Trinken in Gesellschaft führt häufiger zur Sucht als das stille Glas zu Hause
Wer mit anderen trinkt, fühlt sich sicherer – und trinkt oft mehr. Der Weg zur Sucht bleibt dabei unbemerkt.

Trinken in Gesellschaft gilt als normal – doch genau dort beginnt oft das Problem. © Unsplash
Ein Gläschen zum Anstoßen, ein Bier in der Bar, ein Drink auf der Party – Trinken in Gesellschaft wirkt harmlos, beinahe selbstverständlich. Doch genau darin liegt eine oft übersehene Gefahr. Geselliges Trinken kann weit mehr Schaden anrichten als das stille Gläschen allein zu Hause. Das sagen die Psychologinnen Catharine Fairbairn von der University of Illinois Urbana-Champaign und ihre Kollegin Dahyeon Kang. In einer Studienübersicht der bisherigen Forschung zeigen sie, wie sehr gesellige Runden den Weg in die Abhängigkeit ebnen können – und warum ausgerechnet das gemeinsame Trinken so selten im Fokus der Forschung steht.
In der allgemeinen Vorstellung gilt: Wer allein trinkt, hat ein Problem. Wer in Gesellschaft trinkt, ist gesellig. Doch diese Sichtweise sei ein Trugschluss, so Fairbairn: „Es gibt erdrückende Belege dafür, dass soziale Motive eine zentrale Rolle beim problematischen Trinken spielen.“ Die beiden Wissenschaftlerinnen erläutern: In sozialen Situationen trinken Menschen regelmäßig mehr als allein. Das sei durch viele Studien belegt. Trotzdem dominieren in der Forschung Einzeltrinker – mit dem Ergebnis, dass soziale Dynamiken kaum berücksichtigt werden.
Alkoholprobleme entstehen nicht im stillen Kämmerlein
Die Forscherinnen weisen darauf hin, dass gerade das gesellschaftliche Trinken für viele der schwerwiegenden Folgen von Alkoholkonsum verantwortlich ist.
Einige der schlimmsten Konsequenzen von Alkohol – Gewalt, riskanter Sex, tödliche Autounfälle – sind fast ausschließlich an das Trinken in Gruppen gebunden.
Social Drinking and Addiction: A Social-Cognitive Model for Understanding Alcohol Use Disorder Risk
Denn Alkohol lockert die Stimmung, senkt Hemmungen und lässt Menschen Risiken eingehen, die sie nüchtern meiden würden.
Gerade für junge Menschen beginnt der Einstieg in den Alkoholkonsum oft über den Freundeskreis. Wer früh trinkt, tut das meist nicht allein. Und wer viel trinkt, sucht häufig gezielt den Umgang mit Gleichgesinnten. Die Folge: Der soziale Kreis wird zur Trinkgemeinschaft – mit einer eigenen Dynamik. In Gruppen sinkt die Hemmschwelle, es entsteht sozialer Druck, mitzuhalten. Und je angenehmer das Trinken erlebt wird, desto stärker verfestigt sich das Verhalten.
Geselligkeit als Brandbeschleuniger
Laut der Studie berichten besonders jene Menschen über große Trinkfreude, die später häufiger alkoholbedingte Probleme entwickeln. Alkohol wird dabei nicht nur als Genussmittel eingesetzt, sondern auch als soziales Werkzeug: um Nähe herzustellen, Hemmungen zu überwinden oder Konflikte in Beziehungen zu überdecken. „Manche Menschen trinken, um schwierige Beziehungen zu retten“, schreiben die Autorinnen. Doch diese kurzfristige Lösung verlagert die Probleme – und vergrößert sie oft.
Trinken in Gesellschaft kann daher nicht nur Auslöser, sondern auch Verstärker bestehender Schwierigkeiten sein. Und gerade weil Alkohol in unserer Kultur so tief verankert ist, ist die Gefahr besonders groß. Anders als bei illegalen Substanzen fehlt oft das Problembewusstsein. Trinken gehört dazu – gerade bei Feiern, Festen und alltäglichen Zusammenkünften.
Rituale befeuern Risiken
Fairbairn und Kang sehen in der Rolle des Alkohols ein Muster, das sich bei anderen Drogen wiederholen könnte – etwa bei Cannabis. Sobald eine Substanz gesellschaftlich akzeptiert ist und in soziale Rituale eingebunden wird, steigen auch die damit verbundenen Risiken. Besonders deutlich wird das am Beispiel Alkohol: ein Suchtmittel, das tief in das soziale Leben integriert ist.
Die Autorinnen fordern deshalb, gesellschaftliches Trinken stärker in der Forschung zu berücksichtigen – und auch in der Prävention. Denn nicht das Alleinsein, sondern das Miteinander beim Trinken kann der erste Schritt zur Abhängigkeit sein.
Kurz zusammengefasst:
- Trinken in Gesellschaft wird oft als harmlos wahrgenommen, führt aber häufiger zu riskantem Konsum als das Trinken allein.
- In geselligen Runden trinken Menschen meist mehr, was das Risiko für Gewalt, Unfälle, riskanten Sex und langfristige Abhängigkeit deutlich erhöht.
- Alkohol dient in sozialen Situationen oft dazu, Hemmungen abzubauen oder Nähe herzustellen – gerade das macht ihn gefährlich, weil er auch zur Bewältigung von Beziehungsproblemen missbraucht werden kann.
Übrigens: Kinder von Eltern mit Alkoholproblemen erleben doppelt so oft Gewalt. Schon regelmäßiger Alkoholkonsum erhöht das Risiko deutlich. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Unsplash
2 thoughts on “Trinken in Gesellschaft führt häufiger zur Sucht als das stille Glas zu Hause”