Warum eine warme Umarmung mehr ist als Nähe – und was dabei im Körper passiert

Wärme aktiviert das Gehirn, stärkt das Körpergefühl und stabilisiert die Psyche – vor allem bei Nähe wie durch eine warme Umarmung.

Zwei Menschen umarmen sich

Eine warme Umarmung aktiviert Hirnregionen, die für Körperwahrnehmung und emotionale Sicherheit zuständig sind. © Unsplash

Wenn es draußen kalt ist und Finger oder Zehen schnell auskühlen, spüren wir den eigenen Körper wieder stärker – wenn auch auf unangenehme Weise. Der Wechsel in einen warmen Raum macht dann deutlich, wie sensibel wir auf Temperatur reagieren. In solchen Momenten verändert sich nicht nur das Empfinden auf der Haut.

Genau diesen Effekt greift eine neue Analyse internationaler Studien auf. Forscher der Queen Mary University of London und der Universität Pavia zeigen: Temperaturreize gelten bislang als rein körperliches Signal. Tatsächlich beeinflussen sie aber auch, wie sehr Menschen ihren Körper als „zu sich gehörig“ erleben. Besonders Wärme – etwa durch eine warme Umarmung – kann dieses Körpergefühl messbar stärken.

Temperatur verbindet Körper und Identität

Wärme wird von der Haut aufgenommen und über spezielle Sinneszellen an das Gehirn weitergeleitet. Diese sogenannten thermosensorischen Signale sind nicht nur für die Temperaturregelung zuständig, sondern wirken auch direkt auf die Selbstwahrnehmung – also auf das Gefühl, mit dem eigenen Körper verbunden zu sein.

„Wärme ist eines der frühesten Schutzsignale – wir spüren sie im Mutterleib, beim Hautkontakt mit Bezugspersonen oder wenn uns jemand in den Arm nimmt“, erklärt Psychologin Dr. Laura Crucianelli. „Wärme hilft uns, uns wie wir selbst zu fühlen.“

Eine warme Umarmung stärkt das Ich-Gefühl

Besonders eindrucksvoll ist der Effekt sozialer Wärme. Bei einer warmen Umarmung kommen zwei zentrale Reize zusammen: Berührung und Temperatur. Beide aktivieren C-taktile Nervenfasern in der Haut, die Informationen direkt in die Insula leiten – ein Hirnareal, das innere Körperzustände verarbeitet und emotionale Bedeutung zuweist.

Wird diese Region aktiviert, entsteht das Gefühl von Zugehörigkeit zum eigenen Körper. Dieses Empfinden – in der Fachsprache als „body ownership“ beschrieben – spielt eine wichtige Rolle bei der Stabilität der Psyche.

Wärme beruhigt das Nervensystem

Der Effekt ist nicht nur theoretisch. Neurowissenschaftlich lässt sich zeigen, wie Wärme das Gehirn beeinflusst: Es werden stressregulierende Signale verstärkt, die Herzfrequenz sinkt, Oxytocin wird ausgeschüttet. Gleichzeitig steigt die Fähigkeit, sich mit dem eigenen Körper zu identifizieren.

„Wenn wir warme Berührung spüren, erkennen wir unsere eigene Existenz. Wir fühlen: Das ist mein Körper, und ich bin mit ihm verbunden“, so Crucianelli. Dieses Zusammenspiel von Temperatur, Berührung und Gehirnaktivität sei messbar und funktional bedeutsam – besonders in Situationen von Unsicherheit, Angst oder emotionaler Belastung.

Klinische Hinweise auf gestörte Körpertemperatur

Bei Menschen mit Schlaganfall, insbesondere nach rechtsseitigen Hirnschäden, kommt es häufig zu einer gestörten Temperaturwahrnehmung. Betroffene erkennen manchmal einen Arm oder ein Bein nicht mehr als Teil ihres Körpers. In diesen Fällen wurden auffällig niedrige Hauttemperaturen gemessen – obwohl das betreffende Körperteil physisch intakt war.

Ein ähnliches Phänomen zeigt sich bei Anorexie oder Körperdysmorphien. Patienten berichten von Entfremdung vom eigenen Körper – und zeigen ebenfalls thermische Veränderungen, die unabhängig von der Außentemperatur auftreten.

Temperatur als Teil der Behandlung

Die Autoren der Studie sehen in diesen Erkenntnissen Potenzial für neue therapeutische Ansätze:

  • Rehabilitation nach Schlaganfällen: Wärmereize könnten die Reorganisation der Selbstwahrnehmung unterstützen.
  • Prothetik: Neue Entwicklungen ermöglichen bereits heute Prothesen, die Wärme weitergeben – das verbessert die Akzeptanz.
  • Psychiatrie: Bei Depressionen oder Trauma könnten gezielte thermosensorische Interventionen helfen, wieder ein Gefühl von Selbstverbundenheit herzustellen.

„Thermosensorik eröffnet neue Wege für die mentale Gesundheit“, sagt Mitautor Prof. Gerardo Salvato. „Diese Signale beeinflussen, wie sicher wir uns in unserem Körper fühlen – das macht sie therapeutisch hochinteressant.“

Laut der Analyse könnte sich die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung auch durch extreme Umgebungstemperaturen verändern. Wenn globale Temperaturen steigen, könne dies langfristig Auswirkungen auf Stimmung, Stressverarbeitung und Körpergefühl haben.

Den Experten zufolge sollte Temperatur nicht nur als physischer Reiz, sondern auch als psychologischer Faktor ernst genommen werden – etwa im Bereich der Arbeitsmedizin, der Stadtplanung oder im Umgang mit Hitzewellen.

Kurz zusammengefasst:

  • Sanfte Temperaturreize wie eine warme Umarmung aktivieren bestimmte Nervenbahnen in der Haut, die dem Gehirn helfen, den eigenen Körper bewusster wahrzunehmen.
  • Studien zeigen, dass Menschen mit Schlaganfall oder Essstörungen oft kühlere Hautbereiche an betroffenen Körperstellen haben – ein Hinweis auf gestörte Selbstwahrnehmung.
  • In Therapie, Prothetik und Stressbewältigung lässt sich Wärme als einfacher körperlicher Reiz nutzen, um innere Stabilität und emotionale Sicherheit zu fördern.

Übrigens: Auch abseits einer warmen Umarmung kann ein kurzer Moment von Nähe erstaunlich viel auslösen. Schon wenige Minuten Körperkontakt vor dem Einschlafen senken messbar den Stresspegel und stärken das Gefühl von Sicherheit. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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