Forscher knacken Kartoffel-DNA und ebnen den Weg zu klimaresistenten Super-Sorten

Zehn alte Sorten enthüllen 85 Prozent des europäischen Kartoffelgenoms – ein Durchbruch, der Züchtung schneller, gezielter und klimafester machen könnte.

Historische Sorten enthüllen das europäische Kartoffelgenom

Ausgerechnet alte Kartoffelsorten liefern das genetische Fundament für neue Super-Sorten, die dem Klimawandel besser standhalten könnten. © Unsplash

Ob als Pommes, Püree oder Salat – die Kartoffel gehört in vielen Haushalten zur täglichen Ernährung. Weltweit ernährt sie über eine Milliarde Menschen. Doch trotz ihrer enormen Bedeutung steckt die Züchtung neuer Sorten seit Jahrzehnten fest. Denn ihr Erbgut ist ein kompliziertes Puzzle. Jetzt haben Forscher einen wichtigen Fortschritt erzielt, der die moderne Pflanzenzucht verändern könnte: Sie haben das europäische Kartoffelgenom anhand historischer Sorten entschlüsselt und damit neue Möglichkeiten geschaffen, wie sich Kartoffeln künftig gezielter und effizienter züchten lassen.

Beteiligt an der Forschung waren unter anderem die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und das Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse kürzlich im Fachmagazin Nature.

Vierfaches Erbgut macht Züchtung schwierig

Während der Mensch zwei Chromosomensätze besitzt, bringt es die Kartoffel auf gleich vier. Das macht die klassische Züchtung unübersichtlich und langwierig. Professor Korbinian Schneeberger von der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärt: „Die Kartoffel ist im Vergleich zu anderen Nutzpflanzen wie Reis sehr komplex.“ In der Praxis bedeutet das: Züchter können nicht einfach günstige Eigenschaften kombinieren – die genetische Vielfalt ist zwar vorhanden, aber schwer zu greifen.

Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen genetischen Struktur? Die Antwort liegt vermutlich in der Frühgeschichte der Kartoffel. Sie wurde vor rund 10.000 Jahren in Südamerika domestiziert. Dort kreuzten sich verschiedene Wildformen. Als die Pflanze dann im 16. Jahrhundert nach Europa kam, schrumpfte die genetische Vielfalt drastisch. Nur wenige Linien passten sich an das europäische Klima an. Krankheiten wie die Knollenfäule machten die Situation noch schlimmer. Die Folge: ein kleiner Genpool, der die heutige Züchtung erschwert.

Historische Sorten bringen Erkenntnisse über das europäische Kartoffelgenom

Zehn historische Kartoffelsorten haben die Forscher nun vollständig entschlüsselt. Einige davon stammen noch aus dem 18. Jahrhundert. Forschungsleiter Schneeberger erklärt: „Mit diesen zehn Sorten haben wir geschätzt 85 Prozent der genetischen Diversität aller 1700 Kartoffelsorten analysiert, die in der EU zugelassen sind.“

Professor Korbinian Schneeberger von der Ludwig-Maximilians-Universität München leitete die Studie zur Entschlüsselung des europäischen Kartoffelgenoms und entwickelte die neue Analysemethode. © Stephan Geiger
Professor Korbinian Schneeberger von der Ludwig-Maximilians-Universität München leitete die Studie zur Entschlüsselung des europäischen Kartoffelgenoms und entwickelte die neue Analysemethode. © Stephan Geiger

Gerade diese alten Sorten liefern eine wertvolle Basis. Ihr Erbgut enthält das, was nach Jahrhunderten von Selektion, Krankheiten und Klimaveränderungen übrig blieb und was künftig gezielter genutzt werden kann.

Enorme Datenmenge, überraschende Unterschiede

Die Datenmenge hinter so einem Kartoffelgenom ist gewaltig. Die Unterschiede innerhalb einzelner Chromosomensätze sind etwa zwanzigmal größer als beim Menschen. Das bedeutet: Obwohl der Genpool begrenzt ist, finden sich in den Genomkopien ungeahnte Variationen. Diese Variationen bieten eine große Chance – wenn man sie gezielt nutzen kann.

Wenn man die Daten von einem Kartoffelgenom ausdruckt, doppelseitig auf DIN A4, dann hätte man einen 50 Meter hohen Papierstoß.

Professor Korbinian Schneeberger im Gespräch mit dem Spiegel

Neue Methode spart Zeit und Geld

Mit dem alten Wissen haben die Forscher eine neue Methode entwickelt. Sie erlaubt es, die Genome von rund 2.000 EU-weit registrierten Sorten künftig schneller und günstiger zu analysieren. Statt jedes Genom vollständig zu entschlüsseln, reichen Mustervergleiche mit den zehn historischen Referenzsorten.

Schneeberger erklärt: „Seit über 120 Jahren haben konventionelle Züchter kaum was Besseres als die Sorte Russet Burbank hinbekommen.“ Diese wurde 1902 eingeführt und liefert heute noch rund 70 Prozent der weltweit verarbeiteten Pommes. Doch sie ist anfällig für Krankheiten und wächst schlecht bei Hitze.

Klimawandel verschärft die Lage

Denn genau hier liegt das Problem: Die Kartoffel ist empfindlich. „Temperaturen ab 25 Grad sind der Kartoffel eigentlich schon zu viel“, warnt Schneeberger. Mit Blick auf den Klimawandel ist das besorgniserregend. Neue Sorten müssen widerstandsfähiger werden – gegen Hitze, Trockenheit und Schädlinge.

Die neuen genetischen Erkenntnisse liefern nun das Werkzeug dafür. Pflanzenzüchter könnten Sorten gezielter auswählen und Kreuzungen präziser planen. Das spart Jahre an Entwicklungszeit und könnte helfen, Erträge in kritischen Regionen zu sichern.

Die unterschätzte Knolle

„Die Kartoffel wird dramatisch unterschätzt. Sie ist ein Lebensmittel für über eine Milliarde Menschen auf der Welt“, sagt Professor Schneeberger gegenüber dem Spiegel.

Trotzdem stagniert die Forschung und politische Förderung bleibt überschaubar. Dabei geht es nicht nur um die industrielle Verarbeitung, sondern auch um Ernährungssicherheit in Krisenzeiten. Mit dem besseren Verständnis des europäischen Kartoffelgenoms öffnet sich ein neuer Weg – hin zu stabileren, anpassungsfähigeren Sorten.

Kurz zusammengefasst:

  • Das europäische Kartoffelgenom wurde anhand von zehn alten Sorten entschlüsselt, die bereits 85 Prozent der heutigen genetischen Vielfalt abdecken.
  • Trotz dieser Einschränkung fanden Forscher enorme Unterschiede innerhalb einzelner Chromosomenkopien, die etwa zwanzigmal größer sind als beim Menschen und wichtige Zuchtressourcen darstellen könnten.
  • Eine neue Methode erlaubt es nun, die Genome von rund 2.000 registrierten Sorten schneller und einfacher zu analysieren – das verbessert die Züchtung robusterer, krankheitsresistenter Kartoffeln.

Übrigens: Forscher in den USA haben erstmals einen Gen-Schalter entwickelt, der Pflanzen auf Knopfdruck reifen lassen oder vor Hitze schützen kann. Wie dieses Werkzeug funktioniert – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert