgehend unbeantwortet.
Mit der aktuellen Mission soll sich das ändern. Die Messdaten könnten künftig eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen sein – etwa darüber, ob die Fässer geborgen werden müssen oder ob sie sicher auf dem Meeresgrund ruhen können. Die Mission ist Teil des internationalen Projekts PRIME RADIOCEAN – und könnte nach Jahrzehnten erstmals Licht ins Dunkel dieser historischen Unterwasserdeponie bringen.
Kurz zusammengefasst:
- Zwischen 1950 und 1990 versenkten europäische Länder über 200.000 radioaktive Fässer im Atlantik – auf über 4.000 Metern Tiefe.
- Eine internationale Forschungsmission untersucht nun mithilfe moderner Roboter erstmals gezielt Lage, Zustand und mögliche Auswirkungen dieser Altlasten.
- Erste Fässer wurden bereits entdeckt, Wasser- und Bodenproben entnommen – eine zweite Mission soll Proben direkt an den Fässern ermöglichen.
Übrigens: Nicht nur auf dem Meeresgrund schlummern Altlasten aus der Atomzeit – auch an Land gibt es Probleme. Frankreichs geplanter Atommüll-Tunnel in Lothringen wird immer teurer, der Start verzögert sich um Jahrzehnte. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Fûts de déchets faiblement radioactifs en Altantique Nord-Es via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0